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Ich hatte mich die darauffolgenden Tage normal auf die Arbeit konzentriert. Meistens waren es weitere Konferenzen mit dem Management von Red Bull, neue Ideen zu dem Design, das in einem Monat auf eigenen Füßen stehen sollte oder ewig frühe Stunden, in denen ich schon wieder anfing mit einigen Kollegen weiterzuarbeiten. Das Klima in der kleinen Gruppe war super, das genaue Gegenteil zum EGJ-Label.

Obwohl Capi's Single eingeschlagen war und man den Song rauf und runter hörte, blieb es doch ruhig um die Rapper. Das nächste Wiedersehen wäre erst wieder in einer Woche mit Anis. Dann käme der Merchandise für sein Album dran. Eine Aufgabe, auf die ich mich jetzt schon nicht mehr freuen konnte, denn dieser Bereich meiner Arbeit war immer am wehleidigsten. Wieso? Weil Anis bei dem Thema Kleidung mit nichts zufrieden war. In Anbetracht meiner mieserablen Gefühlslage keine gute Kombination.

Ich versuchte mich mit allem abzulenken, was mir in den Weg fiel. Ich übernahm sogar gerne das Kochen an den Abenden, wenn Toni noch länger in Vorlesungen blieb und ich fing wieder an mehr Sport zu machen. Ich hatte es seit einigen Monaten ziemlich aufgeschoben, obwohl mir das Joggen und die Kraftübungen gut taten. Wenn ich jedoch dann immer unter der Dusche stand, mein kleiner Adrenalinkick in den Keller sank und ich mich unbeobachtet fühlte, vergoss ich die ein oder andere Träne. Das hatte dann viele Gründe, aber der Hauptgrund war Hussein, den ich nicht einmal erreichen konnte, wenn ich auch nur mit ihm über seine Ep reden wollte. Über unsere 'Arbeit', die ja eigentlich in den Vordergrund rücken sollte.

Die Bilder von ihm auf meinem Laptop, die mir Sergen vom Fotoshooting vor einem Tag per Email gesendet hatte, traute ich mich jedoch nicht anzusehen. Ich vertraute einfach auf den Fotografen, der sicherlich gute Arbeit geleistet hatte. Er war zumindest der Einzige, mit dem ich in dieser fast vergangenen Woche neben Anis Kontakt hatte, denn Hussein blendete ich aus und Vladi war gerade in Stuttgart, wo er Songs mit einigen Kollegen aufnahm.

Die warme Nacht veranlasste mich heute, noch etwas laufen zu gehen. Ich war nicht mehr so daran gewöhnt, den halben Tag am Schreibtisch zu sitzen und auf einen Monitor zu starren. Beim Label verlief das Designen etwas anders ab, als bei Red Bull. Man hatte mehr Zeit, konnte im Grunde eine Pause einlegen, wann man wollte und man hatte vor allem nicht diesen Druck, exakt und perfekt auf den ersten Versuch zu funktionieren. Das war ziemlich ungewohnt und vor allem stressig, weshalb die frische Luft und das Anstrengen meines Kreislaufs einen guten Ausgleich darstellten.

Ich betrat den Bürgersteig vor meinem Wohnhaus, steckte mir die Kopfhörer ins Ohr und ließ die Musik abspielen. Heute war es kein Rap. Davon hatte ich jetzt erst einmal genug, doch der neuste Pop tat es auch, irgendwie. Früher hatte es diese Pausen zwischen mir und den Jungs von EGJ auch gegeben. Das war ganz normal, denn was sollte ich als Grafikdesignerin denn tagtäglich im Studio machen? Natürlich war man dann mal für kurze Stunden gekommen, hatte sich die neuen Beats angehört oder über etwas gelabert, doch im Endeffekt war ich ja nur für die Covers zuständig. Heute aber hatte ich das Gefühl, dass diese Pause anders war, als die davor. Es fühlte sich so an, als würde mir alles aus den Händen gerissen, als würde jeder aus dem Label in verschiedene Richtungen gehen, auch wenn es bisher nur fünf Tage waren, in denen ich niemanden von ihnen gesehen hatte. Es fühlte sich kalt an, einsam.

Ich joggte durch die von den Laternen beleuchteten Straßen. Darauf bedacht, richtig zu atmen, im Takt der Musik zu joggen, noch immer zu wissen, wo ich war. Auch wenn ich mich ziemlich gut in Berlin auskannte, waren die verschiedenen Straßen immer noch etwas anderes, wenn es dunkel um einen herum war. Wenn die meisten Menschen schon in ihren Wohungen waren, nur noch wenige sich draußen aufhielten, um irgendwelchen Beschäftigungen nachzugehen.

Um der nächsten Ecke blieb ich letztlich stehen, hörte mein Herz schnell in meinem Oberkörper pochen und dehnte mich etwas. Als plötzlich die Musik aufhörte, durch meinen Kopf zu dröhnen, nahm ich mein Handy verwirrt aus der Hosentasche. Noch vor wenigen Sekunden hatte man mich angerufen. Die Nummer jedoch schien unterdrückt worden zu sein. Langsam zog ich meine Kopfhörer aus den Ohren, lauschte, auch wenn das natürlich schwachsinnig gewesen war. Nichtsdestotrotz pochte mein Herz weiter in seinem schnellen Takt, auch wenn ich mittlerweile nicht mehr schwer vom Laufen atmen musste. Vor meine Augen trat in meiner Fantasie unmittelbar das Gesicht von Kalil und ich drehte mich um, damit ich wieder in meine Straße aus der ich gekommen war, zurückgehen konnte.

Arrhythmie [Rap-FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt