Kopfgeld

4.6K 374 23
                                    

Kapitel 19
Nicolas sah ihr eine ganze Weile entgegen, wartete bis sie seine Worte verdaut hatte, dann erhob er sich, blieb aber vor der Couch stehen auf der sie sich unter einer Decke eingemummelt hatte. Violet legte den Kopf in den Nacken um ihm ins Gesicht sehen zu können und als er die Hand nach ihrem Gesicht ausstreckte und ihre Wange flüchtig berührte, sah er sie mit ehrlichen Bedauern an.
„Ich weiß, du hast dir gewünscht eine Art Zugehörigkeit zu erfahren. Auch wenn du als Wesen vielleicht einzigartig bist, bist du nicht alleine, Violet." Seine Worte sollten sie vermutlich trösten, denn wenn sie ehrlich war, war die Einsamkeit bisher das Schlimmste in ihrem Leben gewesen. Nicht Margareta oder ihr perverses Hof-Party-Haus. Was sie dort gesehen hatte belastete sie, aber es verblasste hinter all diesen Jahren die sie bereits alleine lebte und nicht wusste, was sie war oder wo sie hingehörte. Deswegen bedeuteten ihr die Worte tatsächlich viel, dennoch fehlte ihr ein gewisses Vertrauen ihm gegenüber.
„Du hast immer noch nicht gesagt, was genau du von mir erwartest. Außer dass ich für dich eine Art Sammlerstück bin, dass du einfach besitzen willst", sagte sie und konnte den Vorwurf in ihrer Stimme nicht unterdrückten. Nicolas zog seine Hand weg, nahm ihr leereres Glas vom Beistelltisch und hockte sich vor das Sofa.
Da sie bereits am Anfang ihre Beine auf die Sitzfläche gezogen hatte, musste sie auch keine Angst haben ihn zu berühren. Ihre irrationalen Gefühle für ihn waren sowieso schon unangebracht intensiv und absolut unverhältnismäßig für die kurze Zeit, die sie nun bereits aufeinander hockten. Natürlich kannten sie sich schon Jahre, aber das sollte sich eigentlich negativ auf diese Anziehung auswirken. Schließlich war er mehr Objekt ihrer Wut gewesen als ihrer Begierde. Dennoch wurde diese Anziehung stärker und mittlerweile fühlte sie sich von ihm manipuliert.

Nicolas seufzte leicht, hielt das Glas in der einen Hand, während er die Schlagader der anderen Hand mit seinen Zähnen öffnete und ihr Trinkgefäß wieder mit seinem Blut auffüllte. Sein Blut. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Ja, er hatte sie bereits vorher mit seinem Blut ernährt, aber nun hatte sie es quasi frisch aus seiner Ader erhalten und seitdem fühlte sie sich unweigerlich zu ihm hingezogen, war sogar eifersüchtig und besitzergreifend.
„Ich erwarte gar nichts von dir und das ist das Beste was dir passieren kann. Du kannst tun und lassen was du willst, solange du niemanden erzählst was du bist und in meiner Nähe bleibst."
„Fütterst du mich deshalb mit deinem Blut? Damit ich bei dir bleibe?", fragte Violet und starrte auf das Glas mit Blut. Nicolas leckte sich über die Wunde und stillte damit die Blutung. Vielleicht war es das Blut das dafür sorgte, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, aber er sah sie ehrlich verwirrt an und runzelte die Stirn.
„Ich mache dich nicht abhängig, wenn du das meinst. Du könntest sicherlich auch anderes Vampirblut zu dir nehmen", erklärte er und reichte ihr das Glas. Etwas peinlich berührt nahm sie es an und trank einen Schluck, es war noch warm und verdrängte die Kälte in ihrem Inneren ein wenig.
„Mir steht es also nicht frei zu gehen?", fragte sie, nicht nur um dem Thema von gerade zu entgehen. Sie würde vor Peinlichkeit im Boden versinken, wenn Nicolas herausbekommen würde, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Gerade jetzt, wo er verkündet hatte seine Gefangene zu sein.
Nicolas Mundwinkel zuckten bei ihrer Frage. Eine Frage, die eigentlich keine Antworte bedurfte. Er streckte wieder die Hand aus und ließ einer ihrer dunklen, langen Haarsträhnen durch seine Finger gleiten, als würde er tatsächlich eine Kostbarkeit berühren und dennoch blieb der Ausdruck auf seinem Gesicht berechnend.
„Ich will dich nicht mit Gewalt festhalten müssen, Violet. Also zwing mich nicht dazu, ich würde dir nur ungern wehtun müssen." Und dann erinnerte sie sich an etwas, was er ihr schon einmal gesagt hatte, an dem Abend als sie ihn mit einem Zahnputzbecher beworfen hatte. Er hatte etwas Ähnliches gesagt aber eine andere Begründung genannt.„Weil es dir gefallen würde?", wisperte sie und es war eher etwas was sie sich selbst in Erinnerung rief, als tatsächlich eine Frage an ihn zu sein. Er streichelte noch immer ihr Haar und sein Blick nahm etwas Träumerisches an.
„Wie jeder andere alte Vampir bin ich fasziniert von Schmerz und Leid. Ich sehe andere Aspekte darin jemanden zu verletzen. Dinge, die du nicht siehst weil du Mitleid empfindest und davor zurückschreckst anderen etwas anzutun. Das ist ein Luxus, den sich junge Zöglinge wie du eigentlich nicht leisten können, aber ich werde es dir nicht austreiben, wie andere Erschaffer. Ich habe nicht vor dich gehen zu lassen, also darfst du deine naiven Empfindungen behalten." Er erhob sich und sah dabei wieder auf sie herab.
„Das ist mein Geschenk an dich, lerne es wertzuschätzen!" Und das war keine Bitte. Es war ein Befehl und Violet wusste, dass sie auf ihn hören sollte. Denn ich solchen Momenten war keine Zärtlichkeit in ihm und sie fürchtete ihn mehr als Margareta.
„Ich wollte nicht undankbar erscheinen", sagte sie, denn das letzte was sie wollte war ihn zum Feind zu haben. Sie hatte gesehen, was er mit Geborenen tun konnte und von ihm als Sammlerstück betrachtet zu werden bedeutet für sie Schutz und viel wichtiger: Abstand von dieser untergegangenen Restzivilisation, die die Vampirrasse zu sein schien und nichts als Blut, Schmerz und Intrigen kannte.
„Ich weiß. Du testest deine Grenzen aus, auch das gestatte ich dir", meinte er ernsthaft. Violet konnte sich ein Schnauben daraufhin nicht verkneifen. Und ihre folgenden Worte auch nicht.
„Wow, deine Arroganz ist wirklich schwer zu ertragen", erwiderte sie missmutig und zu ihrer Überraschung schien Nicolas nicht beleidigt, sondern eher belustigt.
„Warum sagen mir das die Frauen eigentlich immer?" Violet zuckte mit den Schultern, erleichtert, dass er es mit Humor nahm und sich seines riesen Egos auch bewusst zu sein schien. Dennoch verbarg er es nicht, was ihn zu einem verdammt ehrlichen Mann machte. Den ehrlichsten, den sie bisher kennengelernt hatte. Er hatte sie bis jetzt nicht belogen, ihr offen gesagt woran sie bei ihm war und er verstellte sich nicht. Und vor allem: er schien nicht von ihr zu erwarten, dass sie sich verstellte. Wenn er mit ihrer Zickigkeit und ihrem Sarkasmus leben konnte, würde sie mit seiner Arroganz klar kommen und versuchen ihn nicht allzu sehr damit aufzuziehen.
„Vermutlich, weil es stimmt. Aber was weiß ich schon?" Er lachte tatsächlich leise vor sich hin. Zumindest solange bis ihre unbefangene Stimmung unterbrochen wurde. Eine Faust donnerte an die Tür und als Nicolas sie fragend ansah, versuchte sie in sich hinein zuhören um festzustellen, ob es vielleicht wieder ein Geborener sein könnte. Aber sie fühlte nichts und schüttelte dann den Kopf.„Ich kann nichts wahrnehmen."
„Bleib hier und diesmal wirklich, sonst kette ich dich tatsächlich noch irgendwo fest!" drohte er und seinen Gesichtsausdruck nach zu urteilen meinte er es wirklich ernst. Sie nickte und blieb sitzen, während Nicolas in dem Gang verschwand. Sie hörte, wie die schwere Metalltür geöffnet wurde und war erleichtert, als sie Sofies klare Stimme vernahm die sich sofort überschlug.
„Was hast du angestellt?", fragte sie einige Tonlagen zu hoch und musste an ihm vorbeigeprescht sein, denn plötzlich stand sie im Zimmer bei Violet.
„Pack deine Sachen Liebes, wir müssen in ein paar Minuten verschwunden sein!", befahl sie brüsk, aber Violet hob nur fragend eine Augenbrauche und wartete, bis Nicolas den Raum wieder betreten hatte. Hinter ihm dieser Riese Namens Björn, Sofias Ehemann.
„Niemand außer mir gibt ihr Befehle, Sofia. Und eine Erklärung wäre schon hilfreich. Du weißt, wie sehr ich Besuche verabscheue!" erwiderte Nicolas und Sofia verdrehte innerlich die Augen.
„Deine Arroganz ist wirklich schwer zu ertragen, hat dir das schon mal wer gesagt?" Violet musste offen Grinsen, was zumindest Björn nicht zu entgehen schien.
„Nein. Nie," log Nicolas frei heraus, „Warum bist du hier?"
„Du hast Glück, das wir noch nicht ganz aus der Stadt raus waren als wir es hörten. Keine Ahnung was du mit der Hexe wieder gemacht hast, aber sie hat ein Kopfgeld auf dein Schätzchen ausgesetzt", erklärte Sofia und deutete mit den Daumen auf Violet, der das Grinsen sofort verging.
„Was? Auf mich? Ich habe gar nichts getan!"
„Nimm's nicht persönlich, Vio. Die Zicke will ihn zu ihrem Gefährten machen, seit er sich hier niedergelassen hat und kann Konkurrenz nicht ausstehen." Violet runzelte die Stirn. Margareta wollte ihren Tod und das sollte sie nicht persönlich nehmen?
„Danke für die Information, aber ich kann auf sie aufpassen, was du eigentlich wissen solltest", entgegnete Nicolas vollkommen unbeeindruckt. Sofia aber schien das anders zu sehen.
„Tatsächlich? Sie bietet ihre DeuxMacina als Belohnung", flötete sie fast schon liebevoll und Nicolas verlor ganz plötzlich seine Zuversicht, was Sofia nicht davon abhielt es ihm weiter zu erläutern „Du kannst sie beschützen, aber nicht vor dem ganzen, verdammten Kontinent. Violet, du bist gerade zur gefragtesten Frau in der neuen Welt aufgestiegen. Ich würde dir ja gratulieren , aber selbst ich spiele gerade mit den Gedanken dir deinen hübschen Kopf abzureißen um an die Belohnung zu kommen. Aber du hast Glück, denn du vögelst meinen Bruder. Und nun sollten wir endlich verschwinden, bevor sich der Mopp zusammenschließt um an Nicolas vorbeizukommen."Das schien dann doch sehr überzeugend.  

Beta: Zitronenlimo

Beta: Zitronenlimo

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
Violet (Bd 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt