Kapitel 31- Nachbeben

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Ächzend klammern sich meine Finger um den Hals der Flasche, während ich die braune Flüssigkeit in die Tasse kippe und meinen Blick aus dem Fenster gleiten lasse. Die Sonne geht langsam unter, von Andrew, meiner Mom oder meinem Dad ist keine Spur.
Und ich bin mir auch noch nicht sicher, ob es richtig ist, dass ich in diesem Haus bin. Dass ich bei Andrew Zuhause bin.

„Lass das, Scar." Meine Haare stellen sich auf, als ich den flüsternden Ton an meinem Ohr wahrnehme. Als sich der Arm um mich legt und mir die Flasche aus der Hand nimmt. Schmerzend umklammere ich den Tresen, nur um nicht umzukippen. Taub lehne ich mich gegen den Körper hinter mir, nur um einen halt zu gewinnen. Seine Hände gleiten von meinen Armen zu meinen Schultern nach oben, wodurch er sanft seine Finger über meine Haut fahren lässt.

„Sind Edwin und Reese wieder da?" Neugierig drehe ich mich in seinen Armen, spüre seine Hände die meine Hüften umfassen, die mich umfassen. Die wärme gleitet durch mich hindurch. Sie zersört die erste Wirkung von dem Alkohol, um sie dann nur stärker zu machen. Oder es ist seine Wirkung. Er ist der Grund, warum ich die Hitze in mir spüre. Warum ich das zittern und das kribbeln auf und in mir spüre. Warum ich mich so verdammt noch mal nicht von ihm loslösen kann.

„Noch nicht. Weißt du was mit ihnen ist?" Zögernd nicke ich. „Ja, aber das sollten sie dir selber sagen. Wobei ich glaube das du dir vorstellen kannst, worum es geht."

„Wahrscheinlich schon."

Zögerlich platziere ich meinen Kopf an seiner Brust, während seine Finger über meine Wirbelsäule fahren und mich sanftmütig meine Augen schließen lassen. Ich bin müde und erschöpft. Ausgelaugt von dem Tag. Furchtbar Ausgelaugt.

„Scarlett." Auffordernd lässt er meinen Kopf heben. Sein Blick klebt an dem Fenster hinter mir, wodurch ich mich von ihm abwende und über meine Schulter blicke. Und was ich sehe ist mehr als Überrachend. Es ist fast schon wieder verachtend. „Was bildet sie sich ein?" Fassungslos winde ich mich aus seinen starren Griff. „Scarlett bleibe Ruhig. Sie ist deine Mutter." Seine grünen Augen bohren sich in meine. Sein brauner Fleck hinterlässt einen angenehmen Schauer, welcher mich nur für einen moment abhält. Das Zuschlagen der Autotür bereitet mir Kopfschmerzen.

„Aber das gibt ihr trotzdem nicht das Recht hier her zukommen." Vor Wut reiße ich mich endlich los und stürme aus der Küche hinaus, um die Haustür aufzuziehen und meiner Mutter ins Gesicht zu blicken. Ich lausche den Schritten die sich lösen, bevor auch Connor und Ian vor dem Haus stehen.

Die Augen meiner Mutter sind gerötet, während ihre Finger sich um die Tasche verkrampfen. „Ich bin ausgezogen. Es war das Beste." Erklärt sie leise, sobald die Spannung nur noch größer wird. Sobald ich immer wieder in ihre Augen schaue und versuche alles aus ihr zu saugen, bis ich endlich alles verstehe. Bis ich sie endlich verstehe.

„Carly, wir sollten dringend miteinander reden." Flehend tritt sie nach vorne, wodurch ich zurück zucke und meinen Blick zu Edwin und Reese gleiten lasse, die von der Straße wieder auf den Hof treten. Doch sie verharren als sie uns sehen. Edwin verharrt, als er seinen Vater sieht.

„Du hattest so viele Chancen zu reden, Mom. Ich habe dir so viele Chancen gegeben, aber du hast keine genutzt." Winselnd schlinge ich meine Arme um mich selber.

„Lass-"

„Dad." Befehlend unterbricht Edwin seinen Vater, wodurch dieser ergeben seufzt und wieder zu mir blickt. „Ihr solltet Nachhause, Kinder." Er soll mir nicht sagen, was ich tun soll, was ich lassen soll. Er soll mir nichts sagen, was meine Familie betrifft. Er ist einer der Gründe wieso meine Familie zerbricht.

Aber meine Gedanken gleiten zu meinen Vater. Zu dem Mann, der wohl alleine Zuhause sitzt. Der all das erst heute erfahren hat. Meine Gedanken gleiten um das eigentliche Opfer. Um das eigentlich gebrochene Herz.

„Fahr mich Nachhause." Der bloße Ton hinterlässt einen Schauer auf Ians Haut, während seine Augen auf mich gelegt sind. „Bitte." Innig schlinge ich meine Hand um sein Gelenk, wodurch er sogleich nickt und mich an meinen Fingern von der Veranda zieht.

„Carly, bitte." Erschöpft gleitet die Tasche auf den Boden, wodurch die leichte Staubwolke aufquillt. „Einandern mal Mom."

„Soll ich dich begleiten?"

Meine Mundwinkel beginnen sich bei dem Versuch zu lächeln zu krampfen. Er scheint es zu bemerken und platziert seine Hand auf meinen Oberschenkel, um meinen aufgebrachten Puls zu beruhigen. „Ich glaube das sollte ich alleine machen." Meine Lippen pressen sich aufeinander.

„Vielleicht besser so."

„Ich sollte wohl gehen." Sanft legt sich seine Hand in meinen Nacken, an welchen er mich zu sich zieht. Ich atme seinen herben Geruch ein, spüre das klopfen meines Herzens und für einen Moment die Leichtigkeit. Eine Leichtigkeit, die sogleich vergehen wird. Sobald ich eben in dieses Haus trete. Sobald ich meinen Vater erblicke.

Bangend steige ich aus dem Auto aus und durchquere unseren Hof. Die Stille überrascht mich schon kaum mehr, als ich hinein gehe und das plätschern meines Aquariums wahrnehme.

Meine Schritte folgen lautlos, nicht einmal die katschenden Dielen geben einen Ton von sich, wodurch ich in das Wohnzimmer komme und meinen Vater auf der Couch erkenne. Seine Finger umfassen das Glas, in welchem eine Goldene Flüssigkeit umher schwappt.

„Ich weiß nicht was ich sagen kann. Ich weiß nicht wie ich dir helfen kann." Sein Anblick bricht mein Herz in tausend Teile. Ich erkenne noch immer die Tränen die über sein Gesicht gelaufen sein müssen. Ich erkenne die roten Augen und die blasse Haut. Ich erkenne diesen starren und verlorenen Blick, den er der Ferne widmet.

„Du hast es gewusst." Ich verharre in meiner Position, als die kratzenden Wörter über seine Lippen kommen.
„Seit gestern." Ergeben schaue ich weiter zu ihm hinunter. Seine Finger führen das Glas an seine Lippen, wodurch sich die unangenehme Stille und Spannung weiter aufbaut.

„Du hast es gewusst." Die Wiederholung scheint mir vollkommen unnötig, bis mir der wahre Grund bewusst wird. Bis mir seine wahren Gedanken mitgeteilt werden. Er ist wütend. Sauer. Enttäuscht. Man kann es nennen, wie man es will. Diese Gefühle gelten nicht nur für meine Mutter, sondern auch für mich. „Ich habe ihr ein Ultimatum gestellt, Dad. Sie sollte es heute sagen." Meine Stimme beginnt sich bei der bloßen Rechtfertigung zu überschlagen.

Ich zucke zusammen, als er seine Hand auf den Tisch schlägt und damit selbst das Glas zum erzittern bringt.

„Ich wusste nicht, dass es nicht dein Kind ist!" Ich höre nicht auf zu reden. Zu schreien. Ich höre nicht auf mich zu rechtfertigen. Er soll mich nicht verstoßen. Er soll mich nicht von sich stoßen, wie es meine Mom bereits bei mir tat. Solange bis ihr Geheimnis ans Licht kam.

„Glaubst du ernsthaft ich wusste nichts von der Affäre deiner Mutter?" Mein Mund trocknet aus, als er seine Augen auf mich legt. Sein Kopf so schräg, als würde er sich über mich lustig machen und das tut er wohl auch.
Denn ich habe es nicht bemerkt. Nach allem, was ich mitbekommen habe. Selbst nach meinen Gedanken daran.

„Die Schwangerschaft ist bloß ein Weckruf gewesen." Säuselt er lallend. „Für dich?" Ich verachte bereits nun diese Frage, als sein Mundwinkel nach oben zuckt und er ungläubig seinen Kopf schüttelt. „Für sie."

„Du wusstest es nicht wirklich mit Mom und Andrew, oder?" Aushorchend recke ich mein Kinn in die Luft. „Nein, aber ich habe es geahnt. Nicht unbedingt das er es war, aber das etwas war." Seine Mundwinkel zucken gequält nach oben, was ich sanft erwidere.

„Wir wussten, dass wir nur wenig Zeit füreinander finden werden, wenn ich die Ranch alleine führen werde, doch ich hätte nie gedacht, dass wir uns so fremd werden."

„Du darfst dir dafür aber keine Schuld geben." Beteure ich, als er seinen Blick wieder senkt. „Darf ich nicht, doch ich glaube das kommt von ganz alleine." 

(Ex)change-Was sind dir (deine) Geheimnisse wertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt