IV. Ein fast perfekter Plan

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°°oJo°°

Nachdem ich einige Szenen aus Fluch der Karibik nachgestellt und mit einem Stock als Säbel in der Luft herum gewedelt hatte (dabei eine von Hazels Vasen zerlegte), lag Holly kichernd auf dem Sofa und hielt sich den Bauch. Es war faszinierend sie mit diesem Charakter zu unterhalten, den sie selbst fast so gut kannte wie ich und seine gewandten Sprüche nur so aus ihr hinaus sprudelten. Nach Zehn brachte ich Holly zu Bett und las ihr das Märchen vor das sie so sehr mochte. „Mr.Johnny, bleibst du bis ich schlafe? Bitte!" Ich setzte mich neben das Gästebett und schlug eines meiner Drehbücher auf über dem ich selbst einige Zeit später einschlief, sitzend und die Papiere auf meinen Beinen. Miss Sullivan blieb meinen Träumen fern und nach all den Nächten mit ihr, fühlte ich mich allein gelassen.

Holly weckte mich am Morgen mit den Worten sie müsse zur Schule. Da Miss Sullivan noch nicht zurück war, fuhr ich sie. „Sieh dir die Jungs an Mr. Johnny, die gucken immer ganz blöde wenn Chloe mit dem Motorrad kommt" Sie deutete auf eine Gruppe Halbwüchsiger während ich ihr den Rucksack von der Rückbank gab. „Siehst du, total blöde", kicherte sie als die Jungs schmollend abzogen.
„Vielleicht mögen sie dich und haben Angst vor mir!"
„Nee, die mögen nur das Motorrad, können aber kaum drüber gucken!" Sie lachte fröhlich. „Bis bald" Winkend hüpfte sie davon.

Ich kehrte nach einem kleinen Einkauf ins Cottage zurück und setzte mich mit einer Tasse dampfenden Kaffees an mein Drehbuch das ich bis in den Nachmittag hinein las.
Miss Sullivan müsste längst zurück sein, dachte ich als mein Telefon klingelte und ich das Drehbuch von mir fort schob. Aber sie war es nicht. Man sagte mir dass die Dreharbeiten in den nächsten Tagen beginnen und sie mich abholen würden, ich solle mich bereithalten, sie würden sich noch mal melden und mir jemanden schicken. Ausgerechnet! Jetzt! Es gefiel mir nicht jetzt fort zu gehen, ich hatte mich gerade eingewöhnt. Ich hatte mich in meinem Traum verloren, wollte nichts lieber als nicht mehr aus ihm zu erwachen und sollte nun weg von ihm – von ihr. Es traf mich wie eine heiße Ohrfeige. Ich wollte nicht weg von ihr. Eine Frau war natürlich kein – vor allem kein vernünftiger – Grund die Dreharbeiten zu verzögern. Ich stützte mich in der Küche am Tisch ab und seufzte, ich wusste nicht dass es mich so tangieren würde. Aber ich war auch hierher gekommen um vor einer anderen Frau zu fliehen, ich konnte mich nicht ewig hier verstecken und hoffen ihr nie wieder zu begegnen – zumindest dachte ich das zu Anfang. Mein Bauch schmerzte und die Türglocke läutete. Es war Holly. Ohne Miss Sullivan.

„Chloe ist noch nicht zurück und ich musste mit dem stinkigen Schulbus fahren, eklig. Darf ich noch bei dir bleiben bis Chloe zurück kommt?", fragte sie und war schon durch die Tür herein gekommen.
„Wohin ist sie gefahren?", fragte ich.
„Ich weiß nicht, ich meine, ich darf nicht darüber reden", druckste sie herum. „Ich glaube ihr ist etwas dazwischen gekommen"

Ich brummte vor mich hin, sollte sie aufgehalten worden sein, hätte sie sich wenigstens über drei Umwege melden können. Und wenn ihr etwas passiert war? Ein Unfall oder so was?
Während Holly an ihren Hausaufgaben saß, tippte ich die Nummer, die Miss Sullivan hinterlassen hatte, in mein Handy ein. Aber ich konnte niemanden erreichen, entweder war das Telefon ausgeschaltet oder sie befand sich in einem Funkloch.
„Ich kann sie nicht erreichen!", sagte ich zu Holly und sie registrierte es ohne den Kopf zu heben.
„Probiere es später noch mal, sie wird schon wieder kommen. Sie kann mich nicht einfach alleine lassen!"
„Sagte sie nicht, dass sie zu Verwandten fährt?"
„Äh ja, ich glaub schon! Ich kenne die nicht, war noch nie da!"

Mindestens vierzehn Mal versuchte ich sie an diesem Abend unter der Nummer zu erreichen. Das Haus war dunkel und verlassen als ich vorbeiging um mich ihrer Abwesenheit zu versichern. Sie war nicht da und vom Kater war auch keine Schwanzspitze zu entdecken. Holly schlief fest als ich nach Mitternacht zurückkehrte; sie hatte mir den Schlüssel gegeben, so konnte ich ein Lesebuch das sie am nächsten Tag benötigte und am Nachmittag liegen gelassen hatte mitbringen. Ich verkniff mir durch die anderen Türen zu gehen nur um meiner Neugierde zu frönen. Lediglich der offene Wohnraum gab den Blick auf einen weißen Flügel frei, die Notenblätter, zumeist waren es Stücke von Chopin dazwischen auch ein Tschaikowski, lagen verstreut da. Unweit vom Flügel stand eine weißgraue Couch, die mit bunten Kissen und Decken übersät war. In dem U welches die Polster bildeten, stand ein Glastisch der kaum als solcher zu erkennen war, da Stifte und Zettel, auf dem LapTop verstreutes Bonbonpapier, Zettel mit merkwürdigen Zeichen und Symbolen scheinbar wahllos unter einem Stapel Bücher geklemmt den Tisch unter sich begruben. Dazwischen lag noch eines von Hollys Schulbüchern, verziert mit angeknabberten Keksen und Krümeln.

Zwischen all dem entdeckte ich ein Foto von Miss Sullivan und einem Mann in einer freundlichen bis semi-liebevollen Umarmung. Das Bild schien älter zu sein, die Ecken waren geknickt, das Papier zerfleddert und auf der Rückseite war das verblichene Jahr 1989 zu lesen. Die Person auf dem Foto bedeutete ihr offensichtlich etwas, denn es gab keine weiteren Fotos hier zu entdecken, nur Bilder außergewöhnlicher Architektur in Schwarz-Weiß und ein Gemälde. Die Frau auf dem Gemälde sah der Miss Sullivan auf dem Foto und der in meinen Gedanken sehr ähnlich, gekennzeichnet mit 1897 war es womöglich ihre Ur-Ur-Großmutter. Diese Augen funkelten geheimnisumwittert aus den impressionistischen Pinselstrichen, als versteckten sie hinter ihrer Schönheit ein Geheimnis. Als ich näher herantrat, erkannte ich eine Zeichnung schräg unter dem Ohr, ein Symbol, entweder ein Tattoo oder eine Signatur des Malers. Ich tendierte zu Letzterem und ließ meinen Blick wieder über das Gemälde wandern. Wenige dunkle Locken umspielten die nackten Schultern, ein helles schimmerndes Kleid mit buschig besetzten Rosendekolleté und flauschigen Ärmeln hüllte sie ein. Im Arm ein Bund Callas. Ein mildes Lächeln zeichnete ihre perfekte Gesichtsform. In den Haaren lag ein schmales Silber-Diadem mit blütenförmig angebrachten Perlen die einen Diamanten umarmten und mit Blättern aus Silberdraht einen Zweig bildeten. Sie hätte aus meinen Träumen stammen können, so ähnlich waren sie sich. Ich hielt noch das Foto in den Händen und war verdutzt über diese Ähnlichkeit der beiden Frauen. Allein das Wissen dass zwischen den Bildern fast 100 Jahre lagen lösten meine angespannten Schultern. Ich riss mich von dem Bildnis los und legte das Foto zurück an seinen Platz. Dann ging ich Heim, ich hatte bereits viel zu viel gesehen was nicht für mich bestimmt war. Ich zog die Tür zu und schloss ab.

Bis zum Morgen hatte ich keinen Rückruf von Miss Sullivan erhalten und kaute verbittert auf meinen Lippen während ich Hollys Frühstück zubereitete.
„Mach dir keine Sorgen um Chloe, Mr.Johnny, heute kommt sie zurück!", sagte sie zuversichtlich und kippte reichlich Marmelade auf ihren Pancake. Stirn runzelnd sah ich sie an. „Mh ich spüre so etwas!", sagte sie schmatzend und die Marmelade quoll aus ihren Mundwinkeln.
„Dann bin ich ja beruhigt!", warf ich spöttisch ein und sie ignorierte es.

Als ich Holly an der Schule absetzte, erblickte ich zum ersten Mal Oliver Cooper.
„Das ist Mr.Cooper, mein Lehrer! Chloe steht auf ihn!"
„Ach wirklich?!", platzte es aus mir heraus.
„Ja!", antwortete sie und fügte hinzu: „Voll eklig!"

Eindringlich blickte sie zu mir auf, ehe sie den Türöffner betätigte und sich aus dem Auto drehte. Ich blieb noch einen Moment stehen um diesen Mr.Cooper mit seinem blitzenden Lächeln und der kurzen zotteligen Surferfrisur zu beobachten. Als Holly ihn erreichte nickte er mir freundlich zu und schob eine Horde Kinder durch das Schultor.
Mr.Cooper! Pfh! Ich verdrängte ihn und sein goldiges Grinsen aus meinen Gedanken, rief noch drei Mal bei Miss Sullivan an und erreichte drei Mal nichts. Wo konnte sie nur stecken, dass sie fast zwei volle Tage nicht erreichbar war und sich selbst auch nicht auf die Anrufe meldete? Ich wollte doch nur wissen ob es ihr gut ging! Zurück im Cottage, beseitigte ich das Chaos vom Frühstück um mich danach auf meinen Text konzentrieren zu können. Allein der Dialog mit einer Frau ließ mich wieder an sie denken und mir selbst keine Ruhe. Erst wandelte sie durch meine Träume und nun ließ sie mich auch des Tags nicht allein. Nach dem Lunch bei Maggie („Miss Sullivan ist nicht hier und sie war auch einige Tage nicht da") fuhr ich zu ihrem Haus und läutete mehrfach. Nichts! Gar nichts rührte sich!

Ich kehrte zu meinem Wagen den ich schief in der Einfahrt hatte stehen gelassen zurück, als ich einige Geräusche, die ihren Ursprung hinter dem Haus hatten, vernahm. Wachsam schlich ich an der Hauswand entlang und sah um die Ecke. Miss Sullivan räkelte sich nebst ihrer Tasche im Gras unter der knorrigen Weide nahe des Seeufers. Sie sah zerwühlt aus, die Locken ein wildes Durcheinander, die Jeans schmutzig von Gras und Erde. Aus ihrer Nase rann Blut.

Es war zu nebulös: zwei Tage lang war sie verschwunden und dann fand ich sie hier im Garten während sie sich in den selben Sachen im Gras wälzte. Und dann behauptete sie vom Baum gefallen zu sein – direkt auf ihr hübsches Gesicht (wegen des Katers!)!? Wie absurd! Obwohl der Sturz vom Baum ihre zweitägige Abwesenheit nicht entschuldigte, kam der Kavalier in mir durch und auf meinen Armen balancierend trug ich sie ins Haus damit sie sich nicht weitere Verletzungen zuziehen konnte. Ihr Motorrad stand nicht in der Auffahrt und ich fragte mich wie sie her gekommen war, da sie doch mit dem Motorrad (und dem Kater) vor zwei Tagen abgefahren war. Hatte sie doch einen Unfall gehabt?
Wie sie so in meinen Armen lag, bemerkte ich wie zerbrechlich und gazellenartig sie war. Ein perfektes Trugbild. Ihr Kopf ruhte an meiner Schulter und an meinem Hals spürte ich ihren Atem. Sie war mir bereits viel zu nah gekommen, schneller als ich es mir wünschte – schneller als mein Verstand es wünschte. Nur mein Herz machte einen Hüpfer als mich ein dankbares Lächeln von ihr erreichte nachdem ich sie auf der Couch absetzte.

Feuermond | Johnny Depp Fan-FictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt