Wie konnte er einfach so entspannt hier rumsitzen? Wie konnte er einfach so Zigarette nach Zigarette rauchen, ohne gelangweilt zu sein? Wie konnte er seit einer Stunde einfach kein einziges Wort von sich geben und sich keinen Augenblick von seinem Handy abwenden? Er wirkte müde, wenn ich ab und zu meine Augen über ihn fliegen ließ, während ich bereits seit vier Stunden am Cover seiner ersten Single, die nach dem letzten Album rauskommen sollte, saß und mit keinem meiner Entwürfe zufrieden wurde.
Seine Haltung mir gegenüber wirkte abwesend, als würde er sich gerade nicht im Studio mit mir befinden. Die Nacht war schon so weit fortgeschritten, dass es am Himmel dämmerte und natürlich merkte man uns das beiden an. Ich war schon lange nicht mehr so spät am arbeiten gewesen, doch irgendwie verging die Zeit mit ihm sowieso langsamer. Wir sprachen kein Wort miteinander, denn ich wusste, dass er mit nichts zufrieden war. Das letzte Mal, als ich ihn vor einer Stunde nach seiner Meinung gefragt hatte, zuckte er nur belanglos mit den Schultern und ich hätte ihm am liebsten in dieses desinteressierte Gesicht schlagen können.
Aber er blieb trotzdem. Er sah es nicht ein, wie ein eingebildeter Arsch nach Hause zu fahren, während ich noch bis in die frühen Morgenstunden an seiner Single saß. Auch wenn er mich in den letzten Tagen nur noch aufgeregt hatte, schien es mir, als bräuchten beide von uns die Nähe des anderen. Wir hörten keine Musik, wir sprachen kaum miteinander, wir tauschten uns nicht über die Arbeit, die vor uns stand aus. Er ließ nur das ungesunde Zeug in seine Lungen, chillte auf der Couch und schaute mir ab und zu unauffällig über die Schulter.
Ich fragte mich, wieso er überhaupt noch blieb. Gestern hatten wir uns so laut angeschrien, dass sich Anis schließlich von uns verabschiedet und uns alleine gelassen hatte. Er meinte, dass er diesen Kindergarten nicht mehr aushalten könnte. Ja, ein Kindergarten war das, was wir hier seit Wochen waren. Er hatte keinen Bock auf die bevorstehende Tour. Er hatte keinen Bock, Musik zu machen. Er hatte keinen Bock auf mich und das zeigte er mir auch. Diese Harmonie, die mal zwischen uns ohne Probleme geherrscht hatte, wandelte sich mit jeder Minute, die wir miteinander verbrachten, in Unzufriedenheit und stellenweise sogar Hass um.
Ich glaubte, ich könnte alles aus diesem Cover machen, er würde es nicht akzeptieren. Er würde wollen, dass ich mich für ihn aufopfere, damit er sah, dass er mir noch immer genauso viel bedeutete, wie vor dem 'Dreams'-Album. Er wollte an mir festhalten, doch er zeigte es mir nicht, wie er es immer tat. Er konnte nicht zeigen, was er für einen Menschen empfand, weil er es nicht einsah seine Mauer fallen zu lassen. Denn wenn es um etwas wirklich echtes ging und es mal nichts mit Musik zu tun hatte, dann war Michael Schindler ein Feigling.
Die Uhrzeit bestätigte mich, dass die Arbeit für heute getan war. Daraufhin schloss ich die Programme und schaltete den iMac aus. Michael hob erst den Kopf von seinem Smartphone, als er mitbekam, dass ich vom Bürostuhl aufstand, meine Kippenschachtel, Feuerzeug und Handy in meiner Jackentasche verschwinden und das Licht der kleinen Lampe am Schreibtisch erlischen ließ. Er sprang von der Couch auf, sein Gesicht sah ich in diesem Moment nicht, da ich mich langsam zum Ausgang aufmachte.
"Hey, bist du fertig?" Er nahm mein Handgelenk in seine Hand und forderte mich so zum stoppen auf. Er war tatsächlich überrascht, doch immer noch überwiegte diese Gleichgültigkeit in seiner Mimik.
"Nein, aber ich zumindest bin müde und freue mich auf ein Bett." Ich versuchte mich von seiner Berührung loszureißen, aber er blieb standhaft und rollte mit den Augen. Ja, ich hätte jetzt gerne meine Faust in seinem Gesicht gesehen.
"Lu, der Release ist übermorgen, falls du es vergessen hast. Ü•ber•mor•gen." Er betonte jede einzelne Silbe mit besonderem Nachdruck, als müsste er einem Erstklässler das Alphabet beibringen. Er verstand wohl nicht, dass ich mich hier für ihn den Arsch aufriss und das seit drei Tagen ohne Unterbrechung.
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Arrhythmie [Rap-FF]
FanfictionNach einem Jahr ohne Kontakt, wird Luisa von ihrem ehemaligen Chef, Anis Ferchichi, alias Bushido, zu den HipHop.de Awards eingeladen. Die Grafikdesignerin wird schnell in ihr früheres Leben zurückkatapultiert und bekommt die Chance, abermals für...