einen Gefallen

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Kapitel 25

Nicolas besitzergreifende Worte hallten noch in Violet nach und brachten ihr Herz dazu, in einem viel zu schnellen Rhythmus zu schlagen. Vorher hatte der Gedanke, nicht mehr Herr ihres eigenen Lebens zu sein, sie verschreckt, aber nun war es anders. Sie gehörte ihm und das Wissen darum löste eine Sehnsucht in ihr aus, die sie ihm gegenüber niemals zur Schau tragen würde. Die Einsamkeit hatte Spuren in ihr hinterlassen und sie war noch nie einem Mann begegnet, dem sie so wichtig war, dass er den Drang erlag sie als sein Eigentum zu markieren.
Ihr war sehr wohl klar, dass sie in dieser Geste einen albernen romantischen Hintergrund hineindichtete, der einfach nicht gegeben war. Nicolas hatte nie auch nur eine Andeutung in diese Richtung gemacht. Er flirtete nicht, gab ihr keinerlei Zeichen, dass er sie für mehr hielt als ein kostbares Sammlerstück. Und dennoch saß sie nun am Panoramafenster ihres Zimmers und betrachtete die funkelnden Lichter des nächtlichen New Yorks, während sie den Stich in ihrem Herzen ignorierte.
Sie mochte Nicolas und konnte ihn gleichzeitig nicht leiden, aber seine Anziehung auf Violet war deutlich sichtbar spürbar. Leider schien diese absolut einseitig und Violet fragte sich, ob jemand wie Nicolas so etwas wie Schwärmerei oder gar Liebe kannte. Wahrscheinlich hatte er oft geliebt, oft betrogen und noch viel öfter Herzen gebrochen.
Wenn ich diesem Gefühl noch länger hinterher hänge, wird mein Herz dazugehören, dachte sie und atmete tief durch um diese kindliche Schwärmerei für einen so kalten Mann endlich hinter sich zu lassen.
Nicolas Apartment war groß genug um ihm erst einmal aus dem Weg zu gehen und selbst erstmal Zeit zu finden, alles zu verarbeiten. Aber als sie endlich zur Ruhe kam, fiel ihr auf: Sie brauchte sie nicht. Ihr Vater war tot. Damit hatte sie sich irgendwann zwischen dem Besuch bei Margaretha und dem Auftauchen dieses Geborenen arrangiert. Es war auch schließlich nicht überraschend gekommen und der Rest? Tja. Die Welt war ein grausamer Ort und keine Offenbarung, die sie in den letzten paar Tagen bekommen hatte, hatte dieses Weltbild ins Schwanken gebracht. Sie hatte lediglich gelernt, dass sie noch viel verdorbener war als gedacht. Eine Meisterleistung, die aber rein gar nichts änderte.
Ihre Aufmerksamkeit wurde auf die Geräusche auf der anderen Seite ihrer Schlafzimmer gelenkt und sie spitzte die Ohren um herauszufinden, was da vor sich ging. Nicolas Apartment war gemütlich. Drei extra Räume gingen von dem Wohnzimmer ab und boten eventuellen Gästen genügend Privatsphäre. Dazu gab es zwei voll ausgestattete Badezimmer und ein kleines Büro. Alles war im Stil der zwanziger Jahre eingerichtet und Violet, die selber bereits sechzig Jahre auf diesem Planeten wandelte, wusste die Eleganz und den Luxus zu schätzen.
Aber die Geräusche waren nicht dem Baustil des Hotels geschuldet, sie kamen von einer Frau. Einer sehr erregten Frau, wie Violet feststellen musste, als sie sich endlich vom Anblick der Skyline losreißen konnte und langsam in Richtung ihrer Tür ging.
Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter und warf einen Blick durch den Spalt um einschätzen zu können, ob das Geräusch ihr eine Warnung sein sollte. Aber als sie sich umsah, gab es keine Bedrohung, die auf sie wartete. Nur Nicolas, der auf einer Couch saß, ein junges Mädchen, das vor ihm kniete und stöhnte als er sich wieder herunterbeugte um seine Zähne in ihr Fleisch zu versenken. Violet war für einen Moment wie erstarrt., während sie dabei zusah wie Nicolas Kopf in der Halsbeuge der jungen Frau lag und diese mit flatternden Lidern die Augen schloss, während er trank. Ihre Hände lagen in einer vulgären Vertraulichkeit auf seinen Knien und selbst als Violet sah, wie die Frau langsam das Bewusstsein verlor, stieg eine irrationale Eifersucht in ihr auf.
Für einen kurzen Moment hatte Violet das Bedürfnis sie von Nicolas wegzuziehen und sich selbst zwischen seine Beine zu knien, damit er von ihr trinken konnte. Aber sie tat es nicht. Es wäre unsinnig und verräterisch. Sie hatte keinen Anspruch auf diesen Mann.
Mit einem dumpfen Aufprall schlug die Frau rückwärts auf den Boden. Eine Wunde am Handgelenk und eine am Hals, ihr helles Oberteil von ihrem eigenen Blut eingeweicht. Jetzt drang kein erregter Laut mehr von ihren Lippen. Ihre Wangen waren fahl und im wahrsten Sinne des Wortes blutleer. Dunkle, ausdruckslose Augen sahen Violet entgegen und für einen Moment dachte sie lediglich die Frau sei benommen, bis sich die hässliche Wahrheit in ihr Bewusstsein kämpfte. Sie war tot. Nicolas hatte sie umgebracht.
„Violet!" Sie sah von der Frau, die Eifersucht in ihr geschürt hatte, zu dem Mann der dieses Gefühl in ihr hervorlockte und war entsetzt darüber, dass er nichts von seiner Wirkung auf sie verloren hatte. Sein Kinn war blutverschmiert, seine langen Reißzähne schoben sich nur langsam wieder in seinen Kiefer zurück und als Nicolas die Hand nach ihr ausstreckte um sie zu sich zu locken, glaubte sie für einen kurzen Moment dem Teufel persönlich gegenüberzustehen. Sie war dumm. Sie war ja so dumm gewesen.
Aus einem Instinkt heraus drehte Violet sich um und rannte aus Nicolas Apartment, noch bevor sie über die Konsequenzen dieser Tat nachdenken konnte. Sie ignorierte den Fahrstuhl und sprintete zum Treppenhaus, als sei der Leibhaftige persönlich hinter ihr her. Währenddessen spürte sie wie Galle ihre Kehle hinauf stieg und sie beugte sich über eine am Rand stehende Mülltonne und würgte ohne das etwas ihren Magen verlassen konnte. Wie sollte sie sich auch übergeben, wenn sie seit Stunden kein Blut mehr zu sich genommen hatte. Sie hatte Hunger, aber beim Gedanken an Blut verkrampfte sich ihr Magen und sie stützte sich wieder an den Rand der kleinen Metalltonne des unbenutzten Treppenhauses, bevor sie sich dazu Zwang, sich wieder in den Griff zu bekommen.
Es war schwer wieder zu sich zu kommen und sich darüber klar zu werden, dass ihre Reaktion lächerlich war. Sie hatte doch bereits Einblick in diese Welt bekommen, wie konnte sie dann so panisch auf die Tatsache reagieren, dass Nicolas tötete? Wie konnte es sie schockieren, ein dummes junges Ding auf Knien vor ihm zu finden, die verlangend stöhnte, bevor sie leblos zusammenbrach und der Mann, der ihr das angetan hatte nicht einmal einen Blick für sie übrig hatte. Nicolas hatte sie benutzt und weggeschmissen wie eine Puppe. Sie wusste nicht, was schlimmer gewesen war.
Selbst der Gedanke, dass er mit seinen Opfern Sex hätte, wäre erträglicher gewesen als das Wissen, dass es nicht mal dazu bei ihm reichte.
Als Violet langsam wieder zu Atem kam und eine Hand auf ihren flachen Bauch presste um sicherzugehen, dass sie nicht wieder anfangen würde zu würgen und doch noch etwas ihren Magen verließ, richtete sie sich auf.
>>Panorama Dach, Vorsicht Windböen<<, stand auf einem Schild neben der Tür und das plötzliche Bedürfnis frische Luft in ihre Lungen zu bekommen war unbeschreiblich. Sie ignorierte eine ganze Menge von Warnhinweisen und trat durch die Tür um nach einem kurzen Flur direkt auf einem steinernen Balkon zu landen. Der Wind war für Herbst etwas zu kalt, aber sie kümmerte sich nicht darum, wie sehr die heftigen Böen an ihren langen Haaren rissen, während sie zur Balustrade ging und nach unten in den Abgrund starrte.
Der Lärm der Stadt betäubte ihr Unwohlsein ein wenig und der kalte Wind erfüllte ihre Lungen, um sie zu beruhigen. New York war nicht überall so wie sie es kannte. Gerade von hier oben sah sie einfach nur ein chaotisches Durcheinander, in dem sie sich nie zurechtfinden würde.
„So gut gelungen, wie es auf den ersten Blick den Anschein macht, bist du nicht.", ertönte eine dunkle Stimme hinter ihr und als sie sich umdrehte stand sie Re gegenüber. Er lächelte nicht so wie noch vor wenigen Stunden, als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Ganz im Gegenteil. Er zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete sie skeptisch.
Violet spürte wie sie bei der Andeutung sie könne „misslungen" sein, die Hände zu Fäusten ballte und konnte sich gerade noch beherrschen ihn nicht körperlich anzugehen. Ob sexy oder nicht, er war letztendlich genau so ein Arsch wie Nicolas.
„Es gefällt dir nicht, unperfekt zu sein, oder?", fragte er mit einem schelmischen Lächeln und trat so nahe an sie heran, dass sie ihm nicht mehr ausweichen konnte, es sei denn, sie würde sich dazu entschließen in den Abgrund zu springen. Er streckte seine Hand aus und berührte so sachte ihre Wange, dass es in ihr wieder diese lächerliche Sehnsucht weckte.
„Das kann ich ändern, Violet." Das bezweifelte sie stark, schließlich war sie so geboren, wie sie war, aber das sollte er ja schließlich nicht wissen. Es fiel ihr nicht schwer seine Berührung zu dulden. Wenn sie genau darüber nachdachte, fiel es ihr viel zu leicht.
„Achja? Und was müsste ich dafür tun?", spielte sie das Spielchen mit und schien damit genau das zu sagen, was er hören wollte. Er lächelte, fuhr mit der Hand in ihren Nacken und beugte sich zu ihr herab.
„Einen Gefallen."  

Beta: ichlanduwlan & Mrs Geany

Violet (Bd 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt