Training

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Kapitel 32


Violet donnerte ungefähr zum fünfzigsten Mal mit dem Hintern auf den Boden und konnte gar nichts so schnell zur Seite kriechen, wie Björn ihr ein Knie gegen den Brustkorb drückte und sie auf der harten Sportmatte festnagelte. Sie kämpfte, aber nach drei Stunden ständigen auf den Boden krachen, war sie mit ihrer Kraft am Ende und konnte sich nicht mehr frei winden, wie er es ihr beigebracht hatte.

„Schon müde? Wie viele Schwächen willst du noch haben, Violet? Wie viele Gelegenheiten gibst du deinem Gegner, dich umzubringen?", fragte Björn kalt und sie wunderte sich, das Sofias Mann tatsächlich einen ganzen Satz für sie übrig hatte, anstatt sie lediglich mit einzelnen Worten anzubrüllen: Schneller! Schwach! Zu langsam! Das waren die Worte gewesen, die sie in den letzten paar Stunden von ihm gehört hatte und tatsächlich hatte sie genug davon, sich heumschubsen zu lassen.
„Du hast gesagt ich soll weglaufen, nicht kämpfen!", murmelte sie ihm erschöpft entgegen und Björn nahm sein Knie beiseite und half ihr dabei sich wieder auf die Beine zu stellen. Violet atmete schwer und spürte jeden einzelnen Knochen in ihrem Körper.
Als Nicolas ihr nach Res kleiner Ansprache und ihrer kleinen Vereinbarung offenbarte, dass er sie nun auch wie ein Zögling würde behandeln, dachte sie, dass es etwas Gutes sein würde. Dabei hatte sie eines vergessen: Nicolas hatte ihr einmal gesagt, das er ihr gewisse Eigenwilligkeiten durchgehen ließ, weil sie NICHT sein Zögling war. Schwächen konnte sich ein Sammlerstück erlauben aber ein erschaffener, junger Vampir anscheinend nicht. Und genau deswegen war sie hier und ließ sich von Björn durch die Gegend werfen.
„Du kannst nicht weglaufen, wenn dich jemand festhält!", erwiderte Björn knapp und streckte seine massigen Muskeln bevor er von der Sparringmatte herunter schritt und sich zu seiner Frau gesellte, die Violet mit ernster Miene betrachtete.
„Das Nicolas dir so gar nichts beigebracht hat, macht mich wirklich sauer. Als würde er dich für immer in seinem Schlafzimmer festhalten können und du es nicht nötig hättest, zu lernen, wie du überleben kannst", murmelte sie und betrachtete Violet dabei eingehend, bevor sie sich von ihrem Mann ablenken ließ er sich mit seinem nackten Oberkörper direkt vor sie stellte und Sofia anhimmelte.
„Ich kann seinen Gedankengang dabei nur all zu gut nachvollziehen", murmelte der Wikinger und beugte sich zu Sofia herunter um sie zu küssen, die daraufhin lachte. „Vergiss nicht, wer von uns beiden auf der Matte liegt, wenn es ernst wird", hauchte Sofia verspielt und schubste ihren Mann fort, der einige Schritte zurücktaumelte. Sofia war wesentlich älter als Björn und damit auch eine ganze Ecke stärker. Gegen die beiden hätte Violet nicht den Hauch einer Chance.
„Weißt du schon, was du anziehen wirst?", wechselte Sofia das Thema, während Violet sich den hohen Pferdeschwanz wieder fest zog und versuchte den vollkommen durcheinander geratenen Pony zu richten.
„Was denn anziehen?", wunderte sich Violet und hatte keine Ahnung, worauf Sofia hinaus wollte. Sie verdrehte die Augen und legte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere und sah dabei so zierlich und verletzlich aus, das Violet sich immer wieder wunderte wo zum Teufel in diesem Körper die Kraft steckte, einen Berg wie Björn zu besiegen.
„Sie meint das Fest morgen Abend", drang plötzlich Nicolas Stimme zu ihr hindurch und Violet zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, dass die Tür zum Sparringroom aufgegangen war, geschweige denn, dass jemand hereinkam. Der Mann wusste definitiv, wie man sich anschlich.
Für einen kurzen Moment schämte sich Violet für ihr legeres Outfit. Pferdeschwanz, enges Shirt und eine Jogahose – alles Leihgaben von Sofia die etwas eng saßen, weil Violet weder so zierlich noch so klein war wie Sofia. Sie sah sowieso schon immer albern neben ihm aus, aber nun? Verschwitzt und vollkommen ausgelaugt, fühlte sie sich einfach miserabel als Nicolas in einen perfekt gebügelten weißen Hemd und Anzughose in den Raum kaum. Und das, obwohl er für seine Verhältnisse extrem lässig wirkte. Er trug weder eine Weste, die die wunderbare V-Form seines Oberkörpers zur Geltung brachte, noch eine Anzugjacke die ihn diese allumfassende Erhabenheit verlieh. Ganz im Gegenteil. Sein Haar war etwas durcheinander geraten und die ersten Knöpfte seines Hemdes standen offen, so das Violet dass Wasser im Mund zusammen lief. Seine hellbraunen Haare schimmerten bronzefarben im grellen Neonlicht und obwohl nichts über die vielen Narben auf seinem Gesicht hinwegtäuschen konnte, war er einfach zum anbeißen.
Konnte dieser Mann nicht einfach so schmierig auf sie wirken, wie es sonst immer alle Anzugträger auf sie getan hatten? Es war kaum auszuhalten, wie lächerlich sie sich immer wieder damit machte da zu stehen und ihn anzuschmachten.
So wie jetzt.
Mist.
Violet wandte ihren Blick ab, doch es war zu spät. Alle starrten sie bereits an, als wäre sie angesprochen worden. Allerdings war sie so verzaubert von Nicolas Anblick gewesen, dass sie es schlicht nicht mitbekommen hatte.
Mist. Mist. Mist.
„Ähm was?", fragte sie leicht dämlich und Sofias Grinsen wurde darauf hin so breit, das es ihr drohte bis zu den Ohren zu reichen.
„Er sagte: dass Re morgen Abend ein Fest gibt und ich habe dich darauf gefragt, ob du weißt, wie Res Feste normalerweise enden?"
Violet spürte wie ihre Wangen erröteten und verengte dann misstrauisch die Augen, um von ihrer kleinen Blamage abzulenken, auf die sie Gott sei dank niemand einging.
„Wie gehen sie denn normalerweise aus?", fragte Violet und es war Nicolas der ohne jede Gefühlsregung antwortete.
„In der Regel enden sie als Orgie."
Sekunden lang war es unfassbar still, aber irgendwann kam Violet zu dem Schluss, dass Nicolas sie veralberte. Wusste, aber dennoch, dass ihr weitere Hitze in den Kopf stieg, was sie ganz schnell überspielen musste.
„Wa-Was? Du machst dich über mich lustig, das kann doch nicht euer ernst sein", sagte sie und ihre Worte wurden zum Ende hin etwas zu hoch, was deutlich ihre Panik demonstrierte. Hilfesuchend blickte Violet zu Sofia, die immer noch breit grinste und den Kopf schüttelte.
„Nein. Re hat eine ganz besondere Art Feste zu feiern, dafür ist er geradezu berühmt. Und dieses ist ganz besonders wichtig, denn es sind alle Verbündeten geladen und diejenigen, die es sein wollen und die erwarten geradezu das alles ... eher zwanglos gehalten wird. Das wird lustig."
„Lustig?", kreischte Violet entsetzt und Sofia zuckte mit den Schultern als sie näher an Björn herantrat und ihn ergeben über die nackte Brust strich.
„Ja. Wenn man einen festen Partner hat, macht es noch mehr Spaß, weil du dir nicht erst einen suchen musst. Obwohl es etwas Aufregendes hat, einfach plötzlich angefasst zu werden während man sich von der Lust der anderen hinforttreiben lässt."
„Niemand anderes wird dich anfassen!", knurrte Björn und griff in Sofias Haar und zog ihren Kopf in den Nacken, die sich lustvoll die Lippen leckte und lange Eckzähne entblößte.
„Und wenn es eine andere Frau wagen sollte dich zu berühren, reiß ich sie in Stücke! Aber du weißt ja, wie gerne ich zusehe", schwor Sofia und sah dabei tatsächlich sehr mordlustig aus. Violet beobachtete die beiden, schlug aber den Blick nieder als Björn Sofia küsste und fühlte sich momentan alles andere als gut.
Sie wagte es kaum Nicolas in die Augen zu sehen, denn sie wusste weder, was sie davon halten sollte noch wie sie dem allen entkommen könnte. Sie war nicht naive, die Vampire auf dieser Party würden von ihr erwarten, dass sie Sex haben würde und da sie nach Nicolas roch und alle davon ausgingen, dass sie mit Nicolas schlief, würden sie erwarten, dass sie es mit ihm tat. Oder auch nicht. Was wusste sie schon von den Erwartungen, die an sie während einer Orgie gestellt werden?
Und es war egal, denn der Stein in ihrem Hals rutschte in ihren Magen und zog sie innerlich zu Boden, während ihre Gedanken nur so rasten. Ob sie mit Nicolas schlafen würde? Gott, ja! Alleine bei dem Gedanken entfachte es ein Feuer in ihrem Unterleib, das sie noch weiter verspotten würde. Aber was ist, wenn Nicolas sich für den Abend eine Andere nahm? Wie würde sie reagieren, wenn sie dabei zusehen musste, wie er eine andere Frau berührte?
„Niemand wird etwas gegen deinen Willen tun, Violet. Aber wenn du nicht inbrünstig genug ablehnst, wird es nichts bezwecken. Viele betrachten es als Herausforderung, wenn eine Frau sich etwas ziert. Ansonsten solltest du dir darüber keine Gedanken machen. Der Abend wird sich so entwickeln, wie er sich eben entwickelt", sagte Nicolas und Violet warf ihm nur einen zögerlichen Blick zu. Er wirkte alles andere als entsetzt, nahm es sogar mit einer gewissen Gleichgültigkeit hin, die sie neidisch machte.
„Keine Gedanken machen?", hauchte sie mehr zu sich selbst. Aber natürlich hörten die Vampire im Raum sie.
„Nein, nimm dir jemanden den oder diejenigen die dir gefallen. Ich erhebe keinen alleinigen Anspruch auf dich, also kannst du den Abend ganz entspannt sein." Sagte er und es fühlte sich an, als hätte er ihr eine Ohrfeige verpasst. Aus den Augenwinkeln sah Violet wie Sofia sich von ihrem Mann löste und auch diese geradezu entsetzt wirkte.
Er aber wirkte so entspannt wie immer, musste sich aber der Tragweite seiner Worte gerade in der Gegenwart anderer bewusst sein. Er gab zu, dass er mit ihr schlief – was wohl angesichts ihres Geruches niemand wirklich bezweifelte – und sagte ihr dennoch, dass sie ihm nichts bedeutete. Nicht mehr als das was sie offiziell war: Sein Zögling. Er war vernarrt in sie – offiziell. Aber nicht so sehr das er eifersüchtig werden würde – offiziell und auch inoffiziell. Denn während Violet sich tatsächlich zu ihm hingezogen fühlte, schien Nicolas sich nicht im Geringsten für sie zu interessieren. Was mehr nun noch mehr schmerzte. Sie fühlte sich gedemütigt, aber sie schluckte es herunter.
„Gut. Dann muss ich mir nur noch überlegen, was ich anziehe!" presste sie hervor und ihre Stimme klang dabei nicht halb so sicher wie sie sollte. Sie hatte ihn auch demütigen wollen aber was sie sagte, klang eher verzweifelt und dass sie sich daraufhin ein Handtuch schnappte und in die Umkleide verschwand, machte es nicht besser.

Beta: Geany

Violet (Bd 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt