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Der Klang des vor meinen Füßen zerbrochenen Glases hallte immer noch in meinen Ohren nach. Mein Atem war ins Stocken geraten, mein Herz schlug unaufhaltsam schnell in meiner Brust. Ich bemerkte gar nicht, wie sich langsam die Flüssigkeit des teuren Champagners auf dem gesamten Boden des Studios verteilte, denn ich konnte nicht von ihm ablassen. Ich konnte meinen Blick nicht von diesem Gesicht abwenden, das mir nur eine kalte Front entgegnete. Ohne es zu registrieren, biss ich mir auf die Zunge, um einerseits meinen Schock, andererseits die psychische Belastung zu verdrängen.

Er stand einige Meter von mir entfernt. Wie bereits erwähnt, strahlten seine Gesichtzüge keinerlei Wärme aus. Die Haare und der Bart waren noch so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Auch an seinem Kleidungsstil hatte er nichts verändert, außer, dass er an dem heutigen Tag einen lässig schwarzen Sportanzug trug. Meine Augen huschten zu seinen Lippen, seinen Händen, wieder zurück zu seinen abweisenden Augen. Ich musste unausweichlich an diese Nacht vor einem Jahr denken.

Ich war mit ihm gegangen, weil ich ihn nett fand. Einfach nur nett. Vielleicht hatte mich auch einfach nur das Angebot, das er mir zustehen lassen hatte, fasziniert. Wer wickelte eine Frau schon um den Finger, indem man ihr versprach, einen Döner auszugeben? Ja, genau ich war darauf hereingefallen. Ich blöde, betrunkene Luisa, die sich einfach nur nicht eingestehen wollte, dass sie den Typen dort vor ihr vielleicht doch ein kleines Bisschen interessanter, anziehender und attraktiver fand, als die anderen Kerle, die was von ihr wollten. Ich wurde augenblicklich rot, als ich an uns beide in seinem Bett dachte. Noch bevor ich jedoch weiter in meine Gedanken getragen wurde, schmiss mich Anis' Hand auf meinem Rücken wieder in die Gegenwart und aus der wollte ich gerade einfach nur noch verschwinden.

"Lu, was ist denn hier passiert?" Anis fing sofort an, die großen Teile der ehemals vollen Veuve Clicquot-Flasche aufzusammeln und einen Besen zu besorgen. Ich dankte ihm für diese fast schon väterlichen Züge, die er dort an den Tag legte, aber noch immer kam kein Wort aus meinem sonst doch so immer gesprächigen Mund.

"Ihr ist das Ding aus der Hand gerutscht. Kann passieren." Ich verfolgte den mir immer noch Unbekannten und sah, wie er sich eine Zigarette anzündete. Ja, auf diese unerwartete Überraschung hätte ich auch so eine benötigt.

"Ja, schade, aber ich besorge dir in den nächsten Tagen einen Neuen. Ist ja schließlich dein Willkommensgeschenk." Ich achtete kaum auf die Worte meines Chefs, sondern nickte nur und bekam mit, wie sich etwas im Gesicht des Fremden regte. Verwirrung machte sich breit.

"Warte, ist sie etwa die Grafikdesignerin, über die du schon die ganze Zeit redest?" Ich hätte schwören können, dass er sich fast am Rauch der Kippe verschluckt hatte. Auf diese fast schon empört klingende Frage gab Anis nur ein stilles, aber vielsagendes Nicken von sich.

"Brudi, reg dich doch mal nicht auf. Ich habe auch gedacht, dass sie hässlich ist." Als letztes kam Vladi, nach Lars und Lukas, ins Studio geschlendert. Er benahm sich so, als hätte er gekifft, doch ich vermutete, dass er einfach nur so war. Ich war ihm für seine lockere Art in dieser Situation dennoch irgendwie dankbar. Von Anis und dem Unbekannten konnte ich nicht viel schwindenden Druck merken. Vladis' erheitertes Lachen killte die angespannte Stimmung sofort.

Das erste Mal seit dem Betreten des Studios wandte ich mich von meiner Bekanntschaft ab und folgte Anis nach hinten in die kleine Küche. Sie war noch immer so eingerichtet, wie damals. Selbst die gleiche Kaffeemaschine, die ich übrigens nur zu gut genutzt hatte, stand noch an Ort und Stelle. Ansonsten erstrahlten die Wände nicht mehr in einem reinen Weiß, sondern einem freundlichen Grün und die schon früher recht alten Stühlen wurden durch Neue ausgetauscht. Der Rapper war gerade dabei zusammen mit Lukas, die Glassplitter im Mülleimer verschwinden zu lassen. Ich wusste, dass es Zeit war für eine Entschuldigung, auch wenn ich wusste, dass Anis sie mir nur ausschlagen würde.

Arrhythmie [Rap-FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt