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Ich beobachtete sie, wie ihre Hände sich an sein Gesicht legten und ihn näher an ihren Körper heranzogen. Beide trugen ein Dauergrinsen auf ihren Lippen, bewegten sich taktvoll zu den Beats, die laut durch den Club dröhnten. Zusammen sahen sie perfekt aus, fast zu eingespielt, könnte man sagen. Wie sich seine Hände fast automatisch ihre Hüften suchten, sie ihre in seinem Nacken ausruhte. Sie waren kein Paar, küssten sich nicht, doch sie waren sich so innig, wie ich es eigentlich mal mit ihm war.

Vor einem Tag hatte Capi seine Single 'Melodien' veröffentlicht, die ich mittlerweile schon so oft gehört hatte, dass ich komplett vergaß, dass sie mir gewidmet war. Das Verhalten des Rappers mir gegenüber ließ davon jedoch nichts mehr zeigen. Er wurde abgelenkt durch Juju, die sich in jeder freien Sekunde an ihn hing und die langen Nächte, in denen er seit zwei Wochen nun durchgearbeitet hatte, um seine Songs Stück für Stück wieder zu erarbeiten. Ich dagegen wurde abgelenkt durch viel mehr.

Beim Album von Anis machten wir große Sprünge. Es stand endlich der endgültige Name 'Mythos' und das Design des Covers und der dazugehörigen Box fest. Lukas kam auf die Idee einer alten MPC, die Anis noch bis heute für viele seiner Beats miteinbaute. Von mir kam die Umwandlung in die Wirklichkeit und laut den Mitgliedern des Labels konnte sich das Ergebnis sehen lassen. Das kommende Lob für meine Arbeit, die wieder an erster Stelle stand, ließ mich zumindest einen kleinen Teil des Vorfalls mit Antonia und Kalil vergessen.

Ich fühlte mich seit Tagen, auch wenn ich es oft war, nicht mehr alleine. Nicht, dass ich Paranoia hatte, doch ich schaute jede Nacht nach, bevor ich ins Bett ging, ob unsere Wohnungstür auch doppelt abgeschlossen wurde. Wenn ich nachts nach Hause fuhr, telefonierte ich oft mit Antonia oder tat so, als müsste ich noch etwas mit Hussein besprechen, weil ich jederzeit eine mir vertraute Stimme hören wollte. Dass ich das machte, wegen der Angst von einem Freund von Kalil verfolgt zu werden, zeigte ich nicht.

Auch wenn sich der ehemalige Kollege von Vladi nicht mehr gemeldet hatte, wusste ich, dass er wusste, dass Nurim, der in seinem Auftrag zu mir Nachhause gekommen war, im Krankenhaus lag. Vielleicht hatte er ihn ja auch schon besucht und gesehen, wie sehr ihn Toni zugerichtet hatte. Sie hatte ihn zuerst Pfefferspray in die Augen gesprüht, ihn dann mit voller Wucht gegen unseren Glastisch im Wohnzimmer geschmissen und schließlich mit einer Stuhllehne zwei-, bis dreimal auf den Kopf geschlagen. Meine beste Freundin musste mir und Hussein das einige Male erklären, als wir es letztlich begreifen konnten. Sie meinte immer nur wieder, dass sie das mal in einem Film gesehen hatte und ihr aus lauter Panik nichts besseres eingefallen war.

Hussein hatte gelacht und sie versucht aufzumuntern. Die erste Annäherung zwischen den beiden und zu meiner Überraschung war Toni auf ihn eingegangen. Wenn sie nur gewusst hätte, dass dieser Nurim nur zu uns gekommen war, weil er sich wegen Capi an mir rächen wollte, da ich Kalil's Anordnungen nicht gefolgt war die Songs verschwinden zu lassen, dann wäre meine Freundin sicherlich nicht mehr so gut auf Hussein zu sprechen. Auch wenn er nichts damit zu tun hatte, war er dennoch ein Rapper und genau bei so einem stand ich jetzt auf der Abschussliste. Dass ich das für mich behielt war selbstverständlich. Ich konnte und wollte da nicht noch jemanden mit reinziehen, wenn ich nicht schon Antonia mitgenommen hatte, die seitdem oft das Gespräch mit mir suchte. Sie konnte das alles nicht richtig verarbeiten.

Meine Aufmerksamkeit wandte sich wieder an Capi und Juju, die sich immer noch voller Elan auf der Tanzfläche befanden. Bei Vladi's Anblick wusste ich, dass sein Gelächter und die gute Stimmung zu einem großen Teil nur aufgesetzt war. Nicht, weil er Juju scheiße fand, sondern weil er müde und kaputt war. Diese Last, die auf ihm lag, konnte ich nachvollziehen, denn es war die gleiche, die meinen Magen zusammenzog, wenn ich ihm im Studio dabei zusah, wie er sich neue Texte und Beats ausdachte. Wie er für das kämpfte, was ich ihm wie ein beschissener Feigling genommen hatte. Ich war für das alles verantwortlich und konnte es niemandem sagen.

Arrhythmie [Rap-FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt