he's petrified

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Ich ließ mich schon seit einer gefühlten Ewigkeit von Rachel anschreien, weil ich zu spät zum Soundcheck kam. Conny stand nur schweigend und mit verschränkten Armen daneben. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das einen Fehler gemacht hatte.

"Ich bin vielleicht fünf Minuten zu spät oder so", murmelte ich nur und Rachel schnaubte.

"Zehn!"

"Dann halt zehn"

"Rachel, jetzt beruhig dich mal", sagte Conny schließlich und schob sie zur Seite. "Hör zu, Kelly... Ich finde es nicht schlimm, wenn man mal zu spät kommt. Ich bin auch nicht immer pünktlich gewesen. Aber in diesem Business und an diesem Punkt, an dem wir uns befinden, da ist Zeit tatsächlich Geld. Solche Fehler können wir uns einfach nicht mehr erlauben, verstehst du das?"

Er hatte eine Hand an meine Schulter gelegt und ich nickte.

"Okay. Sieh einfach zu, dass das nicht noch einmal passiert", sagte Conny und verschwand.

Rachel funkelte mich böse an, ehe sie zurück auf die Bühne ging und ich folgte ihr widerwillig. Ich war froh, dass mein Soundcheck an den Drums ziemlich zügig erledigt war und verließ die Bühne noch schneller als ich sie überhaupt betreten hatte. Josie hatte Recht: Rachel war nur noch gestresst. Inzwischen nahm sie diese Auftritte vielleicht etwas zu ernst. Als ich zurück zum Aufenthaltsraum gehen wollte, kam mir Jenna entgegen.

"Hey, ich wollte euch gerade beim Proben zusehen. Seid ihr schon fertig?", fragte sie.

"Ich schon, aber Rachel und Sarah sind noch dort", antwortete ich und verabschiedete mich von ihr. Ich wollte eigentlich wieder zu Josh zurück, aber ich wusste nicht, ob es eine gute Idee wäre. Er hatte mich vorhin ehrlich gesagt rausgeschmissen und ich versuchte mir einzureden, dass er mich nicht nur für Sex benutzte. Aber... tat ich etwas anderes mit ihm?

Mir fiel wieder ein, dass Josh von getrennten Garderoben sprach, weshalb ich mich auf die Suche nach Tyler machte.

Ich klopfte an die Tür, hinter der sich seine Garderobe befinden musste und überhörte unbeabsichtigt sein "Jetzt nicht".

Ich betrat die Garderobe und sah Tyler hinter dem Sofa stehen. Er hatte sich scheinbar gerade umgezogen, denn er trug nur seine Skinny Jeans und das schwarze Oberteil hielt er noch in der Hand.

"Ich habe gesagt 'jetzt nicht'", sagte Tyler deutlich gereizt. Ich blieb abrupt stehen und beobachtete ihn dabei, wie er den Rücken zu mir drehte und sich schnell das Shirt über den Kopf zog.

"Entschuldigung, das habe ich nicht gehört", murmelte ich nur, aber wandte meinen Blick nicht ab. Ich ging auf Tyler zu. Was zur Hölle...?

Tyler wich einen Schritt zurück.

"Was ist das?", fragte ich ihn und zeigte auf sein Shirt, doch Tyler schwieg.

"Tyler"

Ich hob meine Hand, doch er wich noch einen weiteren Schritt zurück.

"Fass mich nicht an", sagte er leise mit zusammen gebissenen Zähnen und ich stockte.

"Entschuldigung", murmelte er nun zu Boden blickend. Ich bemerkte, dass er zitterte und ich war völlig überfordert mit der Situation. Ich spürte, dass er es auch war.

Wir standen lange einfach nur schweigend voreinander, doch meine Gedanken schwiegen keineswegs.

"Habe ich das gerade richtig gesehen?", fragte ich schließlich vorsichtig.

"Vermutlich"

"Also ist es das, was ich denke?"

"Vermutlich", wiederholte er nur.

"...Lass es mich sehen"

Tyler riss die Augen auf und sah mich ungläubig an. Aber ich meinte es ernst.

Ich konnte in seinen Augen sehen, dass er am liebsten weggelaufen wäre, aber das konnte er nicht. Er musste sich der Realität nun stellen.

"Ich... Aber... Nein", stotterte er. Sicherlich hielt er mich für völlig irre, aber ich wollte es mit eigenen Augen sehen. Ich wollte sicher sein. Ich sagte nichts, sondern musterte ihn nur. 

Was war nur mit Tyler passiert? Mit dem glücklichen Tyler? Der, mit dem schiefen Grinsen? Mit den schlechten Witzen und der Ironie? Was war mit der Freude in seinen Augen passiert? Und wieso hatte ich nicht das Zittern in seiner Stimme bemerkt, während er auf der Bühne stand und über Tod und Suizid sang?

Plötzlich zog er nun doch sein Shirt wieder aus und offenbarte mir das, was ich eigentlich gehofft hatte, nicht zu sehen: Unzählige rote, klar definierte Linien zeichneten sich auf der linken Seite seines Bauches ab. Einige waren vielleicht schon ein paar Tage alt, manche aber noch ganz frisch.

Er stand regungslos vor mir, nur seine Brust hob und senkte sich langsam.

"T-Tyler..."

Er sagte nichts, sondern zog sich sein Shirt wieder an. Versteckte seine Wunden. Schweigen.

"Ich habe dir angeboten, dass du immer mit mir reden kannst", flüsterte ich. Es verletzte mich, ihn so zu sehen. Ich hatte wirklich geglaubt, dass es ihm gut ginge. Dass er glücklich war. Dass ich eine Freundin für ihn war, mit der er reden konnte. Doch scheinbar stimmte das alles nicht.

"Ich kann nicht"

"Was hält dich auf?", fragte ich und Tyler öffnete den Mund, sagte letztlich aber doch nichts.

"Kannst du bitte gehen?", sagte er schließlich und ich sah ihn ungläubig an.

"Nein!"

"Bitte"

"Ich lasse dich doch so jetzt nicht allein!"

"Geh bitte". Er sagte dies mit so viel Nachdruck, dass ich tatsächlich zur Tür ging, davor jedoch stehen blieb. Tyler öffnete die Tür für mich und sein Blick machte mir Angst. Ich ging hinaus auf den Flur. Die Tür schloss sich sofort danach und ich blieb regungslos stehen.

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