he pretends he's okay

70 4 0
                                    

Wir hatten einen wirklich guten Nachmittag beim Mexikaner. Tom und Dylan sind später noch zu uns gekommen und haben mit uns gegessen. Wir redeten und lachten über Josh und Tylers Essverhalten und Dylan erzählte Geschichten von den langen Busfahrten durch ganz Amerika. Mir entgingen nicht die unauffälligen und kurzen Berührungen von Josh - sei es auch nur, um mir mein Getränk zu reichen. Wenn wir uns berührten, war es so, als würde ich einen Schlag bekommen. Tyler hingegen war inzwischen auffällig ruhig geworden und starrte sein Glas Wasser so intensiv an, dass ich der Überzeugung war, er wollte es allein mit seinem Blick in Flammen aufgehen lassen. 

"Er hat dann eine Melodie oder einen Text im Kopf", hatte Jenna mir einmal gesagt, nachdem mir dieses Verhalten von Tyler schon häufiger aufgefallen war.

Wir bezahlten und verließen das Restaurant, um wieder zurück zum Hotel zu gehen. Sarah und Josie wollten noch gemeinsam in den Supermarkt drei Straßen weiter.

"Bist du okay?", fragte ich Tyler, nachdem ich ihn für eine Sekunde alleine erwischte. Jenna telefonierte scheinbar wieder mit ihrer Schwester, während Josh und Rachel sich mit Tom und Dylan unterhielten. Tyler sah auf und zuckte mit den Schultern.

"Klar"

"Du kannst mir die Wahrheit sagen, Tyler"

Er musterte mich, als müsste er überprüfen, ob ich es wirklich ernst meinte.

"Es ist alles in Ordnung. Ich habe einen Text im Kopf, den ich schon aufgeschrieben habe, aber ich bin noch nicht ganz zufrieden", antwortete er. Also arbeitete er tatsächlich wieder an einem neuen Lied. Ob er mir dieses auch wieder zeigen würde?

"Darf ich dir etwas sagen?", fragte ich schließlich und Tyler sah wieder auf.

"Aber natürlich"

"Deine Texte und eure Musik... Das ist wirklich gut. Ich merke, dass ihr alles, was ihr sagt, auch genau so meint. Die Texte, die du schreibst, Tyler, die sind so... ehrlich. Meiner Mum ging es ähnlich. Sie hätte eure Musik sicherlich gerne gehört. Weil sie sich in deinen Texten wiedergefunden hätte..."

"Es tut mir Leid, Kelly", flüsterte Tyler, doch ich sah ihn nicht an.

"Sie hat nicht einmal einen Abschiedsbrief hinterlassen"

Ich spürte, dass Tyler sich wieder dafür entschuldigen wollte, doch er sagte nichts.

"Du musst ziemlich viel Mist erlebt haben", stellte ich fest und blickte in Tylers nachdenkliche Augen. Er nickte langsam.

"Möchtest du darüber reden?"

Wenn ich eines von dem Suizid meiner Mutter gelernt hatte, dann war es, dass man einen Menschen ernst nehmen muss. Wenn mir jemand sagt, hey, mir geht es nicht so gut, aber auch wenn er nur andeutet, dass derzeit nichts so läuft, wie man möchte, dann höre ich ihm zu. Denn man weiß nie, was in dem Kopf eines Menschen wirklich vorgeht. Und ich wollte nicht, dass es Tyler schlecht ging. Ich wollte nicht, dass es irgendjemandem, der mir nahe stand, schlecht ging. Ich wollte nicht noch jemanden verlieren.

"Ich weiß nicht, ob es dazu viel zu sagen gibt", sagte er leise. Das war eine Lüge. Natürlich gab es darüber viel zu reden.

"Ich hatte nie wirklich Freunde. Ich wurde zu Hause unterrichtet und hatte deshalb nie wirklich die Möglichkeit bekommen, andere Leute in meinem Alter kennenzulernen. Meine Mum war sehr streng. Ich wollte gerne andere Leute kennenlernen, weshalb ich sie darum bat, dass ich in den Basketball-Verein gehen kann. Das erlaubte sie mir zwar, aber nur mit der Voraussetzung, dass ich jeden Tag übte. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sie mich so sehr drillen würde. Ich musste stundenlang Körbe werfen, während sie am Küchenfenster stand und wenn ich bis zum Abendbrot nicht mindestens hundert Körbe geworfen hatte, durfte ich nicht mit der Familie zu Abend essen, sondern musste weiter trainieren. Ich wusste nicht, mit wem ich reden sollte. Deswegen habe ich angefangen, Texte zu schreiben, um alles zu verarbeiten. Mit 15 habe ich mich in den Keller unseres Hauses zurückgezogen und mir eine Art Studio gebaut und die Texte zu Liedern verarbeitet. Es musste wirklich komisch für meine Familie gewesen sein. Während meine Mum in der Küche stand und gespült hat, saß ich unten im Keller und schrie mir die Seele aus dem Leib, um mit alldem klarzukommen"

Ich hörte Tyler aufmerksam zu. Ich fragte nicht nach dem selbstverletzenden Verhalten, das er in seinen Liedern immer wieder äußerte. Ich fragte auch nicht, ob er wirklich versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Ich hörte ihm einfach zu und fühlte mich plötzlich so traurig. Eine Erziehung konnte einen Menschen zerstören. Und Eltern bemerken so etwas nicht einmal und wenn doch, dann erst, wenn es zu spät ist. Wenn eine junge Seele schon längst zerstört ist. Das ist einer der vielen Gründe, weshalb ich keine Kinder will: Ich habe zu große Angst, mit meiner Erziehung alles kaputt zu machen.

Jenna kam auf uns zu und ich hatte nicht einmal bemerkt, dass sie ihr Gespräch beendet hatte. Sie zog Tyler an sich heran und warf mir einen Blick zu, der mir zu verstehen gab, dass sie wohl mit ihrem 'Plan' beginnen wollte. Tyler sah noch immer traurig aus und ich war nicht sicher, ob er wirklich in der Stimmung dazu war. Ich sah unser Hotel und versuchte, die Traurigkeit, die sich gerade an mich klammerte, abzuschütteln. Ich warf einen Blick zu Josh, der mich scheinbar schon länger musterte. Er vergewisserte sich, dass uns niemand zu viel Aufmerksamkeit schenkte und kam zu mir herüber.

"Ich komme um 11 zu dir", flüsterte ich so leise, wie ich nur konnte. Josh nickte und tat unauffällig. Doch mir entging nicht, dass er lächelte.

___

Sex ist die beste Ablenkung. Sex ist wie Antidepressiva, nur noch viel intensiver.

Mein Atem wurde langsamer und ich zog die dünne Decke über meinen nackten Körper. Josh drehte seinen Kopf zu mir und schenkte mir das süßeste Grinsen, das ich je gesehen hatte. Wir sahen uns noch einen Moment einfach nur an, ehe ich ihm sagte, dass ich besser wieder in mein Zimmer gehen sollte und aufstand, um mich anzuziehen. Josh beobachtete mich und ich lächelte ihn an, nachdem ich ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange gegeben hatte und damit zurück in mein Zimmer schlich.

Friend, please. // twenty one pilots Fanfiction // germanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt