Kapitel 27- Mifegyne

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Meine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln, als ich den warmen Körper an meinem geschlungen spüre. Seine Finger spielen genüsslich mit meinen Haaren, was ein angenehmes kribbeln auf meiner Kopfhaut entstehen lässt.

„Wann bin ich eingeschlafen?" Seufzend drehe ich mich in seinem Arm, stützte mich an seinem ab und spüre die zuckenden Muskeln unter meinen Fingern.

„Wahrscheinlich als ich dir meine Probleme erklärt habe und die Schwierigkeiten in meinem Leben."

Fassungslos reißen sich meine Augen auf, ehe er leise beginnt zu lachen und mir sachte seine Lippen auf meine Stirn legt. „Beruhige dich, Scar. Du musst vor einer halben Stunde eingeschlafen sein. Ich hatte nur gehofft, dass du noch ein wenig länger schläfst."

„Wieso denn das?" Seine Augen blicken besorgt auf mich nieder und doch bleibe ich bei dem braunen Punkt in seiner grünen Iris stehen. „Du hast in letzter Zeit wahrscheinlich wenig geschlafen." Murmelt er leise, wodurch ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge vergrabe und die sanften Stromstöße genieße, welche durch meinen Körper gejagt werden.

„Scarlett." Ächzend legen sich seine Hände um meine Schultern, wodurch ich mein Versteckspiel wieder aufgebe. „Du willst nicht darüber reden, warum du dich so zurückziehst, ich will nicht darüber reden warum ich nicht schlafe." Kompromissvoll lässt er seine Hand wieder in meinen Nacken gleiten, an dem er mich an sich presst.

„Meine Mom macht ein Barbecuefest. Und du bist dabei."

„Hat sie das gesagt?" Fragend lege ich meinen Kopf schief. „Nein, ich bestimme das. Ich habe echt die Schnauze voll davon, dass jeder so ein Wind darum macht, dass ich wieder da bin."

Kritisch lege ich meine Stirn in Falten, während ich mich aufrichte und auf meine Lippe beiße. „Aber du musst zugeben, dass du bisher mit niemanden über das Jahr geredet hast. Nicht einmal mit Reese oder mir."

Seine Hand fährt durch seine Haare, als er seinen Blick senkt. Und so langsam wird mir auch bewusst, wieso er sich so zurück zieht. Wieso er sich so benimmt.

„Was ist in England passiert?" Ich hasse mich bereits nun für meine Neugier, aber es brennt mir auf meiner Zunge.
„Scarlett. Es ist nichts passiert." Und nun beiße ich mir auf meine Zunge, während auch er sich aufrichtet und grob über sein Gesicht fährt. „Wieso lügst du mich an?" Fassungslos schüttle ich meinen Kopf.
„Kannst du dir bitte was überziehen, verdammt? Bei solchen Themen muss ich mich konzentrieren." Ungläubigkeit spiegelt sich in meinem Blick wieder, als er sich noch immer über sein Gesicht fährt und seine Schläfen massiert.

„Du bist unglaublich, Ian." Schnaubend greife ich nach meinem Bh, welchen ich mir sogleich anziehe und seinen brennenden Blick auf meinem Rücken spüre. „Scarlett beruhige dich bitte. Es ist wirklich nichts passiert. Ich finde es einfach komisch darüber zu reden. Es klingt so endgültig." Wehmut klingt in seiner Stimme, wodurch ich meinen Blick über meine Schulter gleiten lasse.

„Kannst du Morgen wieder in die Schule kommen?" weiter streife ich meinen Slip über und steige aus dem Bett, um an das Fenster zu treten. Um einfach eine Distanz aufzubauen, die mich zum nachdenken bringen soll. „Scar-"

„Nichts Scar, Ian. Ich werde dich unterstützen, ich werde auch zu diesem Fest gehen, ich werde zu dem Ball gehen, aber dafür verlange ich auch etwas." Meine Stimme beginnt sich bei meinen Worten zu überschlagen, als ich auch mein Kleid überziehe und mich auf dem Bett abstütze. Wie von alleine fahren seine Finger über meinen Rücken, wodurch er den Reißverschluss wieder schließt und mir erneut eine Gänsehaut beschert. Eine die ich eigentlich nun gar nicht haben möchte.

„Ich liebe dich Ian, vergiss das nicht. Niemals. Aber hör auf mich anzulügen, hör auf mit mir zu spielen." Ungerührt blicken mich seine Augen an, wodurch ich mich abwende und seine Tür wieder aufschließe, um sie sogleich hinter mir ins Schloss fallen zu lassen. Der Knall schallt durch den Flur, wodurch ich leicht zusammen zucke und die Treppenstufen hinunter laufe.

Es sind die roten Strahlen der Sonne, die mich gegen das Licht blinzeln lassen. Sie hinterlassen ihre Spur auf den Feldern, zwischen den Gräsern und Blättern. Und ich wünschte ich könnte es genießen. So, wie ich jeden der Strahlen auf meiner Haut genieße, wenn ich auf der Wiese sitze. Wenn ich Haley versuche die Mathematik oder Wissenschaft beizubringen. So, wie ich es genieße, wenn seine Lippen auf meiner Haut zum ruhen kommen. Aber es war anders. Es war fremder. Schmerzender.

Und das ist uns beiden bewusst, nur fürchte ich mich bereits nun davor, dass wir es laut aussprechen werden.

„Scarlett." Überrascht gleiten meine Augen hinter mich, als ich Reese erkenne, die ihre Kopfhörer in ihre Tasche gleiten lässt. Wie ihre Augen auf mir kleben. „Du hast mit ihm reden können." Festestellend beißt sie sich auf ihre Lippe, während ich meinen Kopf schüttle. Wahrscheinlich war ihr Optimismus berechtigt, jedoch nur für den alten Ian. „Nicht wirklich. Ich weiß es nicht, was ihn wirklich beschäftigt, aber er streitet es ab, dass in England etwas passiert ist." Erneut drehe ich mich um und erhasche sie bereits an meiner Seite.

„Und du glaubst ihm nicht." Ich versuche den Spott in meinem Blick zu unterdrücken, doch das verletztende Gefühl über seine Ignoranz ist zu groß, als es ungeachtet zu lassen. „Nein, sicher nicht."

„Lass uns Morgenfrüh nach Moneta fahren, um die Kleider zu kaufen. Vielleicht wird er bei deinem Anblick mehr singen, als er es bisher tat." Schmunzelnd stupst sie mich an meiner Schulter an, um auch meinen Mundwinkeln die verkrampfte Wirkung zu nehmen.

„Ich hole dich um Zehn Uhr ab." Fügt sie noch rasch hinzu, ehe sie wieder langsamer wird und mich alleine weitergehen lässt. Nun weiß ich wenigstens, dass ich den Morgigen Tag nicht alleine Zuhause verbringen muss, sondern aus der Stadt rauskomme.

Moneta ist unsere Stadt. Wir haben sie damals entdeckt, als Reese und Ian als erste von uns den Führerschein hatten und uns dann aus der Stadt brachten. Noch immer erinnere ich mich gerne an die Reise und besonders an den Ort. Wir haben ihn zu unserem gemacht. Er erzählt unsere Geschichte, denn dort können wir, wir sein. Dort gibt es keine Probleme, keine Eltern, keine Geheimnisse. So rein wie die Stadt ist, so rein ist unsere Freundschaft. Nur fühlt sie sich momentan nur beschmutzt an. Dreckig. Belastet. Und dennoch hege ich die Hoffnung das Reese und ich uns einfach entspannen können, wenn wir wieder dort hin fahren. Wenn wir unsere Gesichte wieder erweitern.

„Dad?" Neugierg lasse ich meine Stimme durch das Haus hallen und lausche wie sich erneut die Stille hier füllt. Und so langsam bin ich es leid, dass dieses Geräusch hier herrscht.

Ich lasse meinen Rucksack auf den Tresen in der Küche fallen und entdecke die Handtasche meiner Mom. Ich hasse mich für die Gedanken die über mich herfallen. Ich hasse meine Mom dafür, dass sie mich überhaupt dazu bringt, so zu denken. Dass sie nicht einfach redet. Dass ich nicht einfach an sie ran komme.

Hastig gleitet mein Blick über meine Schulter, ehe ich ihre Tasche nehme und sie auf den Tisch stelle. Meine Finger wühlen unerbittlich darin herum, ich suche jede Seite des Notizbuches, jede Kleinigkeit, jeden Hinweis.

Und ich spüre das brennen in meinen Augen, als ich immer wieder die Überschrift lese. Als ich immer wieder auf das Wort blicke. Als ich das zittern meiner Hände wahrnehme, die die Verpackung umklammern.

„Scarlett, was tust du da!" Fassungslos schaue ich zu meiner Mutter, die aufgebracht nach der Packung greift, ich sie jedoch fortziehe. Meine Hand hebe, meinen Atem zum Luftholen bringe. Nur damit ich ihr wieder in die Augen blicken kann, um die Tränen darin zu sehen. Um die Erfurcht zu sehen. Die Angst. Die Wut. Die Verbitterkeit.

„Wieso nimmst du Mifegyne, Mom?" Es ist bloß ein Krächzen, dass mein Hals entfährt. Es ist die Trauer die mich zerkratzt. Die Trauer über meine Mutter, dass sie ihre Schwangerschaft abbricht. Ohne überhaupt ein Wort davon zu verraten.

(Ex)change-Was sind dir (deine) Geheimnisse wertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt