Kapitel 34- Reden

225 17 0
                                    

               

Meine Mutter hatte immer gesagt, dass es nur eine Phase von meinem Dad ist. Er trinkt, weil er verzweifelt ist, dass habe ich später dazu gelernt. Aber er hatte es nie vor mir getan. Er hatte sich immer zurückgezogen, damit er sich am nächsten Tag in die Augen blicken konnte.

Und ich hatte Recht behalten. Jedoch nur, dass er sich nicht in die Augen gucken kann und mir auch nicht. Er hat sich mir gezeigt, in einem der schlimmsten Zustände, die er uns beiden antun kann. Es ist als wäre jeder Dämon aus ihm ausgebrochen, der ihn nun in Besitz nimmt. 

Seit dem Vorfall bei den Cunninghams sind lediglich zwei Tage vorüber. Ich habe mich seit dem nicht in die Schule getraut. Der Scham über die Situation wächst über mich hinaus. Reese und Ians Familie hasst meine bereits zur genüge, nun haben sie mit allen Mitteln gewonnen, ohne das sie überhaupt etwas taten. Mein Vater ist unten angekommen und sie werden darauf herum tanzen, bis ihre Füße bluten und selbst dann werden sie noch lachen.  Ich habe meinem Vater jeden Abend beim weinen zugehört. Jeden Abend saß ich auf der Treppe und lauschte seinen Schluchzern, bis er eingeschlafen war. Ich habe mich nicht getraut ihm entgegen zu treten. Seine Tränen zu hören war bereits wie eine Brandwunde in meinem Herz, die niemals verheilen möchte, sie zu sehen, wäre wie eine Verbrennung, der ich nicht entfliehen kann.

Seufzend reibe ich mir den Schweiß von der Stirn, als ich mich auf Jupiters Hals zu legen beginne. Sein Fell ist feucht von dem treiben der Rinder und der stechenden Sonne. Selbst mir wird es langsam zu viel, doch ich muss dabei nicht denken und das ist alles woran ich momentan nur denken kann. Erneut atme ich durch und betrachte die dunklen Tiere, die sich wieder dem hochgewachsenem Gras widmen. Mir wird bewusst sein, dass ich es nicht immer alleine schaffe sie umher zu jagen, jedoch erhoffe ich mir, dass dieser Zustand auch nicht für immer bleibt.

„Ich hatte es nicht anders in Erinnerung."

Erschrocken fahre ich herum und betrachte Ian mit großen Augen. Er löst seine verschränkten Arme auf und verringert den Abstand zwischen uns, während ich mich langsam wieder auf Jupiters Rücken aufrichte. „Wie lange stehst du da schon?" Meine Stimme klingt überraschend zittrig. Ganz so, als würde ich mich wirklich für mich schämen. Und wahrscheinlich tu ich das auch. „Scar, wir müssen reden. Du musst reden."

Mein Herz beginnt bei seinen Worten panisch an zu schlagen, der Griff in die Mähne des Pferdes wird fester. Jupiter unruhiger. „Ich brauche nicht zu reden. Ich komme zurecht. Das tun wir beide." Seine Stirn legt sich voller Skeptik in Falten. Natürlich glaubt er mir nicht. Nicht einmal ich hätte es getan. „Scarlett, bitte."

„Wieso muss ich reden, wenn du es auch nicht musst?" Meine Zähne beißen augenblicklich auf meine Zunge, um mich zum verstummen zu bringen. Doch es war zu spät. Die Worte haben meinen Mund verlassen und Ian erreicht. Seine Grünen Augen beginnen sich zu verdunkeln. Der Wald erliegt dem düsteren Sturm. „Du warst nicht in der Schule." Als wäre es nicht bereits ein Vorwurf, den er mir entgegen bringt- Es ist seine Antwort.

Schnaubend versuche ich Jupiters Hufe wieder zu beruhigen, doch meine Nervosität scheint sich auf ihn abzufärben. „Du schon?" Hake ich stattdessen nach. Seine Zähne beißen sich aufeinander, sein Kiefer mahlt unerträglich. „Ich habe auf dich gewartet, Scarlett. Ich habe gehofft, dich nicht zum reden bringen zu müssen." Er hatte gehofft, dass ich freiwillig zu ihm komme. Der Gedanke schmerzt mir.

Schwer atmend steige ich aus dem Sattel und genieße den festen Boden unter meinen Füßen, während ich samt Jupiter auf Ian zu gehe. „Gib mir Zeit, Ian. Mir und meinem Vater und versuche deine Familie zu besänftigen." Er atmet seine angespannte Luft aus und legt seine Hand auf meine Wange nieder. Heiße Stöße gleiten durch meine Haut und hinterlassen das pulsierende Blut, dass mein Gesicht in ein tiefes rot zieht. „Du weißt das ich nicht auf meine Familie achte und Reese ebenso wenig." Wimmernd schlinge ich meine Finger um seine Hand, bis er mich in seine Arme zieht. Solange. So fest. Und so erbarmungslos voller Zuneigung und dem Dran mir alles böse fernzuhalten.

„Und Edwin?"

Ich bette meine Hände zwischen meinem Kopf und seinen Beinen, während seine Finger sanfte Muster auf meiner Kopfhaut mahlen. Keine Ahnung wann wir das letzte Mal nur so da lagen. Auf der Wiese, in den kleinen Oasen oder einfach auf dem Bett. Keine Ahnung, wann wir das letzte Mal die passende Ruhe gefunden haben, um dies zu tun. Doch es tut gut. Mehr als das. Es ist als würde ich nötige Energie tanken, als würden wir beide davon so viel gewinnen.

„Keine Ahnung. Reese wollte sich um ihn kümmern. Und Connor ist heute nicht zu erreichen. In  der Schule hatte er es ebenso eilig." Ein kleiner Ruck geht durch seinen Körper, wodurch mir bewusst wird, dass er soeben wohl mit seinen Schultern gezuckt hat. Oder er ist einfach zusammen gezuckt.

„Wahrscheinlich sitzen sie jeden Morgen am Frühstückstisch. Gemeinsam, wie eine Familie." Murmel ich trüb. Eine Familie, wie wir es eben mal waren. Wahrscheinlich stehen Andrew und Edwin Mom bei ihrer Abtreibung zur Seite. Eben wie eine Familie. Ich habe Edwin immer eine Mutter gewünscht, nachdem seine ihn verstoßen hatte, doch nicht meine. Es erscheint mir zu weit hergeholt, dass sie uns für Andrew und Edwin sitzen lässt.

„Scarlett, hör auf dir das so schmerzhaft auszumalen." Seine Finger umgreifen meine Hand, an welcher er mich ein Stück nach oben zieht. Ich stütze mich auf dem sandigen Boden ab und betrachte seine funkelnden Augen. Er schiebt mir eine locke hinter mein Ohr, bevor er seine Hand gänzlich in mein Haar schiebt. „Denke daran, dass wir trotzdem immer für einander da sein werden." Dankend nickend lehne ich mich vor. Spüre die Aufregung meines pochenden Herzens, bis sich unsere Lippen vereinen und damit meine Gedanken verstummen.

Ich finde meinen Vater schlafend auf der Couch vor. Sein Gesicht sieht so friedlich aus, während er am helligsten Tage mehr Sorgen, als Gedanken mit sich trägt. Bier Flaschen sind vor ihm aufgetürmt, einige nicht einmal ausgetrunken, doch das wird er kaum bemerkt haben. Mir Blutet das Herz und alle Ruhe die mir Ian schenken konnte, vergeht bei seinem Anblick.

Trotz des klirren der Flaschen wird er nicht wach, sodass ich ihm eine warme Decke über seinen zitternden Körper werfe. Ich habe keine Ahnung ob es richtig ist oder ob es der Alkohol ist, der gerade aus ihm vergeht. Ich habe keine Ahnung, was ich tun kann, damit es ihm besser geht.

Augenblicklich frage ich mich, ob meine Mom ebenso gedacht hat, als er damals bereits Süchtig nach Alkohol war. Ich frage mich wie sie es geregelt hat, wie sie ihn abbringen konnte. Meine Finger umfassen mein Handy, mein Daumen streicht die Kontaktliste ab, bis ich bei meiner Mutter stehen bleibe.

Soll ich?

Gegenwärtig erscheinen die Tränenbesetzten Augen meines Vaters, welcher mich hassen würde, wenn ich sie anrufe. Wenn ich sie um Hilfe bitte. Eben die Frau, die für sein Elend schuld ist. Oder ich. Oder er.

Letztendlich alle.

Ich erinnere mich an die Worte meiner Mom, als sie mir zum ersten Mal von den Negativen Seiten der Farm berichtet hat. Sie hat mich sogar noch dafür gelobt, dass Ian und ich noch miteinander reden, trotz das es bereits schwierig für uns war. Scheinbar taten sie es dort schon nicht mehr.

Ich lasse das Handy wieder auf die Kommode sinken, bevor ich in mein Zimmer gehe, die Fische füttere und mein Bettzeug neben die Couch trapiere. Nicht zu nah, aber eben nah.

Er soll wissen, dass ich da bin. Egal in welcher Lage. Dafür nehme ich auch den stechenden Schmerz in meinem Rücken in Kauf. Es ist das mindeste auf den Holzdielen zu liegen und bloß die weiche Bettdecke über mir zu spüren, während die Tür noch immer aufgerissen ist und die tanzenden Mücken in unser Haus lassen, als würden sie wissen, dass sie hier das giftige Blut erwischen.

Ich lausche den Zikaden. Ich lausche dem Wüstengestrüpp, den Wüstensalbei, welcher seinen Geruch bis ins Wohnzimmer trägt. Ich genieße für einen Moment die Ruhe, die Rufe der Pferde, sogar die der Rinder, die sich nun unserem Haus genährt haben. Und unter ihren Klängen beginne ich meine Augen zu schließen.

(Ex)change-Was sind dir (deine) Geheimnisse wertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt