Kapitel 18- Das ewige Rennen, Fallen... Aufgeben

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Meine Kehle schnürt sich bei seinem Anblick zu. Diese intensiv grünen Augen, dessen brauner Punkt mich immer schon bis in meine Träume verfolgte. Diese Augen die niemals tiefer blicken könnten. Die mich niemals besser einschätzen könnten, als jemand anderes. Diese Augen die mich in die Knie zwängen, die mich erschüttern lassen, die mich soviel fühlen lassen.

Erst nun erkenne ich Connor, Edwin und auch Reese. Reese, welche noch nie so gequält aussah, wie in diesem Moment. Reese, die noch nie so zerrissen war, wie zwischen ihrem Bruder und ihrer besten Freundin.

Wir waren lange nicht mehr, viel zu lange nicht, in dieser Konstellation. Zusammen. Beisammen. Aber so distanziert, dass sich die Tränen in den Augen sammelt. Gut, in denen von Reese und mir, aber es genügt. Die Jungs hatten wir nur wenige male weinen sehen. Zu Beerdigungen, zu schmerzen, zu dem Abschied von Ian, welcher sich wie ein Abschied für Ewig anfühlte. Nur wussten wir es dort noch nicht. Oder wir haben, es nur nicht laut gesagt. Wir wollten eine Illusion schaffen, die uns aufrecht hält. Die uns zusammen hält. Aber nun stehen wir hier. Alle fünf. Jeder auf einer Seite.
Auf seiner eigenen.

„Seit wann bist du wieder da?" Gebrochen lasse ich die Tränen über meine Wangen fließen, versuche sie zu unterdrücken. Versuche einfach nicht mehr zu weinen, doch bei seinem Anblick und dem Gefühl, dass zwischen uns liegt, schaffe ich es nicht sie zurück zuhalten. Meine Augen fixieren ihn. Sie versuchen ihn zum reden zu zwingen, zu bringen. Einfach nur, damit er seinen verdammten Mund aufmacht. Doch es geschieht nichts. Er senkt seinen Blick nicht. Er hält meinen stand und zeigt damit die Kühle die in seinen Augen sitzt. Und es zerreißt mich, diese in ihm zu sehen. In dem wärmsten und freundlichsten Jungen den ich jemals kennen lernen durfte.
„Ian!"

Scharf gleitet sein Name durch die Luft, geht unter, als die Schüler beginnen aufzuschreien. Als sie ihre Freude über das Spiel bewundern, während wir in dem Schatten des Glückes stehen.

„Seit Montag." Meine Augen zucken zu Reese, die ihre Hand auf ihren Mund presst. Wir hatten am Montag geredet, gestritten, auch hier hatte sie die Chance mir zu sagen, dass ihr Bruder wieder da ist. Aber sie hat sich dafür entschieden zu schweigen und ich kann es ihr nicht einmal böse nehmen. Ich schaffe es nicht.

Ich versuche das keuchen zu unterdrücken, doch die Nachricht gibt mir den Rest. Er möchte nicht einmal versuchen sich zu erklären und es ist so demütigend, verletzend, schmerzhaft. Es tut so weh, dass ich all das nicht einmal zu greifen bekomme.
Er löst sich mit weicheren Zügen aus seiner Starre und möchte seine Hand nach mir ausstrecken. Doch ich zucke zurück. Ich zucke zurück und schaffe es kaum etwas über meine Lippen zu bringen, wodurch Edwin an ihm vorbei stürzt und seine Hände um mich schlingt, nur damit ich nicht falle. Unsanft, Ruckartig.

„Ich bringe sie Nachhause. Werde dir endlich bewusst, was du möchtest Ian."

Verschwommen lausche ich der Stimme von Edwin, als ich mich aufrichte und versuche meine Schultern zu straffen, um an ihm vorbei zugehen.
Mein Herz setzt aus, als ich die brennende und glühende Hitze in mir spüre, sobald sich seine Finger sanft um mein Gelenk schlingen. Sobald unsere Augen aufeinander treffen und ich das Gefühl habe, wieder den Ian zu sehen, den ich immer bewundert habe. In den ich mich verliebt habe. Mit dem ich so wundervolle und einzigartige Momente verbracht habe, dass ich sie nicht einmal vergessen würde, wenn ich es wollte.

„Es tut mir so leid, Scar." Es sind die ersten Richtigen Worte die er von sich gibt. Und er hätte keine bessere wählen können, um mir Kraft zu geben, dass richtige zu tun. Um weiter zugehen und nicht stehen zu bleiben. Um ihn zurück zu lassen, um ihn nachdenken zu lassen, um mich nachdenken zu lassen.

Die Fahrt zu mir Nachhause ist schweigsamer, als der Weg zur Schule. Er ist ruhiger, unnahbarer, verletzlicher. Es war als hätte jemand auf ein Pulverfass geschossen, bloß das es seine Rückkehr war, die den Schuss ausgelöst hat. Eine andere Wirkung, die wir zu erzielen gedacht hatten. Wir hatten uns eigentlich ausgemalt, wie es wäre, wenn wir ihn dann vom Flughafen abholen würden. Wie es wäre, wenn wir mit lautem Gesang durch unsere Stadt fahren. Unbesiegbar und Zusammen.

So wie immer.

Das Haus liegt still, als ich hinein gehe und die Tür hinter mir schließe. Meine Tränen sind versiegelt und vergossen, als ich meine Jacke abstreife und sie auf die kleine Bank unter dem Spiegel werfe. Bewusst meide ich den Blick. Mein Dad müsste um diese Uhrzeit bei den Rindern sein, meine Mutter eigentlich irgendwo hier. Doch dies interessiert mich nicht. Meine Schritte durchkreuzen das Wohnzimmer, um sogleich über den Hof zu laufen. Ich spüre meine Beine nicht mehr, sie sind schneller als das ich es denken könnte. Sie schmerzen mehr, als das sie real sein könnten. Sie laufen und sie laufen. Die Wiese, die Pferde, die Bäume, sie gleiten an mir vorbei wie Autos in einer finsteren Nacht. Der Schweiß rinnt auf meiner Stirn, als ich durch die Scheune die Allee renne. Als ich die Lichtspiele der Sonne auf meiner Haut erkenne, als ich die Strahlen sehe die durch die Baumkronen geworfen werden. Die mich auffangen, die mich auffangen sollten. Doch ich renne weiter, aufhaltsam, kraftlos und doch mit soviel Adrenalin, dass ich es schaffe vor meinen eigenen Gedanken zu fliehen.

Ich erkenne die Rinder hinter dem Gestrüpp der Pflanzen, ich erkenne meinen Vater der den stampfenden Schritten zu lauschen scheint und seinen Blick hinter mir her gleiten lässt. Doch ich halte wieder nicht. Ich renne erneut. Ich renne über die sandigen Hügel. Ich renne in die grünen Oasen. Ich renne über das Gras, was sich aus der Erde kämpft. Ich renne. Und das ist das einzige was zählt. Ich bleibe nicht stehen.

Nicht, als sich der Sand in meinen Augen verfängt. Nicht, als ich die stechenden Stiche in meinem Herzen spüre. Nicht, als sich mein Fuß mit der Wurzel verfängt und ich stürze. Es erklimmt kein Laut meine Lippen, sobald sich der freie Fall in meinem Körper breit macht und ich mich mit meinen Händen abfange. Als sich der dumpfe Schmerz in meinen Knochen ausbreitet und meine Knie aufschürfen. Ich spüre es nicht einmal. Ich spüre das brennen nicht. Ich spüre nichts davon. Bloß den Drang zu laufen. Ohne Sinn und ohne Zweck. Als wäre ich dazu berufen, nicht hinter mich zu blicken. Sondern aufzustehen. Aufzublicken. Weiter zu laufen.

Und auch das tue ich. Solange bis sich die Luft abgekühlt hat. Solange bis ich keine Ahnung mehr habe, wo ich bin. Bis ich keine Ahnung mehr habe, warum ich gerannt bin.
Aber es fühlt sich gut an. Es fühlt sich an, als sei ich frei. Als wäre ich gelaufen und hätte meine Probleme mildern können. Frei lassen können. Stärke gewinnen können.
Ich klammere mich an dieses eine Gefühl, der Unbesiegbarkeit, ehe ich mich nieder lasse und meinen Blick über die Landschaft gleiten lasse. Es ist ein kleiner See, in mitten einer winzigen Baumlandschaft, die den Blick auf die Berge freigibt. Es ist wunderschön und ruhig zugleich, während sich die Sterne in unverkennbarer Menge am Himmel sammeln und ihre Millionen Jahre anhaltende Schönheit präsentieren.

(Ex)change-Was sind dir (deine) Geheimnisse wertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt