Kapitel 18

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Der Vorfall zwischen Ashton und seinem Vater ist mittlerweile schon einige Stunden her. David ist seitdem nicht mehr aufgetaucht und wo Ashton ist, weiß ich auch nicht. Ich will gerade ins Badezimmer, um mir die Zähne zu putzen, als ich bemerke, dass die Tür nicht aufgeht. Sie ist nicht verschlossen, scheint jedoch zu klemmen. "Das darf doch echt nicht wahr sein." murre ich und gehe aus dem Zimmer, um mir von irgendjemandem Hilfe zu holen. Unten angekommen bemerke ich jedoch, dass meine Eltern und Nicole wohl schon schlafen gegangen sein müssen, sehe aber im Garten am Pool jemanden im dunklen Licht sitzen, wobei ich auf David oder Ashton hoffe. Ich weiß nicht einmal, wer mir gerade lieber wäre von den beiden, der aggressive Vater oder der Sohn, auf den ich immer noch sauer bin. Ich trete in den Garten hinaus und sofort werde ich von kühler, frischer Luft umhüllt, die ich tief einatme. Dann gehe ich einen Schritt auf den Pool zu, wobei ich zwischenzeitlich jedoch zweifle und wieder kehrt machen will. Ich entscheide mich jedoch dafür, mutig zu sein und meinen Stolz einmal beiseite zu legen, immerhin muss ich noch ins Badezimmer und anders werde ich es nicht schaffen. Je näher ich rantrete, desto besser kann ich erkennen, dass es Ashton ist, der mit dem Rücken zu mir und den Füßen im Wasser am Rand des Pools sitzt. "Hey." sage ich leise und werde ganz heißer im Hals, weshalb ich mich einmal kurz räuspere. Erst jetzt bemerke ich, dass er eine Bierflasche in der Hand hält und ziemlich niedergeschlagen aussieht, sein Blick starr aufs Wasser gerichtet. "Hey." bekomme ich als Antwort recht trocken zurück. Da mich diese peinliche Stille wirklich stört, beginne ich, an meinen Haaren zu spielen. Nach kurzer Zeit ermutige ich mich dazu, endlich mein Problem anzusprechen. "Die Tür im Badezimmer geht nicht auf, ich würde aber gerne ins Bett und muss vorher nochmal da rein. Kannst du mir vielleicht helfen?" Von mir selbst überrascht, weil ich so vorsichtig und einfühlsam gefragt habe, obwohl ich sauer auf ihn bin, warte ich auf seine Antwort. "Ich komme gleich." Irgendwie tut er mir gerade schon ein wenig leid, wie er hier so sitzt. Es kommt mir so vor, als ob es nicht seine erste Flasche ist, was mir bestätigt wird, als ich mich ein wenig umschaue und auf dem Tisch vier weitere sehe. Was ist bitte vorgefallen, dass es ihm gerade so schlecht geht? Da ich momentan sowieso von meiner empathischen Seite überrascht werde, setze ich mich einfach neben ihn, winkle meine Beine an und umfasse sie mit meinen Armen, sodass ich meinen Kopf auf meinen Knien ablegen kann. Sie ins Wasser zu hängen, wäre mir gerade wirklich zu kalt. "Ashton, ich glaube, du solltest die wirklich mal zur Seite stellen." Ich zeige auf die Flasche in seiner Hand, die er jedoch nicht wegstellt, sondern erneut an seinen Lippen ansetzt und einen Schluck trinkt. "Was weißt du schon." bekomme ich nur als Antwort und bereue es gerade irgendwie, mich zu ihm gesetzt zu haben. Aber jetzt wieder aufzustehen, wäre auch blöd. "Willst du darüber reden?" versuche ich es mit einer wirklich freundlichen und leicht besorgten Tonlage. Er schüttelt jedoch nur den Kopf und nippt wieder an seinem Bier. Ich fühle mich durch die erneut auftretende Stille unwohl, die Ashton zum Glück unterbricht. "Bist du gar nicht mehr sauer auf mich?" Gute Frage. Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht. "Ich weiß es nicht." antworte ich ehrlich und werde daraufhin das erste Mal von ihm angesehen. "Du weißt es nicht?" sagt er etwas belustigt und zieht eine Augenbraue nach oben. Ich zucke nur mit den Schultern, kann mir ein Schmunzeln aber nicht verkneifen. "Wie kann man sowas nicht wissen?" Erneut zucke ich mit den Schultern. "Du bist echt komisch." Etwas belustigt fange ich an zu lachen, woraufhin er jedoch nur mit dem Kopf schüttelt. Ich mag die Stimmung, die gerade zwischen uns herrscht. Sie ist locker, auch wenn ich weiß, dass ihn etwas bedrückt. Das erste Mal, seitdem ich ihn kenne, kommt in mir ein Gefühl des Wohlfühlens in seiner Nähe auf. Auch, wenn es seltsam klingt. "Darf ich dich mal was fragen?" Seine Stimme ist tief und wirkt beruhigend auf mich. Als ich nicke, sieht er wieder aufs Wasser. "Wieso bist du so ausgerastet? Du hast sogar geweint. Und das nur, weil du nass geworden bist?" Er klingt nicht belustigt oder sarkastisch. Nein, seine Frage klingt interessiert und ehrlich. Kurz zögere ich und überlege, ob ich ihm davon erzählen kann. Überrascht von mir selbst, weil es kaum Menschen um mich herum wissen, beginne ich, ihm zu antworten. "Es gab da mal einen Vorfall, ich war circa fünf Jahre..." Einmal atme ich tief durch, um weiter zu erzählen. "Ich war mit meinen Eltern schwimmen, in einem Schwimmbad. Der Bademeister hat sich gerade mit jemandem unterhalten, meine Eltern auch." Aufmerksam sieht er mich an, weshalb es mir etwas leichter fällt, die für mich sehr emotionale Geschichte zu erzählen. "In dem Becken konnte ich eigentlich stehen, ich wollte aber weiter schwimmen üben, was mir Mum und Dad gerade versucht hatten beizubringen. Im Wasser bekam ich plötzlich einen Krampf im Bein, weil-" Als ich bemerke, dass mir Tränen in die Augen steigen, atme ich erneut tief durch. Ich schaffe das! "Weil ich noch nicht gut schwimmen konnte, bin ich untergegangen. Ich-" Verdammt! Muss ich jetzt wirklich anfangen zu weinen?! Mich so schwach vor ihm zu zeigen ist nicht gerade leicht, aber Ashton wirkt gerade so verletzlich und einfühlsam, was mich dazu ermutigt, weiter zu sprechen. "Ich wäre fast ertrunken. Seitdem bin ich sehr vorsichtig, wenn ich ins Wasser gehe und bleibe da, wo ich stehen kann. Du hast mich einfach reingeworfen, ich konnte nicht stehen und ich war unter Wasser, was in mir meine Ängste ausgelöst hat." Mehr bringe ich gerade einfach nicht raus. Ashton scheint von meiner Erzählung ein wenig geschockt zu sein. "Das tut- Es- Also... Es tut mir leid, das wusste ich nicht." bringt er stotternd und ebenfalls entschuldigend heraus. Ich kann überhaupt nicht glauben, dass er sich gerade bei mir entschuldigt hat. "Aber du warst doch die Tage schon im Pool?" "Ja, an den Stellen, wo ich nicht stehen kann, halte ich mich am Rand auf. Da wo ich stehen kann ist es auch kein Problem." Er sieht mich kurz an, nickt und nimmt einen erneuten Schluck. "Jetzt du." fordere Ich ihn auf, woraufhin er mich fragend ansieht. "Was ist heute Abend passiert?" Seufzend sieht er mich an. "Willst du das wirklich wissen?" Als ich nicke, beginnt auch er zu erzählen. "Du weißt ja, dass Justin und ich versetzungsgefährdet sind?" Ich nicke erneut, bekomme Gänsehaut bei dem Gedanken, dass Ashton mich fertig machen wollte, nur weil Michelle es rumerzählt hat. "Ich bin in letzter Zeit viel schlechter in der Schule geworden, Dad hat mir immer wieder verboten zum Training zu gehen oder an Spielen teilzunehmen, was für ziemlich viel Stress in der Mannschaft gesorgt hat, immerhin bin ich Captain." Er legt eine kurze Pause ein, bevor er weiterredet. "Ich habe ihnen verheimlicht, dass ich wahrscheinlich nicht versetzt werde und habe gedacht, dass ich einfach viel lerne, um die Nachprüfung zu bestehen. Als Michelle es jedoch rumerzählt hat, haben es meine Eltern auch erfahren. Deshalb bin ich so ausgerastet." Ich nicke verständnisvoll, immerhin kann ich es ein wenig nachvollziehen. Hätte ich das früher gewusst, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, mit jemandem darüber zu reden. "Tut mir leid, dass ich es ihr erzählt habe, aber ich war so aufgelöst wegen meinem Bruder... " "Schon okay." unterbricht er mich. "Auf jeden Fall hat Dad mir verboten, vor der Prüfung nochmal zu spielen, deshalb musste ich auch mit hierher kommen. Er hat vorhin einen Anruf von unserer Rektorin bekommen, ich bleibe sitzen." Er sieht wirklich fertig aus, nippt erneut an seinem Bier. "Aber die Prüfung steht doch erst noch an?" "Ich werde nicht zugelassen." Verwirrt sehe ich ihn an. "Die haben sich bei der Berechnung irgendwie vertan, ich hab keine andere Wahl, als zu wiederholen." "Und deswegen ist dein Dad so ausgerastet?" Ashton nickt. Ich erinnere mich an das Gespräch mit Justin, was auch nicht gerade gut verlief. "Er hat mir verboten, weiterhin Fußball zu spielen. Erst wenn meine Noten in einem guten Zweierschnitt sind, darf ich wieder. Wie soll ich das denn bitte schaffen?! Von fünf auf eine gute zwei? Fußball ist doch mein Leben, meine Leidenschaft, mein Traumberuf. Nicht Hotelier, wie er es gerne hätte." Eine einzelne Träne rollt ihm übers Gesicht, die er sich sofort wegwischt und peinlich berührt zur Seite schaut. Ich könnte ebenfalls anfangen zu weinen, so sehr ergreift es mich, dass gerade Ashton so emotional werden kann. Der Ashton, den ich sonst nur knallhart sehe. Okay, es könnte auch stark daran liefen, dass er ziemlich angetrunken ist, trotzdem merkt man, wie wichtig ihm Fußball ist. "Naja, ist auch egal." gibt er von sich, noch bevor ich etwas erwidern kann, und steht auf. "Komm, lass uns nach der Badezimmertür sehen." Er geht zum Tisch, nimmt die restlichen Flaschen zu seiner leeren dazu und läuft ins Haus, während ich noch ein wenig verdutzt dasitze. War das gerade nur ein Traum oder hatte ich wirklich ein ernstes und gutes Gespräch mit Ashton?

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