Kapitel 36

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Amys Sicht

In meinem Kopf herrschte eine gähnende Leere, und doch überschlugen sich meine Gedanken. Das war sein Vater!? Dieser nach Alkohol stinkende Typ, mit vergilbtem Bart, war Coles Dad? Ich war sprachlos. Gleichzeitig kochte die Wut in mir auf. Dieser Mann hatte seine Kinder wie Dreck behandelt, ihnen die Kindheit genommen. Noch immer starrte ich ihn mit offenem Mund an. Und dann ging es los. Mit einem Mal hatte es in meinem Kopf klick gemacht, und die Wut auf dieses Arschloch war größer als die Verwunderung, das dieser Typ es tatsächlich gewagt hat hier aufzutauchen. 

"Wie können sie es wagen?! Sie sind sein Vater? Sie wagen es, diesen Titel überhaupt in den Mund zunehmen?! Sie sind wenn überhaupt eine Witzfigur an Vater. Was sie den beiden angetan haben - sie haben ihr Leben zerstört, ihnen ihr Kindheit geraubt. Und sie wagen es trotzdem sich Vater zu nennen?", schnauzte ich. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen wie Cole die Kinnlade herunterklappte. Ich hatte keine Ahnung warum, aber auch ehrlich gesagt in dem Moment auch nicht die Nerven, darüber nachzudenken wieso. Ich sah rot vor Wut und machte ein paar Schritte in seine Richtung. Drohend hob ich den Finger um meinen Wörtern den nötigen Nachdruck zu verleihen. "Und jetzt haben sie auch noch die Nerven hier aufzutauchen, schlecht über ihren Sohn zu reden, ihren anderen Sohn zu verhöhnen und mich als Flittchen zu betiteln?! Sie behindertes-", wollte ich weitermachen, und meine ganze Wut an diesem Mann auslassen. Aber Cole unterbrach mich. "Amy, genug." Seine Stimme war sanft, er wollte mich davon abhalten etwas sehr dummes zu tun, aber mir war eigentlich nicht danach jetzt  schon mit meiner Standpauke zu enden. Mehr sagte Cole nicht und er schien auf einmal ganz in Gedanken zu sein. Gerade als ich wieder anfangen wollte, begann diese Witzfigur an Vater jedoch zu sprechen. "Achsoo", sagte er und zog das Wort in die Länge, als hätte er gerade eine weltbewegende Erkenntnis, "du warst mit beiden im Bett, stimmt's? Hatte ich also doch Recht. Du bist ein Flittchen und meine Söhne werden es im Leben zu nichts bringen außer zu Bastarden, die sich mit etwas wie dir zufrieden geben." Erneut klappte mir die Kinnlade runter und ich war unfähig, meinen Mund wieder zu schließen. Empört starrte ich ihn an. Von hinter mir hörte ich, wie Cole zischend die Luft ausstieß. "Richard", erklang auf einmal eine weitere Stimme. Sie war streng und gleichermaßen schockiert. Ich kannte diese Stimme nur zu gut. Wie viel hatte sie wohl gehört?, fragte ich mich, als ich meinen Kopf leicht zur Seite lehnte, damit ich um Richard herum lugen konnte. 

Miss Casters stand im Türrahmen, und ihre Absätze klackerten laut auf dem hässlichen Linoleumboden als sie in den Raum kam. Genervt verdrehte Richard die Augen, bevor er sich zur Hälfte umdrehte um vor seiner Schwester zu stehen. "War ja klar das sie dich auch hierher bestellen." Seine Stimme war gepresst, und nicht gerade sehr freundlich. "Ich habe das Sorgerecht für ihn, und sie ist eine Schülerin an meiner Schule. Es ist also verständlich das ich benachrichtigt werde, wenn ein Fremder in das Zimmer meines Neffen geht und ihn belästigt", sagte sie kalt. Bei dem Wort Fremder zuckte er leicht zusammen und ich konnte in seinem Seitenprofil erkennen, dass er den Kiefer anspannte, und wieder entspannte. Ich fühlte mich unglaublich fehl am Platz. Ich wollte nicht in dieses Familien-Drama mit hineingezogen werden, denn obwohl ich natürlich für Cole da sein wollte, wir waren nicht mal mehr ein Paar, also was hatte ich hier überhaupt noch verloren? Meine Wut von vor ein paar Minuten war wie weggeblasen. Ich war hier hergekommen um mich bei Cole zu entschuldigen. Das hatte ich getan. Und seine Reaktion hat mir alles gesagt was ich wissen musste. Es ist schon verrückt, wie viel es aussagt, nichts zu sagen.. Betreten sah ich leicht über meine Schulter in Coles Richtung. Er saß da, die Lippen zu einer harten Linie zusammengepresst, die Augenbrauen tief über den Augen zusammengezogen, sodass sich eine Falte auf seine Stirn bildete. Ich verspürte den Drang mit den Fingern darüber zu gehen um sie von dort zu entfernen, aber das konnte ich nicht. Nicht nur, dass es in dieser Situation absolut unangebracht wäre, ich konnte auch nicht, weil wir nicht zusammen waren. Und so wie Cole reagiert hatte würde ich das auch nie wieder können. 

Ich weiß nicht was gesagt wurde, so in Gedanken war ich. Als ich jedoch wieder aufblickte, war ich ziemlich entschlossen. Ich musste hier raus. Ich musste das hier hinter mir lassen. Ihn hinter mir lassen. Ich hatte mich entschuldigt, also konnte ich das auch, oder? Ich würde doch mit ihm abschließen können, so wie er mit mir? Ich musste einfach. Mein Kopf schaltete, und ich wusste wieder, wie ich meine Beine bewegen konnte. Also machte ich einen Schritt nach vorne, und sobald ich diesen ersten Schritt getan hatte, folgten weitere. Hastig, und mit gesenktem Blick verließ ich das Zimmer. Sobald ich auf dem Flur war, ging ich noch schneller, und sobald ich außerhalb des Gebäudes war, rannte ich. Während ich rannte, lies ich den heißen Tränen freien Lauf, die sich ihren Weg meine Wangen hinunter bahnten.

Es war egoistisch zu weinen, aber ich konnte nicht mehr damit aufhören. Aber einer Sache war ich mir jetzt mehr als sicher. Dies würden die letzten Tränen sein, die ich je wegen Cole Revelles vergießen würde. 

Revelles Twins 2   Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt