Kapitel 29- Antworten in mitten des Herzens

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„Es steht alles auf dem Kopf. Irgendwelche Schwachköpfe haben die Dekoration zerstört. Miranda ist bereits nun am Durchdrehen." Stöhend legt Reese ihr Handy wieder zurück auf die Ablage, während sie sich in dem Spiegel betrachtet. Ihre kurzen Haare hängen ihr wild und verknotet auf der Schulter, während sich die röte über ihre Wangen legt. Ich habe die Anzahl der anprobierten Kleider aus den Augen verloren.
Und eigentlich macht es nur wenig Sinn weiter zu suchen, da sie bereits eins gefunden hat.

Doch sie sucht weiter und erhofft sich ein noch schöneres.

„Miranda wird uns alle mit der Arbeit für den Ball belegen, bis wir einfach keinen Schlaf mehr bekommen." Gebe ich zerknirscht von mir wieder, wodurch sich die Blondine schmunzelnd zu mir dreht. „Nicht einmal dann wird sie zufrieden sein." Murmelt sie mürrisch. Seufzend stehe ich auf und öffne wieder den Reißverschluss des Kleides, wodurch die weiße Spitze ihrer Unterwäsche hervorlugt.

Meine Mundwinkel zucken nach oben. „Ist das für Edwin?" Neugierig schaue ich sie an und erkenne das fassungslos, schmunzelnde Gesicht von der Blondine. „Nein. Wir haben sowieso seit dem Vorfall nicht miteinander geredet." Wehmütig lässt sie die Träger über ihre Schulter fallen, während das Kleid über ihren Körper gleitet. „Kann man irgendwas tun, damit ihr wieder miteinander auskommt?" Ihre Züge nehmen einen gequälten Ausdruck an. „Finde dieses bescheuerte Herzmedaillon von Erbstück." Seufzend richte ich mich auf und beginne den Vorhang zu zuziehen, was ihr in ihrer Rage entgangen sein muss. „Vielleicht kann ich ja mit ihm reden." Gebe ich mühsam von mir. Ungerne mische ich mich in Edwins Angelegenheiten ein. Er hasst es. Er hasst es, wenn sich andere in seine Probleme einhaken und versuchen sie zu lösen. Dafür ist er zu Stolz und dafür hat er ein zu großes Ego.

Er selber darf es nur immer wieder tun.

„Nein, lass es lieber. Connor wurde bereits abgewiesen. Er soll dich noch behalten." Die Ketten des Vorhangs beginnen wieder zu rascheln, als sie den Stoff beiseite zieht. „Können wir jetzt bitte was essen?"

Quälend ziehen sich meine Brauen zusammen, während sie lachend die Kleider beiseite hängt und mich an meiner Hand aus dem Laden zieht.

„Ich habe Ian heute übrigens mit Mom streiten hören." Neugierig lege ich meine Stirn in Falten. Erst durch den Seitenblick den sie auf mich legt, überkommt ihr ein seufzen. „Es war unschön. Sie haben sich alles an den Kopf geworfen, was sie zu greifen bekamen."

„Ich hoffe du meinst das Metaphorisch gesehen." Skeptisch lasse ich mich an dem Tisch nieder und spüre den angenehmen Schatten, welcher von dem Sonnenschirm gespendet wird. „Zuerst ja, bis Mom die Kerze zu greifen bekam und gegen die Wand warf."

Ungläubig lasse ich meinen Blick über sie gleiten. „Scheinbar drehen nun alle Mütter durch." Schulterzuckend platziert sie die Tüten auf den freien Stuhl. „Meine Mom dreht nicht durch." Hauche ich leise, wodurch sich ihre Augen wieder auf mich legen.

„Sie ist von Chemikalien und Hormonen vollgepumpt. Und von Lügen." Ahnungslos ziehen sich ihre Brauen zusammen. Sie scheint nicht zu verstehen, was ich meine. Und ich habe das Gefühl mein Hals wird zugeschnürt, sobald die Worte wieder über meine Lippen kommen.

„Scar." Auffordernd fallen ihre Schultern nach vorne, wodurch ich leise durchatme. „Meine Mom ist Schwanger und sie treibt das Kind ab." Sorgsam schlucke ich den Klos hinunter, während ihre Augen sich weiten, bis sie Trübselig ihren Blick abwendet. „Das tut mir leid, Scar. Wirklich."

Diesesmal bin ich es, die mit ihren Schultern zuckt. Ich habe selber keine Worte dafür. „Weißt du denn wieso sie das tut? Immerhin dürfte es an dem Alter und an eurer Situation nicht liegen." Die Gedanken waren bereits bei mir im Kopf. Meine Mom ist gerade mal ende Dreizig. Mein Dad Vierzig. Wir sind nicht wohlhabend, aber führen einen guten Betrieb mit den Tieren.

„Hätte ich eine Ahnung wieso sie das tut, könnte ich ihr Verhalten wohl besser verstehen. Aber so habe ich ihr ein Ultimatum gestellt."

Eine Braue zuckt nach oben. „Was für ein Ultimatum?"

„Wenn ich Nachhause komme, muss sie es meinem Dad gesagt haben."

Reese war wesentlich überraschter darüber, dass mein Vater nichts von dem Schwangerschaftsabbruch wusste, wie das ich meine eigene Mutter erpresste.

Doch genau dieser Gedanke brachte mich ins Bangen, denn sobald ich Nachhause käme würde ich so unterschiedliche Situationen erleben können, die mir Angst einjagen.

Ich könnte sie streitend, weinend, wütend vortreffen. Ich könnte aber auch meine Eltern sehen, die sich in letzter Sekunde gegen die Abtreibung entscheiden. Diese Variante ist jedoch unwahrscheinlich. Mehr als das. Sie steckt so voller Hoffnung, dass es schmerzt. Denn das wird sicher nicht passieren.


„Ich hatte mir ehrlich gesagt mehr erhofft." Klagend lasse ich meinen Blick über den Platz gleiten. „Du wolltest mehr vergessen, wenn wir hier sind." Gibt sie leise von sich, wodurch ich ergeben nicke. „Das hatte ich auch vor." Murmelnd stellt sie die kleine Eispackung neben sich. „Gott Reese, wie sollen wir es schaffen, dass es wieder normal wird."

„Entweder sind wir der Grund warum momentan alles aus dem Ruder läuft oder das Universum hasst uns."

„Was machst du hier?" Neugierig liegen seine Augen auf mir, als ich mich langsam an den Platz setzte und die Bücher auf den Tisch zwischen uns lege. „Ich habe dich gesucht." Murmle ich leise, während mein Blick durch die Bibliothek gleitet. Seine Brauen zucken nach oben, als ich ihn wieder fixiere und ein leises seufzen ausstoße. „Es tut mir leid Ian. Ich wollte dich nie wegstoßen."

„Du hattest es jedoch klar ausgedrückt." Sein Mundwinkel zuckt ein Stück nach oben, während er das Buch zuklappt. „Glaube mir, ich habe alles gemeint, aber nicht das was ich gesagt habe."

Ich versuche das zittern in meinen Fingern zu unterdrücken, als ich die Tür aufschließe und meine Tasche auf den Stuhl gleiten lasse. Ich versuche alles auf mich wirken zu lassen. Jedes Geräusch zuzuordnen. Jede Stimmenlage einer Emotion zugeben. Ich versuche es zu meinen vorgestellten Situationen zu ordnen.

Mein Blick fällt auf die offene Küchentür, welche mir meine Eltern an einem Tisch präsentieren. In der Mitte ein paar leere Packungen. In ihren Gesichtern eine vollkommene Gelassenheit. Eine Vertrautheit, die mein Herz in ganz unterschiedliche Töne schlagen lässt.

„Hey." Besinnlich trete ich in die Küche, wodurch ich die Aufmerksamkeit meiner Eltern auf mich lege. „Hey, wie war es mit Reese?" Neugierig betrachtet mich mein Dad, während sein Blick von dem Essen zu mir gleitet. „Wir haben was vom Eights geholt. Magst du auch was?"

Diese Situation ist mehr als Surreal. Sie ist absurd. Sie ist Krank.

Auffordernd schaue ich zu meiner Mutter. Und sobald sich unsere Blicke miteinander verhaken, senkt sie ihn voller Reue. Erneut. Sie kann mir nicht in die Augen blicken. Sie schafft es nicht, weil ihr innerer Konflikt soviel größer ist, als der äußere. Sie schafft es nicht, weil sie Angst davor hat, dass ich die Wahrheit sage, weil sie es nicht kann.

„Ich fasse es nicht." Flüsternd fallen meine Schultern nach vorne, während ich den Schauder über meinen Körper fahren spüre. „Scarlett," Ich schüttle meinen Kopf, als mein Vater sorgsam zu mir blickt. Als ich es bereits spüre. Ich schüttle meinen Kopf als meine Mutter noch immer nicht aufblickt.

„Mom." Appellierend erhebe ich meine Stimme. Flehend krächzend versuche ich mich zusammen zureißen. Versuche nicht den Blick meines Vaters zu erwidern. Versuche nicht zusammen zubrechen, durch das grausame Schweigen ihrer Seits.

„Leandra, was ist hier los?" Besorgt ergreift mein Dad ihre Hand, doch sie entzieht sie ihm sogleich wieder, sodass ich nur noch dabei zusehen kann, wie ihr die Tränen über ihre Wangen fließen. „Rede doch einfach. Sage doch einfach was dich belastet, lass dir doch einfach-" Meine Stimme versagt. Meine Atmung stoppt. Meine Augen brennen so dimenz, dass ich mir den Schluchzer nicht verkneifen kann. Das ich das verschwommene Gold vor mir nicht fortblinzeln kann.

„Finde dieses bescheuerte Herzmedaillon von Erbstück."

Und ich habe es gefunden.

(Ex)change-Was sind dir (deine) Geheimnisse wertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt