Kapitel 41- Geschichten erzählen Charaktere

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„Wovor fürchtest du dich, dass du so schnell aufgibst?"

„Was ist, wenn ich nicht aufgebe, sondern die Antwort kenne?" Seine Mundwinkel zucken nach oben, während seine Finger mit einer kleinen silbernen Münze spielen. Er lässt sie zwischen seine Finger gleiten, als sei es ein Spiel, dass er perfektioniert. „Und glaubst du ihr?"

Ich muss mich auf seine Worte konzentrieren, während sich die schwarzen Punkte erneut vor meinem Auge ausbreiten. Der Knoten in meinem Magen wird größer, schwerer, schmerzhafter. Doch ich verziehe keine Miene, nicht jetzt. Nicht hier.

„Der Antwort?" Hake ich etwas zu schnell nach. Er nickt bloß. „Ich weiß es nicht, sollte ich?" Ihm sollte bewusst sein, dass ich sogar ihn beschuldige, Edwin so etwas schreckliches angetan zu haben. „Du erscheinst mir zu klug, um die Antworten so zu verdrehen."

Ich zucke bloß mit meinen Schultern. Mein Mund fühlt sich staubtrocken an, während ich meine Hand in die Jacke ramme. „Und kennen Sie die Antwort? Die Antwort, die nicht verdreht ist?"

„Ich kenne viele Antworten nicht. Diese gehört dazu, Mädchen. Geh lieber nach Hause." Der Rat ist gut gemeint, doch der Nachdruck darin lässt meine Haare zu Berge stehen. „Ich kann nicht." Flüstere ich leise. Erstaunt zucken seine Brauen nach oben, wodurch sich Falten auf seiner Stirn bilden. „Falsch. Ich kann nicht Nachhause, du schon. Warte nicht auf solch ein Wunde, wenn es die ganze Zeit vor dir liegt." Ich schüttle knapp meinen Kopf.

„Sie erscheinen mir zu... unpassend für diesen Ort." Ich bereue meine Worte sogleich sie über meien Lippen gleiten. Doch ich wollte irgendwas sagen, nur damit ich bei Bewusstsein bleibe. Denn ich spüre wie die Decke immer näher kommt, wie der Boden sich so schnell dreht, dass ich zu wackeln beginne.

„Jeder hat seine Geschichte. Du hast sie und ich habe sie. Wenn man an Obdachlose denkt, werden meist die größten Klischees damit verbunden."

„Das stimmt nicht. Es gibt viele Schicksalsschläge, die einen alles nehmen." Ich blicke auf die silberne Münze die mich durch den schein der Sonne zu blenden beginnt. Ich kneife meine Augen zu, sehe nichts mehr, außer der beißenden Sonne. „Und doch hast du daran gedacht." Flüstert er leise.

„Sie sind ein Veteran, stimmts?" Erneut zucken seine Mundwinkel nach oben. „Sie haben studiert, sie wissen wie es geht mit Worten umzugehen. Sie genießen das Spiel zwischen Wissen und Unwissen. Aber sie setzten es für das Gute ein. Sie hatten Familie. Ist sie von ihrer Familie?" Ich deute auf die Münze, welche er nun mit der ganzen Faust umschlingt. Der grelle Schein wird mir genommen. Zurück bleiben schwarze tanzende Stechmücken.

„Ich war Veteran, habe Philosophie und Psychologie studiert. Ich hatte eine wunderschöne Frau und eine Tochter, dessen Lächeln niemals vergessen werden kann. Sie haben mich verlassen, als ich aus dem Krieg zurück kam. Als ich begann zu trinken. Die Münze habe ich seit fünfzehn Jahren. Sie zeigt mir, dass ich nicht mehr trinke." Ich verstumme bei seinen leidenden Worten.

„Mein Vater trinkt auch wieder." Gebe ich gepresst von mir. „Das tut mir leid."

„Ich möchte ihm helfen, aber ich habe das Gefühl er kann sich nur selber helfen." Mühselig beginne ich zu blinzeln, versuche bei Verstand zu bleiben, doch die Gedanken nun auch an meinen Vater bringen mich um. Sie schnüren mir die Lungen zu. Unbewusst fahre ich mit meiner Hand zu meinem Shirt, an welchem ich zu ziehen beginne.

„Wenn das so ist braucht er Zeit oder er muss es akzeptieren."

„Die Sucht akzeptieren?" Verständnislos lasse ich meine Finger von dem Shirt gleiten, wodurch ich ein Stück meines Gleichgewichtes verliere. „Das erlebte. Die Sucht darf man nicht akzeptieren, dass würde bedeuten, er würde seinen Zustand als normal ansehen und ab hier wird es gefährlich."

(Ex)change-Was sind dir (deine) Geheimnisse wertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt