Monster

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Kapitel 14

Nicolas hatte sich verändert. Als die Sonne endlich wieder unterging und Violet aus ihrem Komatösen Zustand befreite, war er ablehnend, kalt und so sehr darauf bedacht Abstand zu ihr zu halten, dass sie die Zurückweisung wie ein Messer in ihrem Magen spürte. Dabei war sie daran gewöhnt, dass er sich verhielt wie ein Arschloch. Sie hatte ihn Jahrelang nur von dieser Seite kennengelernt und sie hatte keine Ahnung wie sie nach nur einen Abend den Glauben erlegen sein konnte, es steckte mehr in ihm als das.
Er sprach nicht mit ihr, beantwortete ihre Fragen nicht und irgendwann hatte Violet aufgehört, welche zu stellen und sich stattdessen mental darauf vorbereitet einen noch schlimmeren Tag als den vergangenen zu erleben. Doch es reichte nicht. Nicht mal annähernd.
Magareta herrschte über ihr Gebiet und schien sich, nach Nicolas Erzählungen, als so etwas wie eine Königin aufzuführen. Doch wer dabei an Glanz und Eleganz gedacht hatte, irrte sich gewaltig. Das Gebäude, welches sie sich als ihren Herrschaftssitz auserkoren hatte, war ein heruntergekommener ehemaliger Bürokomplex, der an Rande eines ausgestorbenen Industriegebietes lag. Hier hätten Bettler und Junkies unterwegs sein können und als Violet aus dem Wagen stieg und die Gestalten betrachtete, die in dem Gebäude ein und aus gingen, hätten einige von ihnen das durchaus sein können. Dröhnender Bass drang aus den Scheibenlosen Fenstern des Erdgeschosses und die Gäste dieser offensichtlichen Untergrundparty waren so bunt gemischt, das Violet glaubte niemals wieder einen Ort zu finden, der so skurril war wie dieser. Sie erkannte Männer und Frauen in eleganter Kleidung, genauso wie Menschen in Lumpen, die ohne es zu verbergen an einem Eingang hockten und sich eine Spritze in den Arm bohrten. So viel zu den Junkies. Die großen, breitschultrigen Männer die wie Security wirken, schien es nicht zu kümmern, dass wenige Meter von ihnen entfernt Menschen waren und sich ein Schuss setzten. Denauso wie sie den kreischenden, jungen Mann ignorierten, der von einer Vampirin gegen einen Baum gedrängt und die Kehle herausgerissen bekam.
Sie zuckten nicht mit der Wimper, als einige Meter weiter ein Fenster splitterte und zu Violets Entsetzen der Körper einer Frau auf den Schotterweg landete, der um das gesamte Gebäude führte. Violet aber war nicht so abgebrüht. Bereits bei den ersten Schreien war sie näher an Nicolas herangetreten. Nun griff sie nach seinem Arm, der in einen eleganten Anzug steckte und damit so gar nicht zu ihrem eigenen Outfit passte.
Als Violet sich für eine dunkle Jeans und einen einfachen schwarzen Rollkrangenpulli entschieden hatte, der so eng an ihrer Haut lag das er ihre schmale Taille und ihre üppigen Brüste betonte, hatte sie sich kurz Sorgen gemacht wie ungleich sie aussahen. Er war der elegante Mann mit dem unleserlichen Gesichtsausdruck und sie das gewöhnliche Mädchen, dass es ohne seine Hilfe nie über die Runden geschafft hätte
Aber es gab Ungleichere. Violet schluckte hart, versuchte die Frau auf dem Kies zu ignorieren und krallte sich an Nicolas fest.
Ein Mann in einem Kleid, aufwendig geschminkt und an seinem Arm eine Frau in Lederkleidung gingen an ihr vorüber. Die Frau schenkte Violet ein breites Lächeln mit Fangzähnen und betrachtete dann Nicolas ebenso anzüglich. Ein anderer Mann war nackt und trug lediglich einen Ledergürtel um seinen Hals und wieder ein Anderer schien gerade erst aus seiner Anwaltskanzlei gefallen zu sein. Doch was Violet wirklich in Erinnerung bleiben würde, waren die Grausamkeiten, die ebenso zum Ambiente dieses Ortes zu gehören schienen, wie die Sexeskapaden in den Ecken oder die skurrilen Leute die hier ein und aus gingen.
Die Frau, die aus dem Fenster geworfen worden war, wimmerte und versuchte mit gebrochenen Beinen weiterzukriechen, als ein Mann ihr hinterher sprang und mit dem Fuß auf ihren Kopf landete. Gehirnmasse und Blut fegen über den Splitt und der Vampir lachte bevor er nach einen der Junkies vorm Eingang griff und ihn wieder mit sich ins Gebäude zog. Als hätte er sich ein Kleidungsstück gegriffen und mehr schienen die Menschen hier auch nicht für die Vampire zu sein. Dinge. Sachen, die man benutzen könnte.
„Ein Leben ist hier nichts wert, Menschenleben noch weniger als Nichts. Also häng diesen Gestalten nicht nach", wisperte Nicolas kalt und Violet sah entsetzt zu ihm herauf. Es ließ ihn tatsächlich kalt. Alles was hier geschah, ließ ihn kalt und plötzlich wusste Violet nicht ob sie es wagen würde einen Blick in das Innere zu werfen. Wie viel schlimmer war es da drinnen, wenn Nicolas sie erst warnte nachdem sie die Frau und den jungen Mann gesehen hatte? Wie könnte sie diesen Menschen gedanklich nicht nachhängen? Es war grausam und zugleich so abstoßend widerlich, dass sie schreien wollte.
Sie sträubte sich innerlich und für einen Moment schien irgendein Gott ihr gewogen zu sein, denn als Nicolas mit ihr einen der Eingänge betrat, wurden sie von einem der Gorillas aufgehalten, die wie stumme Wachen an allen Ein-und Ausgängen postiert waren.
„Is' ne geschlossenen Party, nichts für Eremiten", bellte der Mann und baute sich vor Nicolas auf, als wäre er sich ganz sicher auf alles Vorbereitet zu sein, was nun kommen würde. Nicolas Mundwinkel zuckten, er packte den Arm des Mannes und warf ihn mit solcher Leichtigkeit über seine Schulter, dass Violet der Atem wegblieb. Sie hing an Nicolas Arm und hatte nicht mal genau mitbekommen wie er sich bewegt hatte. Wie schnell war der Kerl eigentlich? Ein zweiter Wachmann kam zu ihnen, machte aber keine Anstalten den Gewaltakt an seinen Kollegen zu rächen. Er war anscheinend cleverer und sogar ausgesprochen höflich.
„Wenn soll ich Ankündigen?", fragte er mit einem Blick auf Violet, doch wieder schien sich Nicolas nicht für die Worte zu interessieren. Anscheinend wollte er nicht Nicolas Identität erfahren, sondern ihre. Doch Nicolas überging diese Anspielung. Anscheinend wussten diese Männer zumindest wer er war, schließlich hatten sie ihn Eremiten genannt und gewusst dass er nicht dazugehörte. Genauso wenig wie Violet. Das hier war ein Höflichkeitsbesuch.
„Mich", erwiderte fast schon genervt, legte einen Arm um Violets Taille und passierte mit ihr den Eingang ohne weitere Zwischenfälle. Im Inneren des Gebäudes herrschte eine Stimmung, die Violet sonst nur von Partys kannte, in denen Speed und andere Drogen an der Tagesordnung waren und als sie tatsächlich einen offensichtlichen Vampir dabei beobachtete, wie er eine Line von einem der Bartresen zog, wurde Violet bewusst wie krank hier alles war. Feiernde und kreischende Menschen. Es roch nach Schweiß, Alkohol und Sex. Und nach Blut.
Als Nicolas sie an sich gezogen hatte, war sie kurz davor gewesen seinen Arm wieder abzuschütteln doch angesichts dieses Durcheinanders, dsd hier herrschte, wäre das wohl keine gute Idee. Sie würde im Bruchteil von wenigen Sekunden in der Menge verloren gehen oder über eine der Leichenteile stolpern, die hier herumlagen, wie altes Konfetti.
„Behalt' die Nerven und vor allem: bleib in meiner Nähe. Hier sind nicht nur Menschen leichte Beute, sondern auch junge Vampire." Sagte er ihr ins Ohr, griff mit den Fingern nach ihrem Kinn und drehte es in eine ganz bestimmte Richtung.
Violet wurde heiß und kalt zugleich. Da war eine Frau, die an einen Tisch geschnallt wurde. Ihr fehlten die Arme und Beine, die ihr einfach herausgerissen worden waren, genauso wie ihre Augen und um sie herum standen Männer. Einige ejakulierten auf das weinende Opfer und andere vergnügten sich etwas offener mit dem Torso. Sie lebte, sie schrie und niemand tat irgendetwas. Oder besser: niemand tat etwas anderes, als sie zu foltern oder zu vergewaltigen. Sie presste ihre Hand auf den Magen und riss ihr Kinn aus seinem Griff um sich abzuwenden. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen und presste die Augen zusammen um nicht noch mehr sehen zu müssen und um nicht direkt mit Nicolas Ablehnung konfrontiert zu werden, als sie sich an seine Brust warf und ihr Gesicht in seine r Anzugjacke vergrub.
Sie rechnete fest damit, dass er sie wegschieben würde, aber stattdessen legte er eine Hand auf ihren Hinterkopf und wartete.
„Das wird dir nicht passieren. Aber mach dir keine Illusionen. Junge Vampire sind ohne Beschützer lediglich Opfer und viel zu oft auch mit einem. Du gewöhnst dich dran."
Violet biss trotzig ihre Lippen zusammen, um das Gefühl von Ekel, Angst, Mitleid und Trauer nicht gewinnen zu lassen. Sie würde nicht heulen, nicht hier, obwohl es wohl genauso schlimm schien einfach her herumzustehen und so etwas wie Schutz bei Nicolas zu suchen.
„Das ist so widerlich! Daran kann man sich nicht gewöhnen!"
„Schneller als du glaubst, vertrau' mir." Nicolas wartete noch einige Sekunden, bevor er sie dann tatsächlich beiseite schob, wieder einen Arm um ihre Taille schlang und seinen Weg fortsetzte. Violet war froh darüber, dass niemand auf sie geachtet hatte, glaubte aber jetzt schon überfordert zu sein. Dabei war sie den wahren Albtraum noch gar nicht begegnet. Der Frau, die das hier in ihrem Haus zuließ.
Nicolas führte sie einige Treppen nach oben, wo die Musik langsam ruhiger wurde und das Gerangel nicht ganz so dich war. Aber es wurde auch schummriger und in einigen Ecken war es so dunkel, dass Violets Kopf ihr anfing streiche zu spielen. Wie in den Moment als sie einen Blick auf die Stufen hinter sich warf und dort glaubte etwas zu sehen, was es nicht geben konnte. Sie zuckte zusammen. Nicolas blieb stehen, sah hinter sich und zog sie dann weiter.
Stöhnen erfüllte die Gänge und Violet sah eine Frau an einer Wand gelehnt, ein Mann kniete vor ihr, eines ihrer Beine auf seiner Schulter und ihre Finger in den Hinterkopf des Mannes vergraben. Es beruhigte Violet schon fast, nun eher Sex zu begegnen als Folter. Dennoch jagten ihr diese Schattengestalten eine Heiden Angst ein.
„Ich glaube ich werde irre, ich sehe Silhouetten im Schatten. Monster mit Hörnern und Klauen." Gestand sie als sie abrupt stehen blieb und eines dieser Kreaturen direkt vor sich sehen konnte. Gelbe Augen blickten sie aus einer dunklen Ecke an und Nicolas Griff auf ihrer Hüfte wurde fester.
„Weil sie hier sind. Wo so viel Böses geschieht, lockt es böses an. Sie mögen unheimlich sein, aber sie können dir nicht tun. Sie können unsere Welt nicht betreten, sie gehören nicht dazu."
„Unsere Welt?"
„Wir leben in einem Mulitversum, Violet, das haben selbst die Menschen bereits mit ihrer Wissenschaft endlich herausgefunden. Es gab eine Zeit, da lag unser Universum so dich an dem dieser Geschöpfe, dass sie hier her konnten. Monster und Dämonen. Daher all diese Märchen und Geschichten. Aber momentan scheinen sich die Orte wieder voneinander zu entfernen und der Raum dazwischen wird größer. Das solche Geschichten seltener werden, liegt nicht nur an der Aufklärung der Menschheit und den Sieg der Wissenschaft. Es liegt daran, dass die Welten sich bewegen. Ständig. Es gibt Orte wie diese, wo diese Welten immer noch so nahe zusammen liegen, dass der Wahnsinn, der in diesem anderen Universum herrscht, herüberschwappt. Margareta liebt das unheimliche und hat ihn deshalb als ihren Hauptsitz auserkoren und die Grausamkeiten, die hier vorherrschen, die Zügellosigkeient ziehen die Kreaturen auf der anderen Seite ebenfalls zu dieser Stelle."
Als beeinflussten sich die Orte gegenseitig und hier herrschte eine Art Ausnahmezustand, wenn es um Gewalt ging.
Gruselig. Einfach nur gruselig, selbst wenn diese Kreaturen quasi nur Abziehbilder sind. Reflexionen aus einer verdammten anderen Dimension. Das ist einfach nur unheimlich und skurril, genau wie dieses Haus. Wie die Leute hier drinnen, wie alles in dieser Welt. Violet blieb stehen, als Nicolas sie weiter ziehen wollte. So entschlossen, dass er sich vor sie stellte und sie nachdenklich ansah.
„Violet?"
„Ich will diese Welt nicht. Ich will nicht dazu gehören. Ich will diese Dämonen nicht, diese Grausamkeit und alles andere Widerliche in diesem Haus. Das bin ich nicht und ob Vampir oder nicht: So werde ich niemals sein!" sagte sie und sah zurück in den dunklen Flur, den sie bereits hinter sich gelassen hatten. Fratzen und glühenden Augen. Dinge, aus denen Albträume geboren wurden starrten ihr entgegen.
Nicolas Finger legte sich wieder unter ihr Kinn und wandte ihr Gesicht wieder ihm zu.
„Das ist gut Violet", sagte er und irgendetwas blitzte in den Tiefen seiner dunklen Augen auf, dass sie an so etwas wie Triumph erinnerte. Sie wusste nicht, was er damit meinte, aber sie versank darin. So sehr das sie nicht wahrnahm, wie eine Frau sich näherte. Und als es ihr endlich auffiel, war es zu spät. Violet war bereits in dieser Welt angekommen. Genau in diesen Augenblick, als Margareta sie anblickte.

Beta: Geany Abc

Violet (Bd 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt