II. Vertigo

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°°oJo°°

Nachdem sie mich im Trailer zurückgelassen hatte, schüttelte ich mich kurz und fuhr mir durch die kurzen Haare. War es nur ein Traum? War sie vielleicht nur ein Traum? Definitiv nicht, am Abend roch ich sie noch an mir, obwohl ich meine Filmkleidung im Laufe des Tages noch mehrfach gewechselt hatte. Und mein Bett roch am Abend nach ihr und ich wälzte mich in den Laken um die Sehnsucht zu stillen und mich selbst davon zu überzeugen, dass sie wirklich existierte. Ich nahm die Decke und ihren Duft mit ins Hotel und nach meiner Abenddusche wickelte ich mich in sie ein - so fest, als wäre es Chloe, die mich umarmte.

Die unendlichen Fragen die durch meine Gedanken zogen, ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Wieso war sie gegangen? Wieso durfte sie keine Beziehung führen? Diese Frage brachte mich am meisten um den Schlaf, weil ich keinen plausiblen Lösungsansatz finden konnte. Nicht annähernd.
Erst wollte sie nicht warten, dann konnte sie nicht schnell genug weg kommen. War ich zu forsch, zu weit gegangen? Ich ging das Szenario mehrfach in Gedanken durch und fand auch zu diesen Fragen keine Antworten. Hatte es ihr nicht gefallen? Nein, es hatte ihr gefallen, da war ich mir sicher, ich hatte es in ihren Augen gesehen. Sie strahlten Zufriedenheit und Leidenschaft auf eine Weise aus, die sie mir nicht hätte vormachen können.

Je länger ich darüber nachdachte, umso egoistischer erschien ich mir selbst, ich hätte sie einfach gehen lassen sollen ohne sie zu bedrängen, ohne Fragen zu stellen. Vielleicht hatte ich sie mit meinem Verhalten weg gestoßen, obwohl ich das Gegenteil erreichen wollte, ich wollte sie an meiner Seite, nur für mich allein, für immer. Ja, sehr egoistisch! Ich wollte mich doch nur an ihre Locken schmiegen, von ihren Lippen kosten, in ihre Augen sehen und ich wollte ihre Natürlichkeit, ihr gewöhnliches Leben, ich wollte daran teilhaben.

In unserem letzten Kuss spürte ich ihre Gefangenschaft, sie wollte und wollte zur gleichen Zeit nicht. Irgendwie musste ich sie aus ihrer Sicherheitszone holen, wenn ich das vorzeitige Ende nicht hinnehmen wollte. Ich schickte ihr eine Akkreditierung für das Set, so käme sie das nächste Mal problemlos an den Absperrungen und der Security vorbei. Insgeheim hoffte ich, es wäre ein Anreiz für sie wieder zu kommen, ich hatte ihr die nächsten Drehorte auf einem Zettel vermerkt, so wusste sie wo sie mich fand, wenn sie es wollte. Eine Möglichkeit.

Nach drei Tagen hatte sie sich nicht gemeldet. Sollte ich es tun, ihr hinterher jagen wenn sie dies gar nicht wollte? Ich war ständig dazu geneigt, sie anzurufen oder ihr eine SMS zu schicken, aber im letzten Moment betätigte ich immer wieder die Taste zum Abbrechen. Ich hatte ihr gesagt sie solle sich melden, vielleicht war es noch zu früh und vielleicht wollte sie nun doch mehr Zeit.

Allegra, ein abschätziges Lächeln zwischen den Mundwinkeln, besuchte mich Ende der Woche am Set. Da ich an diesem Drehtag sehr eingespannt war, hatte ich nicht viel Zeit für sie; nur kurz während des Mittagessens und einige Minuten am Nachmittag sprachen wir miteinander. Sie verkniff es sich Fragen über Chloe zu stellen, aber dass von ihr immer wieder kleine Seitenhiebe kamen, bemerkte ich sehr wohl. Sie musste wegen des Jobs nach Dublin und wollte sich verabschieden. Ihr Besuch diente also nur dazu sicherzustellen, dass ich wusste wo sie sich aufhielt. Es interessierte mich nicht im geringsten, aber ich versuchte höflich zu bleiben um mein Desinteresse zu überdecken, immerhin hatten wir für einige Zeit ein gemeinsames Leben geführt in dem wir uns achteten und hoch schätzten. Ich war froh als sie verschwunden war und noch viel besser fühlte ich mich, als sie auch aus meinen Gedanken war. Ich konnte mich nicht konzentrieren wenn sie in meinem Kopf herum spukte und in mir diese Bilder erschienen. Diese wunderschönen Bilder von uns als Drei die sich dann immer wieder in ein Bild von Abscheu und Grauen wandelten.

Pfh, ich atmete tief durch und zog meine Perücke auf den Kopf, heute hatte ich sie sorgfältiger behandelt und konnte sie nach der Mittagspause wieder aufsetzen. Die Maskenbildnerin nahm kleine Korrekturen vor und entfernte etwas vom Mittagessen das an meinem Mundwinkel kleben geblieben war. Wenn sie das tat, schmunzelte sie immer vergnügt, da sie mir auch regelmäßig die kleinen Kaffeeteufel oberhalb der Mundwinkel entfernte. Ich war erleichtert, dass Chloe keinen Lippenstift trug, sonst hätte sie mir den vor einigen Tagen auch aus dem Gesicht wischen müssen und ihr Sarkasmus wäre nur so über mich getropft. Aber da wir Profis waren, musste ich mir keine Sorgen darüber machen, was sie dachte. Nur die Sache mit der Perücke hatte sie mir sehr übel genommen. Ich erklärte ihr, dass ich das nicht gewesen sei, ein Waschbär hatte sie während des Lunchs von der Bank gefischt und in ihr nach Käfern gesucht.

„Sie sind ein kleiner Märchenerzähler Mr.Depp!", hatte sie darauf geantwortet und war mit schmalen Lippen und der Perücke abgezogen. Beim nächsten Mal würde ich ihr vielleicht die Wahrheit erzählen: Eine wilde Frau aus dem Wald sei über mich hergefallen und hätte mir die Perücke mit den Zähnen entrissen und wild damit gespielt! Halbwahrheiten!

Da ich mich in meiner Rolle als dekadenten Wüstling sehr wohl gefühlt hatte, waren die meisten Drehtage schnell vergangen und wir befanden uns in den letzten offenen Szenen. Chloe hatte sich nach einer Woche immer noch nicht gemeldet; sie hatte sich überhaupt nicht mehr gemeldet, seit sie meinen Trailer fluchtartig verlassen hatte. Wollte sie wirklich nichts mehr von mir wissen?

An einem Montag, es war sommerlich warm und der Himmel leuchtete in einem weichen Azorenblau, drehten wir die letzten Szenen, es lief so gut, dass wir womöglich früher als geplant fertig wurden. Und als ich am wenigsten damit rechnete, tauchte Chloe wieder auf. Dieses Mal kam sie direkt ans Set, stellte sich zwischen die Filmcrew und beobachtete unsere Arbeit. Ich wünschte sie wäre nicht heute gekommen, denn zum Abschluss drehten wir einige prekäre Szenen, in denen es zwischen den Charakteren zu Intimitäten kam: Küsse, Berührungen und Sex.

Irgendwann inmitten der Szene war Chloe verschwunden. 

Feuermond | Johnny Depp Fan-FictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt