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Wir schauten zusammen auf das Display seines Smartphones, während er mir jedes einzelne Bild das er in seinem Urlaub gemacht hatte genaustens erklärte und dabei kein Detail ausließ. Wir saßen bestimmt schon seit zwei Stunden in diesem kleinen Café am Kuhdamm und unterhielten uns über die neusten Geschehnisse und natürlich seinen Urlaub in Singapur. Einerseits war es schön, wieder fast so wie früher mit ihm über alles Belanglose reden zu können. Andererseits rewidierte ich die letzten Wochen und fühlte mich komisch in seiner Nähe. Nicht, dass ich den Kontakt zu ihm vermisst hätte, aber eigentlich hatte er all das, was ich schon längst begraben hatte, wieder hochgeholt. Kurz gesagt... Die letzten Wochen waren höllisch.

"Lu, passt du noch auf? Ich kann auch aufhören. Die letzten Bilder sind sowieso nur noch von unserem Hotel." Michael ließ sein Handy erlischen wodurch mich das schwarze Display wieder aus meinen Gedanken zurückholte und ich in seine Augen blickte.

Er runzelte die Stirn und legte seine Hand auf meinen Rücken. Ich brauchte nichts zu sagen, denn er wusste schon alleine durch meine Körpersprache, was ich ihm sagen wollte. Er seufzte schließlich, hob die Hand wodurch ein junger Kellner zu uns kam und Michael die Rechnung übergab. Ohne viele Worte hinterließ der Rapper einen 50er auf dem Tisch und stand schließlich auf. Ich beobachtete ihn kurz, bevor ich ihm gleichtat, er mir meine Jacke reichte und ich sie dankend annahm.

Wir verließen gegen späten Nachmittag den Laden und machten uns zu seinem Wagen auf, mit dem er mich wieder nach Hause bringen würde. Bis auf den Urlaub und meinem gesundheitlichen Zustand gab es keine weitere Themen, die wir beredet hatten und irgendwie fand ich das auch gut so. Michael war das gesamte Treffen irgendwie unruhig gewesen. Da wollte ich ihm nicht noch das mit den Problemen im Label und Hussein erzählen. Ja, das mit Hussein am wenigsten. Besonders deswegen, weil zwischen uns noch nichts fest war. Mehr als kleine Annäherungen gab es bisher noch nicht, wir waren ja noch nicht einmal zusammen essen gegangen. Dieser Mann verwirrte mich und doch wurden die Verbindungen zwischen uns beiden immer klarer. Irgendwie...

Ich betrachtete Michael's rechten Zeigefinger, der aufgeregt auf das weiche Leder des Lenkrads trommelte. Er war angespannter, als im Café. So, als müsste etwas aus ihm raus. Als würde für ihn irgendetwas immer näher rücken. Wie eine Matheklausur, aus der man nicht mehr herauskam. Man saß jetzt im Klassenzimmer und konnte nicht mehr flüchten. Jetzt musste die Arbeit geschrieben werden. Er bemerkte, dass ich sein nervöses Zucken beobachtete, spielte plötzlich unbeholfen mit den Knöpfen am Amaturenbrett herum und schaffte es irgendwie, das Radio anzuschalten. Die Gespräche irgendwelcher Moderatoren killten die Stille und Michael's Anspannung.

"Du kannst mich da vorne rauslassen. Ich muss noch einkaufen." Ich zeigte an die vordere Kreuzung die zu einer alten Rewe führte. In ihr besorgte ich meistens meine Lebensmittel, da es der erste Supermarkt war, in den ich gegangen war, nachdem ich nach Berlin gezogen war und man auf den Weg nach Hause durch einen kleinen, netten Park gehen konnte. Das erleichterte die 15 Minuten bis zur Wohnung ungemein.

Michael nickte und nachdem er noch schnell über eine rot werdende Ampel raste tat er natürlich mehr, als ich wollte und fuhr direkt auf den Parkplatz des Geschäftes. Er schaltete den Motor aus, schnappte sich seinen Geldbeutel und Autoschlüssel und stieg aus. Irritiert stieg ich ebenfalls aus.

"Es wird schnell dunkel. Du sollst nicht alleine durch Berlin laufen müssen. Nicht noch einmal." Auch wenn es so klang, als würde mir meine Mutter einen Vortrag halten, verstand ich sein Anliegen. Und irgendwo hatte er Recht. Ich wusste nicht, ob das alles vorbei war oder ob man mir das gleiche um der nächsten Ecke ein weiteres Mal antun würde.

Schließlich gab ich nach, da Michael sowieso seinen Sturkopf durchbringen musste, und wir gingen nebeneinander herlaufend in den Supermarkt. Ich nahm einen kleinen Einkaufskorb und ging meinen üblichen Weg zwischen den Regalen ab. Der Rapper folgte mir auf Schritt und Tritt, schaute sich ab und zu mal um, brauchte aber anscheinend nichts weiter. Ich lächelte in mich hinein, da ich diese Szene mit ihm relativ amüsant fand. Er war hier sicherlich der Einzige, der eine Rolex am Handgelenk trug und dessen Outfit 10.000€ weit überragte. Klar, wir waren schön früher in Dönerbuden gegangen oder hatten uns bei Spätis Rationen an Süßigkeiten gesichert, doch der Rapper hatte sich verändert. Er hatte sich eine ganz andere Aura geschaffen, die noch viel unnahbarer und arroganter wirkte, als früher. Aber insgeheim war er immer noch die gleiche Person und deswegen konnte ich ihn gar nicht abstoßend finden. Er würde immer irgendwo mein alter Michael bleiben. Der Michael den ich...

Arrhythmie [Rap-FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt