Blutbund

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  Kapitel 27

Als Violet wieder die Etage erreichte in der Nicolas wohnte wurde sie nervös. Zuvor hatte sie die Treppenstufen doch eher zielstrebig erklommen und sich keine Gedanken gemacht was nun passieren würde, aber Res Worte gingen dann doch nicht ganz so spurlos an ihr vorbei. Was hatte er damit gemeint? Log er tatsächlich oder wollte er sie ehrlich warnen, um zu verhindern, dass ihr etwas passierte. In der Regel war Violet nicht sehr Vertrauensselig und sie war geneigt den Rest Fürsorge einfach abzustreifen. Aber verdiente Nicolas dieses Vertrauen tatsächlich mehr als Re? Die Antwort darauf war einfach: Nicolas hatte sie zwar gerettet, aber sicherlich nicht uneigennützig und er hatte ihr mehr als einmal sehr deutlich gemacht, dass er nicht davor zurückschrecken würde ihr etwas anzutun. Also nein, sie wäre blöd ihm zu vertrauen.
„Wo warst du?", fragte Nicolas, als sie das Apartment betrat und ihren Meister in einer einprägsamen Pose direkt vor einem der Panoramafenster sah. Er war von ihr abgewandt zugedreht, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und die Beine leicht gespreizt, Er sah aus wie ein verdammter Türsteher und würdigte sie mit keinem Blick.
Violet schloss die Tür hinter sich und machte einen riesigen Bogen um die Stelle, an der noch immer die junge Frau lag und nun noch mehr wie eine Tote aussah. Als sie ihn erreichte und er den Kopf leicht in ihre Richtung drehte, um sie anzusehen, hätte sie beinahe aufgeseufzt.
Es war nicht echt, es war nicht echt.
Das sagte sie sich immer wieder, in der Hoffnung es würde sich auch endlich so anfühlen. Und weil sie rein rational wusste, dass sie wütend sein sollte, zwang sie sich dazu.
„Ich habe mich mit Re auf dem Panoramadach unterhalten. Er weiß, dass wir nicht vögeln sondern ich von dir trinken und er hat mir gesagt, dass es eben doch in eine Art Abhängigkeit bringt." Begann sie und beobachtete genau seinen Gesichtsausdruck dabei. Unberührt. Er blinzelte nicht einmal, geschweige denn, dass er sich dazu herabließ etwas zu sagen.
„Du erinnerst dich vielleicht noch daran: ich hatte diese Vermutung schon einmal und du hast dich dumm gestellt." Knurrte sie und verschränkte selbst die Arme vor der Brust um ihn nicht doch noch zu schlagen. Nicolas musterte sie für eine Weile, dann löste er seine starrte Haltung auf, löste den Manschettenknopf an seinem Handgelenk und biss sich in die Schlagader.
„Trink, du bist hungrig", sagte er lediglich und hielt ihr seinen blutenden Arm hin. Violet konnte es nicht fassen.
„Hast du gehört, was ich dir gerade gesagt habe? Ich weiß was es bewirkt. Wie kannst du glauben, dass das die richtige Situation ist mir dein Blut anzubieten.", fauchte sie und begriff erst, dass er sich bewegt hatte, als Nicolas Hand an ihrer Kehle lag und ihr Rücken gegen die Appartmentwand donnerte.
Er drückte zu und Violet versuchte seine Hand von ihrer Kehle hinwegzuziehen, doch es war als würde man gegen einen Berg ankämpfen der drohte einen zu zerquetschen. Es war unmöglich.
„Glaubst du allen ernstes es interessiert mich welche blödsinnigen Klein-Mädchen-Gefühle es in dir weckt, wenn ich dir von meinem Blut gebe? Glaubst du ich lasse zu, dass du anderes Vampirblut trinkst und ein anderer erfährt wie besonders du bist, nur weil du damit nicht umgehen kannst? Es ist mir egal wie abhängig du bist, Violet. Sobald dein Geschmachte mir auf die Nerven geht verlierst du deinen hübschen Kopf. So einfach läuft das und jetzt: Trink!", knurrte er ihr bösartig entgegen und drückte sein Handgelenk auf ihre Lippen.
Sein Griff um ihre Kehle lockere sich damit sie schluckten konnte und dann übernahm auch schon ihr Instinkt. Das Blut floss in ihren Mund und löste eine Fieberattacke in ihren Körper ein. Sie spürte Macht, alt, herb und unmöglich zu bändigen oder davon abzuhalten jede Zelle in ihrem Körper auszufüllen. Ihre Hände, die auf seinem Arm gelegt waren mit dem er sie an der Kehle hielt, glitten von ihnen ab und umfassten sein blutiges Handgelenk.
Ahfgzn...hdsk...sehasah...
Wie beim letzten Mal als sie direkt von ihm getrunken hatte begann sie Dinge zu hören. Zuerst nur ein unverständliches Flüstern, dann leise, säuselnde Wortfetzen.
...nachdenken...nicht nachdenken...
Es klang wie ein Mantra, dass Nicolas in seinem Kopf immer wieder wiederholte und das in sich zusammen fiel, als die Wunde an seinem Arm sich begann zu schließen und Violet gezwungen war ihre Babyreißzähne selbst in seiner Haut zu versenken, um mehr zu bekommen. Und sie wollte mehr, so viel mehr.
Als ihre Zähne seine Haut durchbohrten, verzog Nicolas nicht eine Miene, aber für einen kurzen Moment wurden seine Pupillen größer und enttarnten seine äußerliche Gleichgültigkeit als eine Lüge.
...verdammt ... nicht denken... nicht daran denken...
Versuchte er seine Gedanken in Zaum zu halten, nicht weil er ahnte, dass sie ihn hörte. Sie hatte es ihm bis jetzt verschwiegen und würde es auch in Zukunft für sich behalten , sondern um etwas in sich selbst festzuhalten. Nun saugte Violet von sich aus an seiner Haut und als ihre Zunge über sein Puls glitt weiteten sich seine Pupillen ein weiteres Mal. Dann waren da keine Worte mehr in seinen Kopf, sondern nur noch Bilder.
Bilder von ihr, wie sie in ihrer schäbigen kleinen Wohnung in ihrem ungemütlichen Bett lag, die Lippen etwas geöffnet. Nicolas der ihre Haut genau an den Stellen berührte auf denen das Sonnenlicht sie traf, das Violet immer mehr zum Tiefschlaf verdammt hatte. Dann glitten die Bilder zu den Momenten in seinem Keller. Sie schlief auf der Couch, tief vergraben unter drei Decken die er wieder über ihren Körper zog, wenn sie herunterrutschten und wie er sie da berührte. Ihre Wange streichelte, ihre Haare durchkämmten. Ob das Erinnerungen waren oder nur Wünsche, wusste sie nicht, aber sie tippte auf letzteres. Denn das, was in den Bildern danach passierte, war definitiv nicht passiert.
Sie sah wieder sich selbst, wie sie ihm voller ängstlicher Verachtung entgegenblickte, seine Hand in ihrem Haar vergraben und wie er sich ihr entgegen beugte.
Wirf nie wieder irgendetwas nach mit, Violet. Die Konsequenzen würden dir nicht gefallen, sagte er und dann bog er ihren Hals zur Seite und biss zu. Violet erinnerte sich an diesen Abend. Aber er hatte sie nicht gebissen. Sie hatte lediglich kurz vermutet das er sie küssen wollte. Oder beißen.
Violet trank weiter, bis sie glaubte von der Hitze und der Macht verbrannt zu werden, schaffte es aber diesmal von selbst von ihm abzulassen. Dann machte Nicolas einen Schritt auf sie zu, atmete tief ein, griff dann mit beiden Händen nach ihr, hielt sie fest und das alles andere als sanft.
„Du tust, was ich sage, Violet. Immer. Verstanden?"
„Du tust, was ich sage, Violet. Immer. Verstanden?"
Sie hörte seine Stimme wie ein Nachhall in seinen Gedanken, als wäre die Verbindung immer noch da und bräuchte etwas um sich zu lösen. Und Violet konnte nicht widerstehen. Sie blickte ihm in die Augen, fasziniert von den Einblicken die Nicolas ihr unfreiwillig gewehrt hatte, und fragte sich ob da mehr war. All diese Situationen hatten nichts Anzügliches an sich gehabt und doch war da noch vieles gewesen, was er zurückgehalten hatte, was er verdrängte, in erster Linie vor sich selbst.
„Alles was du willst. Immer", hauchte sie ihm entgegen und ihre Worte ließen seine Gedanken tatsächlich abschweifen. Wie jeder Mann es tun würde, sah sie Sex in seinen Gedanken. Die kurze aber eindringlich Vorstellung wie sie an den Haaren gepackt und auf die Knie gezwungen wurde um...
Denn Rest sah sie nicht mehr, die Verbindung hatte sich gelöst, aber mehr brauchte es nicht. Er mag auf ihren Gefühlen herumtrampeln und sie für albern halten, aber er war wie jeder andere Mann wenn es darum ging wie man mit solchen Angeboten umging, oder welche Vorstellungen es weckte.
Er wich vor ihr zurück als hätte er sich verbrannt und schloss kurz die Augen bevor er ihre Worte einfach überging. „Wir treffen uns in einer Stunde mit Sophie, Björn und Re. Geh duschen, du stinkst nach seinem Kuss, Violet!" sagte er und es klang womöglich aggressiver als er es beabsichtigt hatte. Aber das war in Ordnung, denn ob nun echt oder nicht, Violet fühlte sich zu ihm hingezogen und es versetzte sie geradezu in Euphorie, dass sie ihm ebenfalls unter die Haut ging. Wenn auch nicht emotional. Doch mehr konnte sie sich schließlich nicht erhoffen. Es war nicht so als wäre sie nie geliebt worden, ihr Vater hatte sie geliebt, ihre Mutter hatte sie geliebt. Sie war vereinsamt aber nicht verbittert. Sie kannte liebe und wusste, wie sie sich anfühlte, sowohl emotional als auch körperlich.
Ein Gesicht flimmerte vor ihren Augen auf. Greagor. Sie waren zusammen zur Schule gegangen, sie hatten sich geliebt. Vor mehr als vierzig Jahren. Sie wollte ihn als jungen, liebevollen Mann in Erinnerung behalten und nicht wie den gebrechlichen Greisen, der er gewesen war als er starb. Mit nicht einmal fünfzig Jahren an Krebs. Als sie ihn verließ, hatte er das nie ganz verkraftet und sie hatte ihn lange nicht loslassen können. Hatte ihm bei seinem Leben zugesehen, ohne selbst Teil davon zu sein. Wie erklärte man auch jemanden, dass man nicht alterte?

Sie war nun 64 ... nein, 66 erinnerte sie sich und rechnete dennoch einige Male nach um es zu überprüfen. Sie tötete ihre Mutter in einem Blutrausch, als sie gerade 33 war und zwei Jahre danach – sie wäre fast verhungert, war Nicolas aufgetaucht. Er musste das mit Gregor mitbekommen haben, hatte gesehen, wie sehr sie sich an einen Mann hängen konnte, der unerreichbar war. Wie naiv und unreif ihm das vorgekommen sein musste. Aber es war egal, so war sie und auch wenn er es als dummes Mädchengehabe abtat, sie war froh nicht so kalt zu sein wie er.  

Beta: Geany

Violet (Bd 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt