kein Entkommen

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Kapitel 18
Das Feuer knisterte wieder im Kamin, weil Violet einmal mehr fror und Nicolas entledigte sich gerade seiner Anzugjacke und seiner Weste bevor er ihr ein Glas Blut reichte. Sein Blut. Die Manschetten an seinen Hemdärmeln waren verschwunden und der Stoff bis zu den Ellenbogen herauf gerollt. Sie entblößten starke sehnige Unterarme und noch mehr Narben.
„Woher hast du die Narben?", fragte Violet und trank fast die Hälfte des Blutes in einem Zug. Die Kraft strömte durch ihren Körper und wärmte sie etwas von Innen, aber es reichte nicht aus um zu verhindern, dass Violet wieder nach der Decke griff.
„Das sind nicht die Fragen, die du mir stellen solltest", erwiderte er abweisend und Violet stöhnte innerlich genervt auf. Gab dann aber nach und beschloss ihn lieber nicht nach persönlichen Dingen zu fragen. Es fiel ihr schwer, denn sie war neugierig, das war sie schon immer gewesen.
„Warum vertrage ich nur dein Blut? Konnten die anderen Geborenen Vampire auch nur Vampirblut trinken?" Nicolas starrte ins Feuer, während er ihr antwortete.
„Ich weiß nicht viel über die geborenen Vampire aus der Urzeit. Aber das was ich weiß, sagt mir, dass ihr abgesehen davon das du wie sie nicht verwandelt wurdest, nicht viele Gemeinsamkeiten habt. Vampirblut war für sie eine Art Delikatesse", er drehte den Kopf zu ihr, und Violet konnte den Gedanken nicht verbannen, dass sein Blut tatsächlich sehr schmackhaft war, „und es war eine Beleidigung, etwas erniedrigendes, einen Geborenen von sich trinken lassen zu müssen. Sie benutzen es als Strafe, noch heute ist es zutiefst verpönt von anderen Vampiren zu trinken." Violet sah wieder auf das Glas in ihrer Hand. Fühlte er sich dadurch beleidigt, dass sie von ihm trank? Er wirkte nicht gerade getroffen, sein Gesichtsausdruck zeigte keine Spur davon, aber das musste auch nichts heißen.
Violet trank ihr Glas leer und stellte es auf den kleinen Beistelltisch neben sich. Den Appetit verdarb ihr die Erkenntnis nicht, ganz im Gegenteil. Ihr Magen fühlte sich wohler, nachdem sie wusste, warum niemand auf die Idee kam, er würde sie nähren.
„Aber ich vertrage das andere nicht. Mir wird schlecht davon." Sie würde ihre rechte Hand darauf verwetten, dass das Blut von gestern Nacht Menschen Blut gewesen war.
„Allerdings. Ich habe dir am Anfang mein Blut gegeben, weil du nicht in meiner direkten Obhut warst. Du riechst dadurch nach mir. Was für jeden Vampir eine deutliche Wahrung gewesen ist, sich von dir fernzuhalten." Und das erklärte, warum sie in vierzig Jahren nicht einen anderen Vampir begegnet ist.
„Du bist vollkommen anders, Violet. Vergleich dich niemals mit den Urvampiren. Sie konnten Jahre ohne Schlaf auskommen, erschaffene Vampire schlafen sogar nie. Du jeden Tag. Zudem hast du einen verdammt großen Durst." Violets Blick viel auf das Glas. „Ich gehe zweimal die Woche auf die Jagd, im Alter wird es immer weniger und wenn man den Überlieferungen glaubt, tranken die Geborenen noch weniger. Die Evolution geht bei dir in eine andere Richtung."
Sie runzelte die Stirn. Die Erwähnung von Evolution in diesem Zusammenhang schien ihr wirklich konfus zu sein.
„Evolution? Was hat das hier mit..."
„Merkmale entstehen aus Zufall und können entweder hinderlich oder zum Vorteil sein. Du könntest ein Evolutionärer Querläufer sein. Eine Mutation, die mit dir auch untergehen wird. Aber du besetzt eine Nische in der Natur, die ziemlich praktisch ist."Violet kramte so viel von ihrem Biologiewissen heraus, wie sie konnte. Das hatte sie alles schon mal gehört: Merkmale, Nischen im Lebensraum, Zufall. Aber es war lange her und die biologischen Feinheiten waren ihr nicht gerade wichtig gewesen.
„Das Auge hat sich im Laufe der Evolution ganze dreimal selbstständig entwickelt. Der Gedanke, dass die Natur Vampire noch einmal von sich aus hervorbringt, scheint nicht abwegig. Aber leichte Unterschiede gibt es dennoch. Die Urvampire, die anderen Geborenen, ernährten sich vom Menschen. Sie kamen vor etwa zwölftausend Jahren auf, als die Menschen sich nach Ende der Eiszeit in Scharen verbreiteten. Sie waren Raubtiere, die jagten und die Spezies Mensch klein hielten. Der natürliche Gegenspieler eben, aber du trinkst kein Menschenblut."
„Ich bin also was? Der natürliche Gegenspieler von Vampiren?" fragte sie und Nicolas schien den Gedanken gar nicht so abwegig zu finden wie sie selbst.
„Die Vampire erleben gerade einen Anstieg der Population. Die Zersplitterung unseres Volkes und die fehlenden Kontrollstrukturen lassen immer mehr Spielraum für Verwandlungen. Zur Zeit der alten Ägypter und Sumerer, vor sechstausend Jahren, wurde das streng reglementiert. Damals hatten die geborenen die Herrschaft übernommen, indem sie sich als Götter ausgaben. Ihr Ende Aufgrund des Aufstandes war auch das Ende dieser Hochkulturen und schleuderte Mensch und Vampire in eine eher ungeordnete Zeit." Violet riss die Augen auf. Sie wollte Nicolas nicht unterbrechen, aber der Gedanke, das der Aufstand mit dem Ende der alten Kulturen zusammenfiel hatte sie hellhörig gemacht. Hatte Nicolas nicht gesagt, er sei kurz danach erschaffen worden?
„Moment. Wie alt bist du? Und wie alt ist Margareta, wenn sie nochmal älter ist?" Nicolas verschlagenes Lächeln und das Blitzen in seinen Augen, machten ihr kurz angst, aber es schien so etwas wie Anerkennung zu sein. Ja, so ganz auf den Kopf gefallen war sie nicht.
„Selbst für Vampire haben wir ein geradezu biblisches Alter. Ich bin kurz nach dem Ende der Kämpfte, also 330 vor Christus erschaffen worden und soweit ich weiß wurde Margareta fünfhundert Jahre früher wiedergeboren."
Ihr blieb wortwörtlich die Kinnlade offen stehen. Der Mann vor ihr war mehr als zweitausend Jahre alt. Das war eine unvorstellbare Zeitspanne für sie.
„Und bevor du fragst: Es gibt nur eine Handvoll Vampire, die so alt sind. In der Regel wählen die meisten Vampire nach etwa sechs oder siebenhundert Jahren den Freitod, fallen Machtspielchen zum Opfer oder werden hingerichtet weil sie wahnsinnig werden. Margareta ist die älteste Vampiren in der neuen Welt, dann kommen ich und Sofia und mit ein wenig Abstand Björn, Sofias Mann. In der alten Welt zentralisiert sich das ein wenig mehr." Das erklärte warum Margareta ihn einfach hatte gehen lassen, nachdem er ihr die Standpauke gehalten hatte und es erklärte die Leichtigkeit, mit der Nicolas dem Geborenen den Kopf abgerissen hatte.
„Dieser Aufstand ist schon so lange her und ihr verfolgt die Geborenen immer noch?" Es war doch schon Jahrhunderte her.
„Ich weiß wie gesagt den genauen Verlauf nicht. Erschaffene Vampire werden mit höheren Alter immer mächtiger, einen Zenit scheint es dabei nicht zu geben. Der Grund für den Aufstand ist mit Sicherheit die Sklaverei gewesen und die Willkür der herrschenden Geborenen. Aber der Auslöser war angeblich die Hinrichtung eines zu mächtig gewordenen Vampirs, der allerdings sehr beliebt und sehr friedlich war. Sein Zögling tötete darauf hin die Blutgefährtin des Geborenen, der damit so geschwächt war, dass auch er getötet werden konnte. Als Paar, mit Blut aneinander gebunden, sind Geborene unglaublich mächtig und das sehr viel schneller als erschaffe Vampire, aber alleine sind sie schwach."
So etwas Ähnliches hatte Margaret auch erwähnt. Sie sagte, dass sie immer schwach wären, solange sie alleine sind.
„Und dieses Kriegsbeil konntet ihr nicht begraben? Es musste immer weiter gehen?" Nicolas Mundwinkel zuckten, freudlos. Dann schüttelte er den Kopf.
„Als die Erschaffenden verstanden, wie man ihre Meister tötete, richteten sie ihre Aggressionen gezielt gegen schwangere und damit geschwächte Frauen und Kinder. Das Ziel war nicht ihre Freiheit, sondern eigentlich von Anfang an die Auslöschung der Urvampire. Eine absolut übertriebene Reaktion. Es war der erste Völkermord der Geschichte, man machte keine Unterschiede und tötete jeden. Selbst die Geborenen die Lebensgemeinschaften mit Erschaffenen eingegangen waren, Sympathisanten des Aufstandes und Unschuldige. Mag sein, dass wir Jahrhunderte in Sklaverei lebten, aber eine Entschuldigung für einen Völkermord ist es sicherlich nicht. Da es so gut wie keine Frauen mehr gab, ist eine Reproduktion der Geborenen fast unmöglich geworden. Es gibt sicherlich noch welche, die sich verstecken, aber sie werden Aussterben, das ist unvermeidlich."
Violet hörte einfach nur zu und bemerkte deutlich wie sehr Nicolas das Tun seiner Leute verabscheute und dennoch war er kaltschnäuzig genug selbst einen Geborenen hinzurichten. Sie glaubte den Grund dafür in seiner Erzählung entdeckt zu haben: Es war ein Ausdruck des Mitleids, so absurd wie es auf den ersten Blick auch schien. Nicolas war vermutlich der Meinung das unnötige Leid zu verkürzen.
„Was ist, wenn es noch mehr wie mich gibt? Plötzlich wieder aufkommende Geborene. Weibliche Geborene.."
„Violet, ihr seid euch mit Sicherheit ähnlich und irgendwie scheinen sie auf dich zu reagieren. Du hast den Geborenen von gestern wahrscheinlich angezogen, aber ihr seid immer noch unterschiedliche Spezies. Genauso wie erschaffene Vampire keine Kinder zeugen können oder welche bekommen, glaube ich nicht daran, dass du dazu in der Lage wärst ihre Kinder auszutragen. Von Menschen bestimmt, schließlich stammst du von Menschen ab, aber den jämmerliche Rest da draußen kannst du nicht helfen. Du bist nicht ihre Rettung, sondern ihre Ablösung. Und mach dir nichts vor: Selbst wenn die Erschaffenen verstehen, dass du nicht wie sie bist, werden sie versuchen dich zu töten. Einfach weil du eine Gefahr darstellst."


Beta: Zitronenlimo

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Violet (Bd 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt