Kapitel 39- Wiedergutmachung?

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„Ich kann dich begleiten." Meine Mundwinkel verkrampfen sich auf sein Angebot. „Es ist nett, aber nicht notwendig. Das sollte ich alleine machen." Gebe ich bescheid. Ich erkenne die Skepsis in seinen Augen, doch ich küsse sie hinfort und steige aus dem Auto. „Wir treffen uns bei Connor." Sind meine letzten Worte, bevor ich die Tür zuschlage und mich dem Haus widme.

Die Stille erinnert mich an die von Zuhause. Es ist furchterregend. Beängstigend. Ich möchte sie nicht zerstören, nicht diese zerreißende Stille, die mich verunsichert. Mich und mein vorhaben. Doch ich erinnere mich an Edwin, an seine Erscheinung, an sein Schuldgefühl. Ich habe keine andere Möglichkeit, ihm anders zu helfen, also werde ich es über mich ergehen lassen.

Das Geräusch der Klingel ertönt durch das gesamte Haus, es hinterlässt ein Schauriges Echo, ehe man die sich windenden Dielen hört. Die Tür geht auf. Ich erstarre. Die Frau vor mir trägt tiefe in Brombeere verzogene Augenringe. Ihre Haut ist bleicher als der Kanadische Schnee. Fad, trocken, alt. Falten und Pickel überziehen ihr Gesicht. Ihre Haare mit einer Ölschicht bedeckt. Ihr Köper von einem großen Pullover und einer Jogginghose geschmückt, welche nicht ihre ist. Und doch blicke ich bloß auf den Bauch, erhoffe mir eine Kugel, verfluche sie zugleich.

„Carly." Ihre Stimme saugt sich mit Hoffnung voll.

Ich hatte gedacht meinem Vater würde es schlecht gehen, doch ihr geht es miserabel und es tut mir leid. So unglaublich leid, dass ich kaum mehr die Wut in mir spüre.

„Ich bin bereit zu reden." Stoße ich atemlos hervor. Ihre grauen Augen beginnen durch meine Worte zu glühen. Sie freut sich. Mehr als das. Sie kann es nicht glauben. „Komm rein." Ihre Worte überschlagen sich. Sie verschluckt den Teil und doch verstehe ich sie.

Ihre schlanke Hand legt sich auf meinem Rücken, an welchem sie mich hinein schiebt. Ich kann mich erinnern, dass wir vor knapp drei Wochen ebenfalls hier saßen. Es sind gerade mal drei Wochen rum.

„Möchtest du etwas trinken?"

Ich drehe mich bei ihrer zitternden Stimme um und betrachte sie wieder. Augenblicklich bleiben meine Augen bei ihrer Hand liegt. Ihre Finger krallen sich in den Stoff des Pullovers- auf ihren Bauch.

„Hast du abgetrieben?" Erneut verhaken sich unsere Blicke. „Ich konnte nicht." Ihre Augen werden wässrig, als sie die Worte flüsternd über ihre Lippen gleiten lässt.

Ich kann nur nicken. Es ist das einzige was neutral erscheint. Sie hätte sich gehasst, wenn sie das Kind abgetrieben hätte. „Du hast mich dazu gebracht, nicht abzutreiben." Überrascht zucken meine Brauen nach oben.

„Ich habe mit dir kaum über das Kind geredet."

„Aber ich habe dich gesehen. Wie du dich eingesetzt hast. Wie Fürsorglich du warst- bist. Wie stark du bist. Ich wollte das nicht aufgeben." Ein trauriges Lächeln huscht über meine Lippen. Ich verbiete mir den Kommentar, dass ich nicht das Erzeugnis von ihr und Andrew bin, sondern von ihr und meinem Dad. Das Kind wird anders sein. Und bisher frage ich mich, von wem ich die sogenannte stärke habe.

„Wie geht es dir, Liebes." Meine Mutter möchte nach meinen Händen greifen, doch ich zucke automatisch zurück. Ihr Körper erschaudert. „Gut. Also den Umständen entsprechend." Schulterzuckend beiße ich mir auf meine Unterlippe. „Ich gehe am Montag, dass erste mal wieder in die Schule." Hauche ich noch hinzufügend.

Anhand ihres Blickes erkenne ich, dass sie damit nicht gerechnet hat. Entweder das ich die Schule geschwänzt habe oder das ich überhaupt wieder in die Öffentlichkeit möchte. „Und wie geht es deinem Dad?" Bilder schießen mir in mein Gedächtnis. Er hat heute Morgen, dass erste mal nicht gekotzt. „Er ist auf dem Weg der Besserung. Mehr sage ich nicht." Erneut zuckt sie zusammen.

Mein distanzierter Ton muss sie nieder machen. „Carly." Ein Schauer durchzieht meinen Körper, als sie ihre zitternde Hand nach mir ausstreckt, als ihr wimmernder Ton zu mir fährt, als es bloß ein hauchen ist. „Es tut mir so leid. So unglaublich. Ich wollte dir nie-"

„Erspare es dir, Mom." Ich möchte ihre Entschuldigungen nicht hören. Ich möchte dieses Wrack vor mir nicht einmal ansehen, denn das lässt all die Wut verfließen. Zurück bleibt das Mitleid, dass mich ihr verzeihen lässt. Und ich möchte ihr verzeihen, so sehr, doch dann denke ich an meinen Vater. An sein Elend und wie es sich für ihn anfühlen muss, wenn ich ihr verzeihe.

„Ich habe auch Mist gebaut. Aber bei weitem nicht solch eine Scheiße abgezogen." Die Tränen beginnen sich aus meinen Augen zu lotsen. Sie rinnen heiß meine Wange hinunter. Und doch verstummen sie, als die Dielen unter den Füßen zu knatschen beginnen. Mein Blick gleitet zur Treppe, wo ich Andrew erkenne. Seine Augen starr auf mich, so voller Fragen und Unsicherheiten.

„Es freut mich, dass du hier bist, Scarlett." Mein Herz beginnt vor lauter Panik an zuschlagen. Ich hatte gehofft ihn nicht zu sehen, nicht ansehen zu müssen. Ich hatte gehofft, bloß meine Mutter anzutreffen, um mich irgendwie besser zu fühlen. Um nicht diese gähnende Leere zwischen uns zu lassen.

„Wie geht es Edwin? Wo ist er?" Weiter tritt er die Treppe hinunter, bis er hinter meiner Mutter steht, dessen Hand sich weiter in den Stoff gebohrt hat. Langsam senke ich meinen Blick, versuche ruhig zu atmen, bis ich nachgebend nicke. „Er ist Sicher, Andrew." Hauche ich leise. Seine Augen ziehen sich zu schlitzen, als ich versuche seinen Blick standzuhalten, ehe er ebenso vertieft nickt.

„Scarlett könnten wir uns möglicherweise unterhalten?" Meine Brauen zucken nach oben, als er seine Hände auf die Schultern meiner Mutter legt. Sie scheint viel zu weggetreten, als das sie die Berührung zu bemerken scheint. Doch ich spüre sie. Ich spüre den Riss in meinen Herzen. Ich sehe all die Bilder meiner glücklichen Eltern. Wie sie lachen, wie sie einander lieben. Und nun sehe ich diese gebrochene und fremde Frau und ihren Besten Freund so nah beieinander.

„Ich schiebe." Finster gehe ich an ihnen vorbei, lausche seiner Frage, was ich mit diesen so bedeutenden Worten meine. Und ich beginne das Geheimnis bekannt zu geben, welches unsere Freundschaft immer zusammengehalten hat. „Ihr wollt doch immer die Freundschaft zwischen uns verstehen." Gebe ich mühselig und gepresst von mir. „Wir schieben, wir tauschen und wir wechseln unsere Geheimnisse. Wir achten aufeinander, wir schauen, was jeder verkraften kann und wann der beste Zeitpunkt ist. Und ihr habt beide eure Chancen nicht genutzt. Ihr habt beide nur auf euch geachtet und nun all die verletzt die euch lieben." Oder geliebt haben.

„Wie geht es ihm?" Es ist die erste Frage die meine Lippen verlässt, sobald ich Connor entgegen schaue. Seine Haare hängen ihm in sein blasses Gesicht, es zeichnet sich der erste Ansatz auf einen Bart, welchen er sonst voller Hingabe zu verhindern versucht.

„Die bessere Frage ist, wie geht es dir?" Schulterzuckend schiebe ich mich an ihm in den abgekühlten Flur, während er die Tür schließt. „Meine Mom ist wie eine fremde Frau für mich und Andrew kann ich nicht mehr in die Augen schauen. Besonders da ich ihn nicht wegen Edwin anlügen wollte."

„Also hast du es ihm verschwiegen?" Trotz das ich ihm noch keine vollkommene Antwort gegeben habe, scheint er sich sicher zu sein. Die Erleichterung gleitet bis hin in seine Augen.

„Ist er wach?" Er beißt sich auf seine Lippe, als er seinen Kopf schüttelt. „Reese ist gerade bei ihm in meinem Zimmer. Ian versucht weiter irgendwelche Medikamente herauszufinden."

„Wo ist er?" Er deutet mit einem nicken zum Wohnzimmer, worauf ich bereits die dunkel blonden Haare erkenne, die sich konzentriert über den Laptop beugen. Und doch lösen sich seine Augen von dem Display, als ich hinein trete. Das grün leuchtet mich regelrecht an, während das braun stumm darum auffordert, dass es mir gut geht. Ich schüttle lediglich meinen Kopf, während ich mich neben ihn nieder lasse und seinen Arm um mich geschlungen spüre. Seine Lippen an meinem Scheitel. Meine Augen geschlossen und durchatmend.

Zögernd blinzle ich gegen die Sonnenstrahlen die durch die Jalousien scheinen. Ich erkenne die Blätter vor mir mit unterschiedlichen Medikamenten darauf, welche ich mir sogleich nehme. „Die meisten sind verschreibungspflichtig." Seufze ich leise, während ich mir die Symptome anschaue, gegen die, die Medikamente wirken sollen.

„Ich habe ein Rezeptblock." Überrascht schaue ich zu Connor, in seiner Hand ist der beschriebene Block, welcher noch in einer Plastikfolie eingepackt ist. Ich frage nicht nach woher er diesen hat oder wen er dafür bestehlen musste. 

(Ex)change-Was sind dir (deine) Geheimnisse wertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt