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»Wir können doch über alles reden, Lu. Bitte, lass treffen.«

Es war die letzte SMS von Capi, die ich, frisch aus der Dusche kommend, gelesen hatte. Ja, ich hatte mich schließlich am heutigen Montagabend dazu aufraffen können, seine Nachrichten zu lesen. Davor gab es sowieso keine freie Minute, in der ich mir einen Blick auf mein Smartphone hätte leisten können. Ich arbeitete den gesamten Tag am Design der Dose für Red Bull und war froh, die Arbeit eine Stunde früher verlassen zu können, da mein Vorgesetzter Herr Kluger sehr zufrieden mit meinen Fortschritten war. Jetzt, da ich erst einmal alleine in der Wohnung war, hatte ich genug Ruhe, um mich dem Rapper zu widtmen. Es waren meistens die gleichen Sätze.

'Lass bitte treffen'. 'Ich möchte es dir nur erklären'. 'Ich kann das nicht so zwischen uns belassen'. Damit hatte Vladi Recht. Seit Freitag verschwendete ich die meisten Gedanken an ihn, da ich ihn genauso vermisste, wie er mich. Dass ich einfach Angst davor hatte, ihm eine Antwort darauf zu schreiben, war das, was mich aber bisher daran gehindert hatte, auf seinen Chat zu gehen. Letztlich war es ein simples 'okay, um 9 im Studio'. Ich wartete gespannt, bis die Nachricht bei ihm ankam, er sie schließlich sah und ein 'gut, nice, bis später' zurückschrieb.

Ein kleines, erleichtertes Lächeln fuhr über meine Lippen, ehe ich meinen Turban von Handtuch vom Kopf herunternahm und wieder ins Bad schlenderte, in dem ich mir anschließend die Haare föhnte, mir etwas Mascara auf die Wimpern machte und schnell in einen großen, bequemen Kapuzenpullover und eine schlichte Jogginghose schlüpfte. Zufrieden blickte ich auf die Uhr im Wohnzimmer, griff noch schnell nach einem Stift und Zettel und schrieb David, der gerade beim Einkaufen war, eine kleine Nachricht, dass ich kurz im Fitnesscenter war. Er musste nicht wissen, dass ich nicht einmal bei so einem Ding angemeldet war. Ich verheimlichte schon mein halbes Leben vor ihm, was ich zwar alles andere als gerne tat, es aber so besser für uns beide war.

Ich kannte die Strecke bis zum Studio bei Nacht mittlerweile besser, als bei Tag, sodass ich nach knapp einer vierteln Stunde angekommen war. Von Capi's Wagen war noch keine Spur zu sehen, ich war aber auch eine halbe Stunde zu früh dran. Etwas zittrig begab ich mich ins Gebäude, in dessen Treppenhaus mir eine ältere Dame entgegenkam. Sie musterte mich kurz, ehe sie ihren eigentlichen Weg nach draußen fortfuhr.

Das Studio lag im Stadtviertel Neukölln, was nicht gerade der Lage entsprach, die man sich fürs EGJ-Studio gedacht hätte, doch Anis bestand darauf, um den alten Zeiten willen. Es hatte irgendetwas klassisches, meinte er immer und ich konnte ihm da nur zustimmen. Es war zwar immer noch komisch in einem Viertel mit den angesagtesten Schuhen von Nike, den neusten Oberteilen von Gucci, Givenchy oder Supreme und den edelsten Uhren von Rolex herumzulaufen, aber der Kern würde immer der gleiche bleiben. Ich merkte erst jetzt, an wie viele Zitate ich mich von ihm bis heute erinnerte. Ich schwelgte zu viel in der Vergangenheit.

Bevor ich meinen Schlüssel für das Studio in meinem Schlüsselbund suchen wollte, vernahm ich vom Inneren her gedämpfte Musik. Es war anscheinend schon jemand vor mir da. Ich verstaute meine Schlüssel schließlich nebenbei in der Hosentasche und drückte mit der rechten Hand die Türklinke herunter. Im Studio selbst schimmerte die übliche recht dunkle, doch irgendwie gemütliche Beleuchtung. Ich sah niemanden an den Schreibtischen sitzen oder auf den Soafs liegen, sodass letztendlich nur die Küche oder das Bad übrig blieben. Mit meiner ersten Vermutung behielt ich recht. Hussein trat im selben Augenblick aus der Küche, als ich in sie hineingehen wollte. Er verschüttete fast seinen Kaffee auf mir und fluchte vor sich hin. Natürlich hatte er wieder eine Kippe an, die läsefer zwischen seinen Lippen hing.

"Alter, hast du mich erschreckt. Was machst du hier? Ich habe keinen weiteren von euch erwartet." Ich war auf alles vorbereitet gewesen, doch nicht darauf, dass er so belanglos mit mir anfing zu reden. Er war wie Michael. Er sprach nicht gerne, zumindest nicht in meiner Gegenwart, aber er musterte mich gerne. So machte er es auch gerade jetzt wieder.

Arrhythmie [Rap-FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt