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Eilend rannte ich die letzten Stufen zur Haupteingangshalle des Bahnhofs hoch. Ich schwitzte, als hätte ich den Mount Everest bestiegen, meine Ausdauer war am Tiefstpunkt. Ich blickte auf die riesige Uhr des Bahnhofs und musste feststellen, dass ich etwa um eine halbe Stunde zu spät war. David würde mich umbringen, so dachte ich es zumindest. Im Endeffekt kam es jedoch nur auf seine Laune an und ich hoffte, dass er durch das tolle Wetter in Berlin besser drauf war. Ich wusste nicht, wie das Wetter in Oslo war, aber bestimmt keinesfalls so gut, wie in Deutschland.

Mein jüngerer Bruder David wohnte schon seit zwei Jahren in Norwegen. Er studierte dort Ingenieureswesen und die gesamte Familie war mächtig stolz auf ihn. Er war schon immer der Liebling unserer Eltern, so, wie das eben bei Geschwistern war. Als David dann entschlossen hat, extra für sein Auslandsstudium Norwegisch zu lernen, förderten und unterstützten meine Mutter und mein Vater ihn noch mehr. Ich wollte nicht sagen, dass ich somit langsam in Vergessenheit geriet, doch mein drei Jahre jüngerer Bruder stand im Mittelpunkt.

Während ich in Berlin, etwa 50km weit weg von unserem Familienhaus lebte und mich mit Rappern herumschlug, eroberte David langsam die Welt, indem er reiste, Kontakte aus verschiedensten Ländern knüpfte und immer mehr in eine blumige Zukunft trat. Wenn man es so sagen konnte, war ich das schwarze Schaf der Familie, da ich mit 26 Jahren noch immer nicht meine erste halbe Million gemacht hatte. Ja, so war das in meiner Familie, doch niemand sollte wissen, dass ich aus diesen Kreisen stammte. Ich konnte mich damit noch nie identifizieren, geschweige denn so ticken. Es war nicht meine Welt.

Während ich meinen Blick durch die Halle schweifen ließ, fiel mir ein junger Mann in Jeans und blauem Hemd auf. Er blätterte gelangweilt durch irgendeine Broschüre. Seine dunkelblonden, kurzen Haare klebten vereinzelt an seiner Stirn. Es war nicht gerade kalt am Bahnhof, das musste man zugeben. Sein Anblick zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Ich hatte David schon seit Weihnachten nicht mehr gesehen. Für meinen Bruder, den ich über alles liebte, eine viel zu lange Zeit. Ich ging in seine Richtung, stellte mich direkt vor ihn, bis er mich bemerkte und seinen Kopf hob.

"Spät, aber besser später als gar nicht mehr." Ich lachte, als mir der Student eine tiefe Umarmung schenkte. Mittlerweile war er nicht mehr so groß wie ich. Er war fast etwa einen Kopf größer. Wie konnte man in diesem Alter noch einmal so einen Schub machen? War es die skandinavische Luft?

"Ich bin einfach nur froh, dich zu sehen und mit dir die nächsten drei Wochen zu verbringen." Ich nahm seinen Koffer, doch David tauschte ihn durch seinen Rucksack ein. Ich verdrehte die Augen, während wir uns zu meinem Fiat begaben und grinste ihn frech von der Seite an.

Losfahrend, nachdem wir sein Gepäck im kleinen Kofferraum verstaut hatten, summte Vladi's neustest Album durch die Anlage. Ich musste schließlich wissen, mit wem ich meine Zeit verbrachte und mich langsam wieder in die Welt des Raps einbringen. Ich konnte nicht sagen, dass mir seine Songs nicht gefielen. Sie waren teilweise etwas aggressiv, was mir seit der letzten Woche, nachdem ich Hussein geschlagen hatte, gut tat. Wir hatten uns nicht mehr gesehen. Eigentlich war es nur Anis, mit dem ich an einem Namen für sein Album arbeitete. Zur Zeit war es gekennzeichnet durch 'XX', was für sein 20. Jähriges Jubiläum im Rap stehen soll, doch er war damit keinesfalls zufrieden. So hatte ich auch am heutigen Tag verschlafen und David warten lassen. Ich behauptete nicht, dass das Leben mit Rappern ein Gesundes war. Es würde noch schlimmer werden, wenn ich meinen nächsten Auftrag bekäme.

"Du hörst das ja immer noch." Ich schenkte meinem Bruder einen verwirrten Blick. Ja, auch er konnte sich von dieser Art von Musik nicht begeistern. Eigentlich niemand aus meinem Familien- oder Bekanntenkreis.

"Naja, wenigstens hast du keinen Kontakt mehr zu denen. Die haben dich echt verändert, Sis." Ich unterdrückte zu schlucken oder eine Bemerkung zu machen. Nein, David sollte in diesen drei Wochen nichts davon mitbekommen. Es waren nur drei Wochen, 21 Tage. Ich würde ihm nicht sagen, dass ich wieder bei EGJ arbeitete. Dass es Antonia schon wusste, war genug. Sie nervte mich damit jeden Tag, wie dumm sie das doch fand. Wie dumm ich doch war.

Arrhythmie [Rap-FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt