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Es waren einige Sekunden nötig, ehe ich verstand, was er mir damit mitteilte und was dies bedeutete. Hielt er mich etwa für eine Lügnerin?

Sein intensiver Blick durchbohrte mich und er beobachtete streng meine Reaktion auf seine Worte, während er auf meine Antwort wartete.
"A-aber.." stammelte ich und spielte dabei nervös an meinem Oberteil herum.

Ich schluckte schwer und schloss dabei meine Augen, da hörte ich ihn leise räuspern - er wollte endlich eine Antwort.
Langsam hob ich meinen Zeigefinger, um ihn still um etwas Geduld zu bitten. Ich wollte mir sicher sein, dass es stimmte und so ging ich nochmal die Fakten durch.
Dann sagte ich schließlich:
"Nein, Lucifer, ich bin mir sicher. Ich habe diese Annonce definitiv in einer Zeitung gelesen." Und zum ersten Mal war in seiner Gegenwart kein Anflug von Unsicherheit in meiner Stimme zu hören.

"Ich glaube dir." sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit und ich spürte seinen Blick auf mir.
Sobald ich diesen erwiderte, war es um mich geschehen und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Seine Augen, diese unbeschreiblich schönen Augen. Seine perfekt geschwungenen Lippen, die bestimmt wahnsinnig gut küssen konnten. Seine perfekt geschwungenen Augenbrauen, mit denen er so gern spielte, während er sprach und seinen Worten nur umso mehr Ausdruck verschaffte. Sein tiefschwarzes Haar und diese widerspenstige Haarsträhne, die sich von den anderen getrennt hatte und ihm in diesem Moment locker im Gesicht hing.
Er war in jeder Hinsicht perfekt und überirdisch schön.

Ich hatte nicht bemerkt, dass ich ihm näher gekommen war. Mein Gesicht war ihm nun so nah, dass ich seinen Atem spüren konnte. Und verdammt! Er roch so gut. Und wie gut er roch! Gedankenverloren atmete ich heimlich seinen Duft ein. Ich wollte mich unbedingt später noch daran erinnern. Meine Augen klebten nun an seinen Lippen. Ob sie sich auch genauso weich anfühlten, wie sie aussahen?

Meine Gedanken waren das reinste Durcheinander, doch seine Worte und seine Stimme beförderten mich augenblicklich in die Realität zurück.
"Alba, ich denke du solltest jetzt gehen." Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Ich schluckte schwer.

Er will, das ich gehe.

Ich nickte und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich seine Worte verletzt hatten.

Er findet mich nicht attraktiv.

Ich schnappte mir meine Tasche, murmelte ein kleines "Dankeschön" und stieg aus dem Auto.
Ohne mich noch einmal umzudrehen, verschwand ich zügig Richtung Eingangstür.

Was hatte ich erwartet? Das er mich mögen könnte? Wahrscheinlicher war es doch, dass er nur Mitleid hatte. Ja, das musste es gewesen sein. Ich war mir mit einem Mal sehr sicher.

Ich eilte die Treppen hoch und sobald ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen hatte, konnte ich sie nicht länger zurückhalten - meine Tränen.
Und zum zweiten Mal an diesem Tag wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Was zum Teufel, hatte ich mir nur gedacht? Diese Frage stellte ich mir noch gefühlte hundert Male, ehe ich unruhig in den Schlaf fand.

Mein Handywecker weckte mich am Morgen pünktlich. Kurz kam mir der Gedanke einfach zu kündigen, doch ich verwarf ihn schnell wieder.
Wie gewohnt ging ich pünktlich zur Arbeit. Vor dem Gebäude blieb ich noch einmal kurz stehen und atmete ein letztes mal tief ein. 'Kopf hoch, Alba'

Den ganzen Tag konnte ich mich weder auf meine Arbeit, noch auf irgendwelche Gespräche mit Kollegen konzentrieren.
Egal welchen Raum ich betrat, wie automatisch suchten meine Augen diesen nach ihm ab. Aber er war nirgends zu sehen.

Zur Krönung des Tages gab es da noch ein Problem mit meinem Drucker. Ich widerstand dem Drang mit voller Wucht auf den Drucker zu hauen und schnappte mir ein Telefon, um die IT Abteilung zu verständigen.

"Hallo?" Sagte eine raue, männliche Stimme am Telefon.
"Ehm.. Hallo, hier ist Frau Lovett. Ich habe ein Problem mit meinem Drucker."
"Ist er denn auch angeschaltet?" die Stimme am anderen Ende klang ernst, auch wenn ich auf einen Scherz hoffte.
"Bitte?" fragte ich mit scharfer Stimme. Eventuell etwas zu scharf als beabsichtigt. Sofort tat es mir leid.

Die Stimme ruderte sofort zurück.
"Hey, tut mir leid. Ich bin schon unterwegs!" Und dann hatte er auch schon aufgelegt.
Keine zehn Minuten später klopfte es zweimal an der Tür und ein junger Mann trat in mein Büro.
"Hey! Ich bin Hanno." Er reichte mir die Hand.
"Alba." ich ergriff sie.
Augenblicklich kam ich mir wegen meiner Schärfe von vorhin unglaublich albern vor. Er konnte schließlich nichts für meine schlechte Laune.

Hanno fackelte nicht lange und machte sich gleich an die Arbeit. Dabei versuchte ich, ihm vergeblich zu folgen.
"Sie sind neu im Unternehmen." stellte er fest.
"Richtig."
Mit einem Mal drehte er sich zu mir um.
"Hör mal. Diese blöde Frage am Telefon - die war nicht so gemeint. Ehrlich. Wir, also die Jungs aus der IT, hatten schon einige Härtefälle. Aber auch Fälle, wo die Geräte nur ausgeschaltet waren oder der Anschluss nicht richtig steckte." Er sah mich mit entschuldigender Miene an.

Hanno war ein etwas schmächtiger, attraktiver Mann. Er war groß und eventuell zwei Jahre älter als ich.
Ein, zweimal fuhr er sich mit der Hand durch seine zersausten blonden Haare, kniff konzentriert seine Augen zusammen, während er mein Druckerproblem zu lösen versuchte. 
"Mhm. Etwas kniffelig." murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart.

Nach weiteren zehn Minuten druckte das blöde Ding wieder.
Ich klatschte begeistert in die Hände.
"Super! Vielen Dank! Woran lag es denn?" hakte ich nach.
"Ach.. also.. puh! keine Ahnung." Lachte er schulterzuckend.
"Na du bist ja ein Experte!" ich stimmte in sein Lachen ein. "Egal, solange es wieder funktioniert."

Hanno erhob sich vom Stuhl und stand nun direkt vor mir. Er grinste noch immer von dem einem zum anderen Ohr. Erst jetzt fielen mir seine zarten Grübchen auf, was ihn gleich noch viel attraktiver machte.
Seine hellbraunen Augen waren jetzt auf mich gerichtet und sein Blick wurde etwas ernster.
"Niedliche Sommersprossen." bemerkte er.

Sofort lief ich knallrot an.
"Ehm.. danke." Nervös spielte ich mit meinen Händen und schaute etwas schüchtern zu Boden.
"Nun. Wir sehen uns!" Mit diesen Worten drehte er sich um und ging.

Ich hoffte auf ein Wiedersehen.

Lucifer Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt