keine Geborene?

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Kapitel 36


Violet spürte wie ihre Kehle zugedrückt wurde, wie die Sehnen in ihrem Hals sich dehnten, überlasteten und schließlich begannen zu reißen. Der Nebel hatte ihren Verstand fest in seinen Bann, aber selbst über die einnehmende Auswirkung hinweg verstand sie die lebensbedrohliche Situation, in der sie sich gerade befand. Sie starrte Re in die Augen. Azurblau mit grauen Sprenkeln an der Seite. Kalt, Mitleidlos und wunderschön. Sie hatte selten so schöne Augen gesehen oder einen Mann der ihr vom ersten Moment an so symphytisch gewesen war wie er. Sie hatte Nicolas gehasst und der hatte versucht sie zu retten, während ausgerechnet Re ihren Tod verursachen würde. Ohne Umwege, ohne einen Mittelsmann. Re würde ihr Mörder sein. Er, nicht Nicolas.
Ein tiefes Gefühl der Enttäuschung durchzog ihr Herz während der Sauerstoffmangel Punkte vor ihren Augen aufblitzen ließ. Konnten Vampire überhaupt ersticken? Sie wusste es nicht aber so wie Re ihren Hals umklammert hielt und ihn in einer Richtung zog, würde er sie nicht erwürgen, sondern ihr den Kopf abreißen. Langsam.
In dem schönen Blau seiner Augen erkannte sie ernsthafte Neugierde, eine Faszination, die sie nicht richtig deuten konnte, bis ihr Verstand dann doch eine fand. Er wollte ihr in die Augen sehen während er sie umbrachte. Er könnte ihr mit einem Ruck den Kopf abreißen aber er liebte es zuzusehen. Er liebte es, wie Violet sich aus dem beschwerenden Gefühl kämpfte, den der Nebel hinterließ und viel zu spät damit begann, sich gegen ihn zu währen. Violets Fingernägel bohrten sich in seine Haut und zerkratzen seinen Arm.
Es war eine schwache Gegenwehr. Der Sauerstoffmangel sorgte dafür, dass sich ihre Arme einfach nicht bewegen wollten. Es brannte. Sie krächzte etwas, doch ihre umschlossene Kehle gab nur einen schmerzhaften Laut von sich und sie spürte wieder wie sie weinte. Blut rann aus ihren Augenwinkeln hervor und glitt weiter zu seinen Fingern um ihren Hals. Ein bedrohliches Knirschen hallte in ihr wieder. Knochen, Sehnen, vielleicht auch etwas Haut. Gleich würde sie den Kopf verlieren und dann würde sie nie erfahren wie viel von den Gefühlen, die Nicolas in ihr auslöste, tatsächlich echt waren. In diesen Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher als in seinen Armen zu sterben, auch wenn die Anziehung nur an seinem Blut in ihren Adern lag oder sich ihr Herz schlicht an das einzige Wesen geklammert hatte, das ihr irgendwie geholfen hatte. Sie wollte bei ihm sein. Wie konnte sie sich zu Re hingezogen fühlen?
Es war irrational. Re war machthungrig, manipulativ und er hasste die Geborenen einfach nur weil sie waren, was sie waren. Er hatte keinen Grund sie zu töten. Sie hatte ihm nichts getan, stand sogar offiziell auf seine Seite und dennoch schlangen sich seine langen starken Finger um ihren Hals und versuchten ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Ein Leben, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen war. Sie hatte nie wirklich geglaubt diese Welt lange zu überleben. Sie war zu chaotisch, zu brutal und zu verstörend. Vielleicht war es besser so.
Violet schloss die Augen und versuchte sich darauf zu freuen dem allen endlich entkommen zu können. Keine Monster, keine Vampire, keine Kopfgelder, Gottesmaschinen oder vampirische Apokalypsen, die drohten die Welt der Menschen vollkommen zu verändern. Das alles war ab jetzt nicht mehr ihr Problem. Sie würde einfach aufhören zu existieren und vielleicht bei ihren Eltern sein. Sie könnte ihre Mutter wiedersehen und ihr sagen, wie leid es ihr alles tat.
Dann löste sich der Druck plötzlich. Der Zug, der drohte ihr den Kopf von den Schultern zu reißen verschwand und sie bekam sogar etwas Luft während etwas warmes, nasses über sie ausgeschüttet wurde. Sie wusste sofort dass es Blut war, das sich wie eine Fontäne über ihren Oberkörper ergoss. Sie schmeckte es auf ihren Lippen und sog den metallischen Duft in sich auf, während die Finger um ihren Hals sich langsam lockerten und ihre Fingernägel, die eben noch an Res Arm gehangen hatten, ins leere Griffen.
Violet öffnete die Augen und sah Res Profil vor sich. Er hatte sich wieder aufgerichtet und starrte etwas an, dass neben ihr stand. Seinen, in der Mitte des Unterarmes abgetrennten, Arm beachtete er gar nicht weiter. Re gab nicht mal ein Schmerzenslaut von sich als sich immer noch Schub um Schub Blut auf Violet ergoss, die panisch nach dem Rest seines Armes griff, der immer noch ihren Hals umklammert hielt.
Sie erschrak, warf es von sich und rang nach Luft während sie keuchte, hustete und dabei zusah, wie Res Arm auf den Boden landetet, zwischen den beiden anderen Mädchen und im Bruchteil einer Sekunde begann zu altern und letztendlich in Staub aufzulösen.
Die beiden Menschenfrauen schienen wie benebelt zu sein und als Re mit einer freien Hand nach einer von ihnen Griff, sie an sich zog und seine Fänge brutal in ihre Kehle bohrte, wehrte sie sich nicht einmal.
Diesen Moment benutzte Violet um von Re wegzurutschen und versuchte den Grund auszumachen der zu Res Verstümmelung geführt hatte und wurde auch schnell fündig.
Nicolas griff nach ihrem Arm und zog sie von der Couch herunter um sie zu sich zu ziehen, doch da hatte Re bereits seine nun leblose Notfallration fallen lassen und sich ebenfalls erhoben. Violet hustete immer noch, brauchte noch ein wenig um gegen den Schmerz hindurch etwas mehr zu realisieren, doch da lag Res andrer Arm um ihre Taille und hielt sie fest.
„Erstaunlich wie oft du mich belogen hast, Nicolas. Als ich dich fragte, ob du das Schwert gefunden hättest sagtest du, es sei nicht im Tempel gewesen." Knurrte Re sehr gelassen und Violet schaffte es den Kopf zu heben und sah Nicolas direkt in die Augen. Zorn glomm darin, genauso wie etwas was wie Schmerz aussah und auch etwas, was nur das Gefühl verraten wurden zu sein hinterlassen konnte. Ungläubigkeit, Unverständnis. Als wäre gerade seine Welt zusammengebrochen.Violet verstand jetzt gar nichts mehr, schließlich war es Re der hier von Verrat sprach.
„Ich sagte, es sei nicht da gewesen, weil es die Wahrheit war. Ich fand es Jahrzehnte später in den Ruinen eines Tempels und ich hätte es dir gesagt, wenn du dich nicht aufgespielt hättest wie ein Arschloch. Sag mir lieber was es zu bedeuten hat, dass du mein Zögling fast umbringst!" schrie Nicolas ernsthaft sauer und versuchte Violet wieder etwas näher zu sich zuziehen, aber Re ließ nicht von ihr ab.
„Zögling? Ich weiß was sie ist, also kannst du mit deinen Spielchen aufhören. Hällst du mich für absolut bescheuert? Ich habe sie gejagt, Jahrhunderte lang und du glaubst, eine Geborene in mein Haus bringen zu können ohne dass ich es merke?" fragte er und Nicolas runzelte schockiert die Stirn. Es sah echt aus und es sah vor allem ehrlich aus. Unfassbar wie gut er schauspielern konnte.
„Lass sie los! Zwing mich nicht dazu das Schwert noch einmal gegen dich zu erheben, Re! Du bist mein Erschaffer, aber ich schwöre, dass ich dich töten werde wenn du mein Zögling nicht loslässt! Ich habe keine Ahnung was du glaubst oder vermutest aber Violet ist ganz sicher keine Geborene. Ich habe sie erschaffen! Sie gehört mir!" meinte er und Re lachte freudlos auf.
„Du wagst es meine Fähigkeiten infrage zu stellen?", fauchte Re über Violets Schulter hinweg und Violet konnte nun fast wieder normal atmen. Ihr Körper heilte die Verletzungen an ihrer Kehle und ihr Verstand begann wieder zu arbeiten, so gut, dass sie ihr das Schwert auffiel, welches Nicolas in der Hand hielt. Eine alte, dünne Klinge, die unauffällig wirkte bis auf diese merkwürdigen Symbole auf dem Schaft. Sie würde wetten, dass es sich um eine dieser Gottesmaschinen handelte. Die Zeichen sahen denen ähnlich, die damals auf ihrem Arm erschienen waren, als sie das Malus berührt hatte.
„Wenn du behauptest, dass die Vampirin, die ich erschaffen habe eine Geborene ist. Ja! Re, was soll das?", fragte Nicolas immer noch mit ehrlichen entsetzen in der Stimme, die Re nun fuchsteufelswild machte.
„Hör auf damit!", forderte der alte Vampir hinter ihr und Nicolas erhob tatsächlich wieder das Schwert. Bedauern lag in seinem Gesicht, als wolle er es nicht tun.
„Re, lass sie los! Ich bin ihr Meister, ich muss sie beschützen! Das weißt du!", meinte Nicolas nun wieder hart und eine zögerliche Entschlossenheit lag in seiner Stimme. Er war so verdammt gut, man konnte den Zwiespalt regelrecht spüren.
„Was ist denn hier los?", fragte eine weitere Stimme und Violet sah Naklar an der Seite hinter einer der Stellwände hervortreten. Sein Oberkörper war nackt, seine Hose offen und wenn Violet sich nicht irrte, waren da Knutschflecken an seinem Hals als Naklar einen Blick auf die Situation warf und Nicolas entsetzt anblickte. Der im Gegensatz zu seinem Bruder vollständig bekleidet war.
„Nic? Scheiße, nimm das Schwert runter! Was soll das denn?"
„Er hat versucht Violet zu töten, er behauptet sie sei eine Geborene!", sprach Nicolas frei heraus, als wäre diese Vermutung so lächerlich, dass er keinen Zweifel daran hegte, dass Naklar ihm glauben würde. Und dieser hob tatsächlich nur eine Augenbraue und betrachtete seinen Meister.
„Re? Was zum Teufel soll das heißen?" Re seinerseits schien nun nicht mehr belustigt.
„Du bist gut Nicolas, wirklich. Man könnte fast damit anfangen an sich selbst zu zweifeln, aber ich rieche eindeutig, dass dieses hübsche Ding hier nie ein Mensch war!"
„Ich habe sie erschaffen, Re und ich werde dich töten wenn du mir meinen Zögling nicht sofort zurückgibst!" fluchte Nicolas weiter und da trat Naklar zwischen die beiden, fluchte lautstark und zog ebenfalls an Violet. Aber diesmal hielt keiner sie fest.
„Na, dass lässt sich ja wohl einfach überprüfen!", entfuhr es dem Mann, griff hinter sich und zog ein kleines Messer hervor, dass wunderschön in dem dämmrigen Licht schimmerte. Es war massiv, wie aus einem Stück gegossen und aus reinem Silber. Dann drückte Naklar die flache Ecke seines Messers gegen Violets Arm und betrachtete ihr Gesicht. Sie war immer noch nicht ganz wach und sie blinzelte ihn fragend an. Was erwartete er von ihr? Waren Vampire wirklich allergisch gegen Silber? Sollte sie jetzt so tun, als hätte sie schmerzen? Violet sah wie unbeteiligt Naklar sein Messer in der Hand hielt und entschloss sich dafür nicht mit Schmerzen zu reagieren, wobei sie nur hoffen konnte das richtige zu tun.


Beta: Geany

Violet (Bd 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt