Vor geraumer Zeit hatte ich eine Mauer um meine Erinnerungen errichtet.
Sie bot mir den nötigen Schutz vor den Schatten meiner Vergangenheit. Dank ihr fühlte ich mich stark. Viel stärker, als ich es ohne sie jemals war.Ich wusste genau bis wohin ich gehen konnte, ohne den Einsturz der Mauer Billig in Kauf zunehmen. Die Grenzen waren für mich klar und deutlich - schließlich hatte ich sie selbst gesetzt.
Doch Lucifer hatte mit einer einzigen Frage diesen Schutz zerstört und ich bildete mir sogar ein, dass ich fast das stumpfe Geräuch des Einsturzes hätte hören können.Lucifer saß neben mir auf der Couch und sagte nichts.
Vermutlich wunderte er sich über die Grimasse, die ich eben zog. Diese war weder süß, noch handelte es sich um eine lustige Grimasse.
Es war die Grimasse einer Frau, die sich an eine nicht so schöne Kindheit erinnerte.Mein Vater verstarb früh und meine Mutter kannte ich nie. Es hieß, sie hätte kein Baby gewollt. Also kam ich in eine Pflegefamilie, welche Strafen für ein Zeichen der Fürsorge hielten.
Richtig angekommen, war ich nie und die Frage "was wäre wenn?" beschäftigte mich oft.Meine Pflegefamilie war streng - sehr streng sogar.
Manchmal befürchteten sie, der Satan könnte mir heimlich zuflüstern. Dann wurde ich von ihnen in mein Zimmer eingesperrt. Oft nur für ein paar Tage, aber es gab auch Zeiten, da wurde aus den Tagen Wochen.Egal wie lang ich eingesperrt wurde, es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Sie ignorierten mein Flehen und bald hatte ich damit aufgehört. Es hat sie einfach kalt gelassen.
Sie waren der Meinung, das dies das Beste für mich sei und ich ihnen dafür dankbar sein sollte.Aber ich hasste sie. Ich war doch nur ein Mädchen, dass ebenso trotzig war, wie jedes andere Kind auch. Ein Kind, das nur geliebt werden wollte.
Immer dann habe ich mir gewünscht, dass er tatsächlich kommen würde. Ich wünschte mir, dass er sie holen und mich aus meiner eigenen Hölle befreien würde.Bevor ich in diese Stadt kam, konnte ich mich endgültig losreißen und die Annonce war der Startschuss.
Es war, als wenn eine innere Stimme mir dazu riet, zu verschwinden. Ich folgte ihr und nun sitze ich hier - mit einem Mann, der ironischer Weise Lucifer hieß.Dieser hatte noch immer kein Wort gesagt. Er schwieg und doch war es kein drängendes Schweigen, sondern eher ein du-musst-nichts-sagen-wenn-
du-nicht-willst Schweigen.
Ich spielte nervös mit meinen Fingern und lies sie knacken. Doch Lucifers Finger brachten meine zum ruhen.
"Nicht." flüsterte er.Seine Hand war kalt, aber bei seiner Berührung breitete sich in meinem Inneren eine große Hitze aus.
Ich war mich sicher, dass er sie gleich wieder wegziehen würde, doch er tat es nicht.
Stattdessen streichelte er mir einmal sanft über die Finger. Sie wirkten so zerbrächlich im Gegensatz zu seinen.Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm von meiner Vergangenheit erzählen sollte, aber ich beschloss es zu tun.
"Ich wuchs in einer Pflegefamilie auf, die die Existenz von Satan fürchtete."
Ich zuckte mit den Schultern, als hätte ich eben über das Wetter gesprochen.
Zufrieden stelle ich aber fest, dass dies eine sehr akzeptable Erklärung meiner Vergangenheit war.Aber als er noch immer nichts sagte, wurde ich stutzig und sah zu ihm auf. Ich hatte ja wirklich alles erwartet: angefangen von mitfühlenden Worten bishin zur Ungläubigkeit.
Aber das er schweigen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Er nickte kurz, aber schien mit seinen Gedanken in weiterer Ferne zu sein.Ich hatte nicht vorgehabt ihn dabei zu stören, aber da kam mir Raphael in den Sinn. Die Begrüßung der Beiden war nicht so, wie man es von Brüdern eigentlich erwartete.
"Wie ist das bei dir?" platzte es aus mir heraus.
Jetzt löste er seine Hand von meiner und ich bereute meine Frage sofort.Sein Gesicht war unergründlich, aber zu meinem Erstaunen, antwortete er trotzallem.
"Ich pflege kein gutes Verhältnis zu meiner Familie, Alba. Genauer gesagt habe ich überhaupt keinen Kontakt zu ihnen. Raphael ist der Einzige."Ich war ihm für seine sehr ehrliche Antwort dankbar, aber ich hätte auch gern mehr erfahren. Also biss ich mir auf die Lippe, damit mir keine weitere Frage herausrutschte.
Auf keinen Fall wollte ich es mir durch meine neugierige Art mit ihm verscherzen.Ein leises Lachen kam über seine Lippen und als ich aufsah, waren seine eisblauen Augen auf mich gerichtet. Noch immer raubten sie mir den Atem.
Ob ich mich jemals an sie gewöhnen werde?
"Das reicht dir nicht oder?" Er wirkte belustigt.Ich schüttelte den Kopf, aber zuckte dann fix mit den Schultern.
"Ich bin dir sehr dankbar für deine Antwort. Aber ich bin halt auch.. sehr neugierig."
Wieder lachte er leise und ich wurde ein wenig rot.
"Meine Familie und ich hatten oft eine unterschiedliche Ansicht auf gewisse.. Dinge. Am Ende führte es dazu, dass ich verstoßen wurde. Mir ist es nicht erlaubt zurückzukehren."Oh, nein!
Meine eigenen Gefühle überwältigen mich mit einem Schlag. Ich fühlte mich schrecklich schuldig, ihn jetzt daran zu erinnern und vorallem hatte ich wahnsinniges Mitleid mit ihm. Ich schlang meine Arme um ihn und er zuckte überrascht zusammen. Damit hatte er nicht gerechnet."Es tut mir leid." flüsterte ich leise, aber er hatte es gehört.
Ein Lachen kam ihn über die Lippen und erwiderte zaghaft meine überaus überschwängliche Umarmung.
"Was tut dir leid?" Das Lächeln war in seiner Stimme zu hören.
"Alles - aber allem voran, das ich dich jetzt daran erinnere."
Ich spürte, wie er sich unter meinen noch immer um ihn geschlungenen Armen, verkrampfte."Habe ich etwas Falsches gesagt?" Ich spürte die Panik in mir aufsteigen.
Gott, Alba. Du machst alles nur noch schlimmer!
"Nein." erwiderte er knapp. "Mir tut es leid." Was meinte er damit?
Erleichtert stellte ich fest, dass er sich ein wenig entspannte.Als Lucifer auf seine Uhr sah, wusste ich genau, was gleich folgen würde.
"Ich muss jetzt gehen."
Ich löste meine Arme von ihm, auch wenn sich jede Faser meines Körpers dagegen sträubte.
"Okay." sagte ich und versuchte mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.Ich begleitete ihn zur Tür. Er schien es mit einem Mal sehr eilig zu haben.
Mit einer schnellen Handbewegung schloss er den obersten Knopf seines Hemdes und zog die Krawatte wieder enger.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals weg und öffnete ihm die Tür.Sein Blick war auf den Boden geheftet und nervös fuhr er sich durch seine tiefschwarzen Haare.
Lucifer sein Blick glitt nach oben und traf meinen. Ich sah in seine Augen - sie funkelten. Da wusste ich, dass er genauso unsicher war, wie ich.Hoffnung durchströmte mich und bei der Intensität seiner Augen wurde mir ein wenig schwindlig. Mein Atem ging nun schneller als zuvor und ich wartete auf seinen nächsten Schritt.
Er sah mir noch immer tief in die Augen, als er plötzlich meine Hand ergriff und sich langsam zu ihr vorbeugte, um sie zu küssen.
"Bis später." versprach er.Doch ich konnte weder antworten, noch konnte ich mir ein dümmliches Grinsen verkneifen.
Das Grinsen eines Mädchen, die von ihrem Schwarm auf die Hand geküsst worden war. Es war mir egal, dass er mich nicht auf den Mund geküsst hatte und es war mir auch egal, dass er fort musste - na gut, dies war mir fast egal.In diesem Moment gab es nur Lucifer, mich und seinen kleinen hauchzarten Handkuss. Aber für mich war es nicht nur das. Nein, es war mehr und ich hätte glücklicher nicht sein können.
Er ging, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen. Aber das war okay.
In Gedanken war ich sowieso ganz woanders. Außerdem wäre das viel zu vorhersehbar für Lucifer gewesen.
Er hatte mir mit seinem Handkuss mehr gesagt, als es Worte getan hätten.Ich spürte, dass auch ich für ihn mehr war.
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Lucifer
FantasyAlba ist neu in der Stadt und bekommt die einmalige Chance auf einen guten Job in einer der angesagtesten Firmen der Stadt. Schnell merkt sie jedoch, dass ihr neuer Chef anders ist als die anderen: unfassbar schön und mysteriös zu gleich. Doch das h...