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Todesmüde ließ ich mich auf die Couch im Studio fallen und schloss meine Augen. Nach zwei Wochen harter Arbeit, kaum Erholung und stetigem Pendeln zwischen dem EGJ Label und der Marketing- und Managementabteilung von Red Bull, war es der erste Abend seit langem, an dem ich nichts zu tun hatte. Es war Anfang Juli, was mir erst gestern früh beim Betrachten meines vollen Kalenders aufgefallen war und doch hatte sich mein Zeitgefühl geirrt. Ich fühlte mich wie im Dezember, denn wie auch im Winter, fing mein privates Leben erst an, wenn es schon draußen wieder dunkel war.

Bis auf Anis, mit dem ich mich jedoch immer öfters in seinem Haus traf, hatte ich die anderen Rapper und Mitglieder des Labels zu lange nicht mehr gesehen. In wenigen Tagen würde die dritte Single des Albums, 'Für Euch alle', rauskommen. Als große Ankündigung natürlich mit Capital Bra. Es war noch nicht offiziell bekannt gegeben worden, dass er bei EGJ unterschrieben hatte, auch wenn er schon fast über einen Monat mit den Jungs von Anis abhing.

Nach den Awards gab es große Gerüchte, aber da niemand von ihnen etwas angedeutet hatte, mussten die Medien und Fans warten. Mit diesem Lied sollte die perfekte Überraschung in der deutschen Rapwelt perfekt werden. Capi war heute die erste und wahrscheinlich auch erst einmal letzte Person, die mir von dieser Gruppe über den Weg laufen würde. Er spielte gerade etwas an seinem Laptop herum, suchte anscheinend nach einem Song, den man ungestört im Hintergrund laufen lassen konnte.

Aber ich brauchte nichts, außer Schlaf. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, Vladi zu besuchen. Es war zwar noch nicht einmal acht Uhr Abends, doch ich konnte schwören, dass ich es nicht mehr von der Couch auf schaffen würde. Das Leder war zu weich, sodass man direkt so tief einsank, dass man sich regelrecht rauswuchten musste. Schon damals hatte ich hier ab und zu ein Nickerchen gemacht, auch wenn ich heute eigentlich nicht diese Absicht hatte. Mein Körper zwang mich aber regelrecht dazu. Bevor ich eindösen wollte, erklang die Musik aus den Boxen, die an den Wänden des Studios befestigt waren.

Mir drehte sich der Magen bei diesem Lied um und das nicht nur einmal. Es war wieder einmal 'Rohdiamant' von Samra. Mir erschien es so, als wäre es zur Zeit Capi's Lieblingslied, denn er hatte es schon vor zwei Wochen auf Dauerschleife gehört. Zu meinem Leidwesen hatte sich das anscheinend nicht verändert. Ja, ich war froh mehr als 10 Tage Ablenkung von dieser Nacht vor der Bar gehabt zu haben. Mein Job war endlich wieder der Mittelpunkt in meinem Leben, auch wenn ich nie gedacht hätte, dass ich das einmal super fand.

Zudem kam dann auch noch David, der beschlossen hatte, zwei weitere Wochen in Berlin zu bleiben. Hauptsächlich hatte Toni unter der Woche etwas mit ihm gemacht, während mir das Wochenende mit meinem Bruder übrig blieb. So oft war ich in verschiedenen Kneipen und Clubs in so kurzer Zeit schon lange nicht mehr gewesen, aber ich genoss es. Bis auf den Abend, an dem Hussein vorbeigeschaut hatte, waren jede andere Abende wundervoll gewesen. Wer der 'Fremde' war, dem David hinterhergebrüllt hatte, wusste Antonia derweil immer noch nicht und ich schaffte es auch bis jetzt, es ihr weiterhin zu verschweigen.

Zu meiner Überraschung fragte sie David dazu gar nicht. Sie ging anscheinend davon aus, dass er Hussein genauso wenig kannte, wie sie. Diese scheiß Ausrede von mir meinem Bruder gegenüber musste nicht ans Tageslicht kommen. Bisher hatte er mich nur noch einmal nach Hussein gefragt, doch ich hatte schnell deutlich gemacht, dass dieses Kapitel ja angeblich beendet sei. Seitdem ging David wohl davon aus, dass die Beziehung nicht mehr bestand. Ich wusste es nicht, aber irgendwie redeten wir in unserer Familie nicht so intensiv über solche Themen. Es lag anscheinend in unseren Genen.

Ich schreckte hoch, als mich Vladi plötzlich am Bauch kitzelte, nur um im Nachhinein einen Platz auf der Couch neben mir zu ergattern. Seufzend legte ich mich wieder hin. Dieses Mal dafür mit meinen Kopf auf seinen Schoß. Er beachtete es gar nicht. So lagen wir schon oft zusammen und irgendwie kam in mir der Gedanke auf, dass wir uns ziemlich schnell nahe gekommen waren, obwohl wir uns bis heute gar nicht sehr gut kannten. Klar, wir wussten, wie alt der jeweils andere war, woher er kam und weitere solche unnötige Fakten, aber neben Unterhaltung über Gott und die Welt, sprachen wir nie über private Dinge. Wie also sollte ich das hier zwischen uns nennen? War Vladi einfach nur eine Bekanntschaft von der Arbeit? Im Grunde schon, oder?

Arrhythmie [Rap-FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt