Ich nahm einen weiteren Schluck vom billigen Wein aus dem Tetrapack, verzog abermals mein Gesicht und gab ihn lachend weiter an Capi. Dieser grinste nur vor sich hin und machte mir tapfer nach. Ich blickte mich um, auch wenn es zu dunkel war, um etwas zu erkennen. Wir saßen im Gras des Körnerparks, der in Neukölln nahe des Studios lag. Ich war aus Prinzip nie hierher gekommen, doch langsam bereute ich es, den Park nicht schon einmal früher besucht zu haben. Anders, als das Viertel, war es hier sehr schön. Man mochte gar nicht glauben, dass man immer noch in Neukölln war, aber vielleicht lag es auch einfach nur an der Stimmung in der ich war.
Bevor ich irgendetwas sagen konnte, nachdem Vladi zu Hussein und mir ins Studio gekommen war, hatte er mich unterbrochen und sagte, wir würden erstmal was beim Kiosk kaufen. Fünf Minuten später waren es drei Tetrapacks Wein, eine Packung Haribo Goldbären, die ich über alles liebte und eine Caprisonne, die Capi schon austrank, bevor er sie bezahlt hatte.
Es schien mir, als wollte er auf dem Weg in den Park gar kein Wort reden. Ich versuchte zwar immer zu fragen, wo er mich hinbringen wollte, aber er legte nur den Zeigefinger auf seinen Mund und schüttelte abwartend mit dem Kopf. Schon das lockerte die Stimmung zwischen uns auf, da ich merkte, dass es ihm Spaß machte, mich so ungeduldig zu erleben. Ich war eigentlich nicht ungeduldig, aber letztlich hatte er mich dazu gebracht.
Erst jetzt, nachdem wir die Hälfte der Gummibärchen aufgegessen und schon zwei der drei Weinpackungen vernichtet hatten, fingen wir an zu reden. Anders, als ich es erwartet hatte jedoch nicht über seinen Annäherungsversuch, sondern über Belangloses. Was wir beide so die letzten Tage, in denen wir uns nicht gesehen hatten, getrieben hatten und wie es uns ging. Wie es mit meinem Bruder lief, und ja, Capi wusste, dass David nichts über ihn und EGJ wusste, oder aber auch, wie es mit seiner neuen Songidee voranging. Erst, als ich diese Frage ausgesprach, wurde das Gespräch, dass sich mittlerweile kurz vor Mitternacht befand, tiefgründiger. Wir vergaßen, dass wir beide schon zu viel Wein in unserem Kreislauf hatten.
"Ja, das läuft schon. Jeder meiner Songs ist eine Herzensangelegenheit. Spätestens jetzt hat der Text wenigstens etwas Wahres an sich." Ich fokussierte bei seinen Worten die Verpackung des Weines und wendete sie verträumt in meiner Hand. Was sollte ich darauf erwidern?
"Was ist denn jetzt wahr dran?" Capi nahm mir den Wein aus der Hand, er wollte, dass ich ihn wieder anschaute. Das tat ich auch.
"Naja, ich bin laut. Das weißt du. Ich trinke viel, wie wir es hier auch gerade tun und..." Er stockte kurz, ehe er etwas vom Wein nahm und seinen Satz fortsetzte.
"Ich gehe dir fremd." Ich konnte nicht anders, als zu lachen. Ich merkte sofort, als er in mein Lachen nicht einstieg, dass er es ernst meinte und verstummte sofort.
"Aber Vladi, wir... Wir sind ja nicht zusammen oder so. Du kannst so viele Frauen haben, wie du willst." Ich wollte mir wieder den fast leeren, dritten Tetrapack schnappen, doch Capi ließ ihn nicht los. Ich spürte, dass er mir gerade tief in die Augen schaute, auch wenn es fast stockdunkel um uns herum war. Wieder konzentrierte ich mich auf ihn.
"Klar, die Tussen wollen mich alle wegen dem Fame und der Karre. Das ist mir klarer, als es dir je sein könnte, aber... Du weißt gar nicht wie gerne ich diesen letzten Freitag vergessen will. Ich bin direkt danach zu Hussein und habe es ihm erzählt. Ich dachte, wenn ich es einem guten Kumpel sage, dann vergeht das, doch irgendwie ist es nur schlimmer geworden. Du weißt gar nicht, wie lange du mich damit wachgehalten hast, weil du meine Nachrichten nicht beantwortet hast. Ich bin froh, dass das zwischen uns trotzdem immer noch so ist, wie vorher. Deswegen wollte ich das hier auch so. Wir, Alk und Gespräche über Gott und die Welt. Wie vorher." Ich rückte näher an Capi ran und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Spätestens jetzt konnte ich ihm das mit Hussein nicht mehr sagen. Er war Vladi's Freund, Vladi vertraute ihm. Vladi vertraute mir. Ich brachte es nicht übers Herz dieses 'wie vorher' nicht weiterleben zu lassen. Ich sah diesen Kuss als ungeschehen an. Genauso wie Freitag.
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Arrhythmie [Rap-FF]
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