02 ✔️

969 45 4
                                    

Letztlich lag der Kompromiss darin, dass ich Anis' Begleitung auf den HipHop.de-Awards sein und dann entscheiden sollte, ob ich wieder meinen Job beim Label aufnehmen oder selbstständig bleiben würde. Diese Abmachung schenkte mir vor allem erst einmal noch einen weiteren Tag Bedenkzeit und ich musste Toni nicht damit nerven, dass ich vielleicht bald wieder bei EGJ arbeiten würde. Auch wenn sie meine beste Freundin war, waren wir im Musikgeschmack Welten entfernt. Sie verstand nicht, wie man auf Typen mit Salafistenbärten stehen konnten, die einem in ihren Lieder das Gefühl gaben, sie würden dich abknallen wollen.

Natürlich packte sie alles so in eine einzelne Schublade, wie es jeder tun würde, der keine Ahnung von Rap hatte. Wie jemand, der noch nie auf einem Konzert war und das atemberaubende Gefühl in der Magengegend bekommen hatte, wenn der erste Beat zum Lieblingslied anschlug. Man selbst in einer eng beieinanderstehenden Gruppe an jungen Menschen, die alles hatten, aber keine Angst vor Körperkontakt. Wenn jeder dieser fremden Menschen auf diesen einen Beat, diesen einen Text so abging, dass dieses Gefühl besser war, als jede einzelne Droge auf dieser Welt. Und ja, in diesem Moment liebte man diesen einen Typen mit dem Salafistenbart dafür, dass er einem so etwas schenkte.

Tief in meinen Gedanken versunken, erdrückte mich meine plötzlich viel zu eng anliegende Bluse. Ich hatte das Bedürfnis, meine Jeans gegen eine Jogginghose auszutauschen und mein Gesicht abzuschminken. Meine Haare zu einem unordentlichen Dutt zu machen und mich mit einem heißen türkischen Tee in meinem Bett zu verkriechen. Dieser Gedanke kam mir, während ich Anis' Wagen vor mir halt machen sah. Er gestikulierte irgendwas, ich sollte anscheinend einfach einsteigen.

Im Inneren des Mercedes empfing mich mein damaliges Lieblingslied vom ersten Album, dessen Cover ich entworfen hatte. Ich musste automatisch anfangen zu grinsen, ohne bemerkt zu haben, dass jemand auf der Rückbank saß und mich durch seine teure Sonnenbrille von Gucci beobachtete. Ich gab Anis eine eigentlich nichtige Umarmung über die Armatur des Wagens und nahm im angenehmen Sitz des AMGs Platz. Nachdem ich mich anschnallte, fuhr der Rapper los. Noch immer nicht hatte ich den anderen Mitfahrer bemerkt.

"Du kannst dich noch daran erinnern?" Anis lächelte wissend und nickte, während er um die nächste Straße abbog. Sein Blick auf die Straße gerichtet.

"Klar. Du hast das Lied rauf und runter gehört. Auf deinem Handy konnte man eine Playlist finden namens 'Liebhaber'. Sie beinhaltete genau einen Song und das war 'Wenn der Beat nicht mehr läuft'. Du hast mir den Sinn dahinter bis heute noch nicht erklärt, aber ja... Wie hätte man Sowas vergessen können?" Ich musste anfangen zu lachen. Es erstaunte mich jedoch umso mehr, dass er dieses Detail noch wusste. Vielleicht war das so, wenn man gefühlt jeden Tag, drei Jahre lang miteinander verbracht hatte. Man war vertraut und kannte einander.

"Ey, Bruder, ich wusste nicht, dass du so ein großes Herz haben kannst." Ich zuckte vor der hinter mir ertönenden Stimme zusammen. Das darauffolgende, viel zu laute Lachen, machte es nicht besser. Ich drehte meinen Kopf zu Anis, der immer noch sein Lächeln auf den Lippen trug.

"Achja, ich habe euch beide noch gar nicht vorgestellt. Vladi, das ist Lu. Lu, das ist Vladi, also eigentlich Vladislav oder besser bekannt als Capital Bra." Erzwungen drehte ich mich zu dem Typen um und schüttelte seine Hand. Er strahlte mir mit einem Dauergrinsen entgegen und es schien, als würde er meine Hand gar nicht mehr los lassen wollen. Seine Augen fuhren an mir auf und ab. Ja, so hatte er sich die Grafikdesignerin seines Kollegens sicher nicht vorgestellt.

Ich musste sagen, ich hätte mich mir in dieser Branche auch nicht richtig erdenken können. Wenn man sich eine in dieser Szene arbeitende Frau vorstellte, war Visa Vie, die ehemalige Moderation von 16Bars, das beste Vorzeigebeispiel. Blond, hübsch, selbstsicher, tätowiert. Ich dagegen... Man hatte mich schon zu oft als Groupie von Shindy betitelt, bevor diejenigen dann von Michael dumm angemacht wurden, dass sie doch ihre Fressen halten würden und sich bei mir entschuldigen müssten. Auch hatte man mich, dass graue Mäuschen von nebenan, schon öfters zum Kaffeeholen geschickt, bevor Anis den anderen Rappern erklärt hatte, dass ich seine Grafikdesignerin war. Ja, wenn die Leute was in mir sahen, dann war es sicherlich nicht die gute Freundin von Bushido und Shindy. Ich glaubte es ja selbst kaum.

Arrhythmie [Rap-FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt