Geheimnisse

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Kapitel 26
Violet schob seine Hand davon und sah ihm so grimmig in die Augen, dass es an Trotz grenzte und sie wusste nicht, ob es clever war in seinen Augen trotzig zu erscheinen.
„Ich will nicht in euren Streit mit hineingezogen werden, ich weiß nicht genau was du dir davon versprichst aber i-"
Er küsste sie. Es ging so schnell, dass sie nicht einmal Gelegenheit hatte zu reagieren, bevor er mit beiden Händen nach ihrem Gesicht griff und seine Lippen auf ihre drückte. Es war nichts Unschuldiges daran, was er tat. Seine Zunge wanderte ohne Verzögerung in ihren Mund und Violet zögerte für einen unverzeihlichen Augenblick, bevor sie die Hände gegen seine Brust drückte und ihn beiseite schob.
Natürlich hätte sie das nie bewerkstelligen können, wenn Re es nicht gewollt hätte. Aber sie war verdammt froh darüber, dass er von ihr abließ. Jede Sekunde fühlte sich an wie Verrat, jeder Moment wie die Sünde selbst und das Schuldgefühl explodierte auch augenblicklich und rebellierte in ihrem Magen. Sie wusste nicht warum, aber sie hatte das Bedürfnis Nicolas diesen Kuss zu beichten. Sofort und so unerbittlich, dass ihr die Tränen kamen, dass ihr die...
„Das ist normal", entfuhr es Re, der immer noch so nahe bei ihr stand, dass sie nicht an ihm vorbeikonnte. Sein Gesichtsausdruck war kalt, obwohl auf seinen Lippen ein leichtes Lächeln lag, dass ihr irgendwie schadenfroh vorkam. Sie war sich sicher, dass er nicht von Natur aus ein böser Mann war, aber in diesem Augenblick kam er ihr vor wie der ultimative Feind. Wut überschwemmte ihren Verstand und der Gedanke, dass er alleine daran Schuld tragen würde, wenn Nicolas wegen dem Kuss sauer auf sie wäre. Er hatte sie geküsst! Nicht umgekehrt.
„Du willst mir jetzt sicherlich die Augen auskratzen, aber ich rate dir in aller Eindringlichkeit, jegliche Art von Gewalttaten mir gegenüber zu lassen, sonst muss ihr dir leider dein hübsches Köpfchen einschlagen und deinen toten Körper auf die Straßen werfen. Ich würde es jedoch vorziehen, wenn nicht plötzlich irgendwelche Vampirkörper vom Himmel fielen. Heutzutage gibt es zu viele Handys und Kameras, es wird sowieso immer schwerer sich versteckt zu halten. Der Papierkram, der diesem Akt folgen würde: reinster Horror!"
„Du hast mich geküsst!", knurrte sie und spürte, wie sich ihre kleinen Fangzähne aus ihrem Kiefer schoben, während sie sich wünschte seinen Hals zu zerfetzen.
„Und du fühlst dich, als hättest du deinen Meister verraten. Es frisst dich Quasi auf. Ich verstehe das, glaub mir. Aber wirklich für dieses Gefühl verantwortlich machen solltest du Nicolas und nicht mich. Würde er dir nicht sein Blut zu trinken geben, wäre dieses Gefühl bei weitem nicht so zwanghaft intensiv", meinte er belanglos, als würde er ihr die neusten News aus der Zeitung vorlesen.
Aber Violet erstarrte. Wie meinte er das? Und woher wusste er... Sein Glucksen unterbrach die Stille und nun erreichte das Lachen auch seine Augen.
„Oh. Ich bin zu alt um eure kleine Scharade nicht zu durchschauen. Abgesehen davon, weiß ich wie Frauen riechen mit denen Nicolas regelmäßig das Bett teilt. Dein Geruch ist zwar ähnlich intensiv, aber es haftet dir nicht an. Du verströmst es selbst, als würde es aus dir herauskommen und dein Geschmack bestätigt es mir. Du trinkst von ihm und ich glaube nicht, dass Nicolas dich über die Konsequenzen diesbezüglich aufgeklärt hat."
Violet stand immer noch regungslos da, während sie das ganze verdaute und sich überlegte, ob sie es nun bestritt oder die Chance nutzte um etwas mehr herauszufinden. Schließlich hatte sie vorher den Verdacht gehegt, dass mit dieser ganzen Blutfütterungssache etwas nicht stimmte.
„Er meinte es sei verpönt, weil die Geborenen ihre Erschaffenen damit bestraft hätten als Nachtisch herzuhalten", sagte sie ehrlich und zu ihrer Überraschung nickte Re.
„Ja, das ist richtig, aber nur die halbe Wahrheit. Es macht auch abhängig. Sein Blut ist in deinem Körper und da er der Stärkere von euch beiden ist, zieht er dich gefühlsmäßig hinter sich her wie ein Magnet, seinen schwächeren Gegenpol. Normalerweise klingt das nach der Verwandlung ab, weil du auch anderes Blut zu dir nimmst. Die Tatsache, dass er dich erschaffen hat, lässt ja bereits eine Art Verbindung entstehen. Er füttert dich, zu seinem und auch deinem Glück, hoffentlich nicht nur mit seinem Blut. Er müsste dafür selbst Unmengen trinken. Aber die Kombination aus Erschaffer und Blutspender bindet dich trotzdem auf eine bizarre Art und Weise noch stärker an ihn. Deswegen fühlst du dich auch so zerrissen und trägst diesen leicht schwärmerischen Gesichtsausdruck mit dir herum."
Violet überging den Großteil seiner Erklärung und bog es sich so zurecht, dass es stimmte. Re wusste nicht, dass Nicolas sie nicht erschaffen hatte, dafür ahnte er nicht, dass Nicolas ihr tatsächlich ausschließlich von seinem Blut zu trinken gab. Was wohl am Ende zum selben Resultat führte: emotionale Abhängigkeit. Also band er sie tatsächlich an sich ...und tötete dafür.
Wieder dachte Violet an diese junge Frau von vorhin. Er hatte ihr so viel Blut abgenommen bis sie starb, damit er Violet ernähren konnte. Unmengen von Blut hatte Re gesagt und wenn das stimmte, dann tötete Nicolas regelmäßig alleine für sie.
Wieder machte ihr Herz einen Sprung – aus reiner Dummheit natürlich, denn ihr Kopf sagte ihr sehr deutlich, dass dies keine romantische Geste war und sie auch keinen Grund hatte sich zu ihm hingezogen zu fühlen. Es war nicht echt, es war lediglich sein Blut in ihren Adern. Aber änderte es tatsächlich etwas? Die Anziehung war da und das mit dem Blut konnte sie nicht ändern.
„Das geht dich nichts an!", erwiderte sie entschlossen und versuchte an Re vorbeizukommen. Doch er griff nach ihrem Oberarm und hielt sie fest. Er sah irritiert aus.
„Hast du verstanden, was ich gesagt habe? Er hat kein Recht dich so gefügig zu machen. Du gehörst zu meiner Blutlinie, zu meiner Sippe und ich lasse nicht zu, dass meine Familie sich gegenseitig missbraucht."
„Ich will aber nicht, dass du mir hilfst!", brachte sie ihm scharf entgegen und plötzlich sah er mehr so aus als würde er ihre Intelligenz anzweifeln oder ihre Zurechnungsfähigkeit. Er holte tief Luft und versuchte es dann noch einmal sehr viel eindringlicher.
„Violet, Nicolas ist ein äußerst gefährlicher Mann. Du kennst nicht einmal ansatzweise die Abgründe, die sich hinter seiner scheinbar langweiligen Fassade verbergen. Ich hatte nie das Recht dazu mich in irgendetwas einzumischen, das er mit seinen Frauen getan hat. Deine Situation ist einmalig, weil du auch ein Teil dieser Familie bist. Aber ich kann dich nicht davor bewahren, wenn du von mir verlangst mich rauszuhalten. Wenn du das tust, bist du ihm ausgeliefert. Sei nicht so dumm. Bitte!"
Violet zögerte, schüttelte aber dann innerlich den Kopf. Ja, Nicolas war kalt, aber es gab diese kleinen zärtlichen Momente in denen ihr Herz sich zusammenzog und das konnte nicht nur an seinem Blut liegen. Ja, zu Beginn hatte sie ihn einfach nur gehasst. Erst weil er ihr keine Antworten gegeben hatte, dann weil er ihr zu viele gab. Aber er war da gewesen, als einziger Mensch um sie herum, war er da gewesen und hatte still über sie gewacht. Die Motive dafür waren sicherlich alles andere als ritterlich, aber es war mehr als ihr irgendjemand sonst entgegengebracht hatte. Die Treue ihm gegenüber war sie ihm schuldig! Ob Blut hin oder her.
„Was macht er mit den Frauen?", fragte Violet dennoch, denn sie würde nicht so blöd sein eine Informationsquelle nicht zu nutzen, wenn sich ihr schon eine bot. Doch Res Blick wurde bedauernd.
„Das geht nicht. Ich habe geschworen es für mich zu behalten und es ihm überlassen die Wahrheit zu offenbaren, allerdings glaube ich nicht, dass er es dir jemals erzählen würde. Er sammelt Geschichten von anderen, seine eigene wird dir aber immer verschlossen bleiben, aber eines verrate ich dir: Wenn er dich jemals darum bittet deine Geschichte festzuhalten, ob schriftlich oder mündlich: Geh. Renn so schnell du kannst, Violet."
Mit diesen Worten ließ er ihren Arm los und machte sich selbst daran, den Balkon zu verlassen. Violet legte den Kopf schief und dachte über diese Worte nach. Ihre Geschichte? Sie hatte nicht wirklich eine Geschichte, es gab also nichts, was sie festhalten konnte, schon gar nichts Spannendes. Aber was meinte er genau damit? Dass Nicolas ein Sammler war, genauer eine Art Historiker, wusste sie. Das hatte er ihr gleich zu Beginn gesagt. Nur über sich selbst schwieg er, was für einen Mann mit diesem Hobby auch nichts Ungewöhnliches war und unter all diesen Analysen sollte sie sich wohl auch die Frage stellen, ob Re nicht auch einfach log.  

Beta: Ichlanduwlan & Ms Geany

Violet (Bd 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt