Uni [1/4]

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Gerard hatte nie Geldsorgen gehabt. Ganz im Gegenteil sogar: Er gehört einer der wohlhabendsten Familien in ganz Barcelona an, was Gerard als Einzelkind auch oft gespürt hatte. Angefangen mit seinem Spielzeug über seine Kleidung bis hin zu seinem ersten Auto war für die Eltern des Katalanen die beste Qualität gerade halt gut genug. Dass sie auf diese Weise einen herablassenden Schnösel geformt hatten, wurde ihnen erst bewusst, als Gerard, der schon des öfteren wegen seines Verhaltens aufgefallen war, von der Universität flog.

„Ich arbeite nicht so hart, damit der feine Herr sein bequemes Leben weiter so führen kann. Er wird Verantwortung übernehmen, sonst schmeiße ich ihn eigenhändig raus und dann kann er sehen, wie er auf der Straße zurecht kommt!", schrie Gerards Vater aufgebracht.

Das flegelhafte Verhalten seines Sohnes war ihm schon länger ein Dorn im Auge, da somit der gesamte Ruf des Namens Piqué in den Dreck gezogen wurde.

„Und wie stellst du dir das vor?", erkundigte sich seine Frau. Ihr Tonfall war dabei undefinierbar.

Ein kleines, aber fast schon teuflisches Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Älteren aus.

„Ich habe da schone eine Idee"

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„Ich muss was?!"

„Du wirst morgen nach Madrid ziehen. Dort darfst du, obwohl du so einen großen Schandfleck in deinem Lebenslauf hast, für ein Semester weiterstudieren. Dein Leben, also Essen, Miete, Klamotten etc. wirst du dir dort selbst finanzieren müssen, wobei wir dir sogar schon einen Job in einem Coffeeshop in der Nähe der Wohnung besorgt haben. Damit du auf keine dummen Ideen kommst, haben wir dein Konto gestern einfrieren lassen. Ach ja, und solltest auch dort das Semester nicht packen, wirst du hier nicht länger zu Hause sein. Wir sehen es nämliche nicht ein, dich weiterhin durchzufüttern!", erklärte Gerards Vater nochmals. Seine Geduld war schon verdammt angespannt, weswegen er seinen Sohn auch wütend anfunkelte, bevor er ihm endgültig den Rücken zugekehrte und ging.

Gerard sah seinem Vater wütend nach. Der sowohl mahnende als auch enttäuschte Blick seiner Mutter hielt ihn aber davon ab, noch etwas zu sagen. Zornig verließ auch er das Wohnzimmer, in dem er bis gerade eben noch gemütlich ferngesehen hatte und stürmte in sein Zimmer. Er konnte und wollte nicht glauben, was seine Eltern ihm da gerade aufgebrummt hatten. Da er aber ohne Geld und Autoschlüssel keine andere Möglichkeit sah als zu gehorchen, begann er stumm seine Sachen zu packen, denn er wusste, dass mit den beiden Älteren nicht zu spaßen war und er, sollte er wieder zu weit gehen, wirklich vor der Tür stehen würde. Als er damit fertig war, ließ er sich in sein Bett fallen. Die hoffende Stimme in seinem Kopf, die immer wieder sagte, dass seine Eltern ihn doch nur verarschten, verstummte erst als der 24-Jährige in einen traumlosen Schlaf fiel.

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Das durchgehende Rattern des Zuges machte Gerard verrückt. Er würde gleich in Madrid ankommen, in seinem neuen Leben, zumindest bis auf weiteres. Der junge Katalane hasste es jetzt schon. In weniger als einer Stunde würde er seine Wohnung beziehen und danach sofort zu seinem Job in diesem komischen Coffeeshop gehen müssen, so verlangte es sein neuer Chef, der Gerard übrigens jetzt schon unsympathisch war. Wehren konnte er sich nicht und wahrscheinlich war es genau das, dass den sonst so aufmüpfigen und rebellischen Sturkopf gewaltig gegen den Strich ging.

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Grimmig sah sich Gerard in der renovierungsbedürftigen Nachbarschaft um. Es wirkte zwar alles schon etwas älter, jedoch schien es zumindest sauber zu sein. Er schnaubte, als er seine Wohnung betrat. Die kleine Zweizimmerwohnung war minimalistisch eingerichtet. Sie verfügte über ein Bett, das für Gerard fast zu klein wirkte, einen Tisch mit zwei Stühlen und eine kleine Küche mit Ofen und Mikrowelle sowie einem kleinen Badezimmer mit Dusche und Toilette.

Gegen seinen Willen entkam ihm ein Schnauben, als er auf dem Tisch folgende Nachricht fand: „Mehr kannst du dir mit deinem Gehalt nicht leisten"

Obwohl ihn seine momentane Situation wirklich wurmte, zwang er sich dazu, die Wohnung zu verlassen um zur nächsten ‚Ohrfeige' des Tages zu kommen: seinem neuen Arbeitsplatz.

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Wider seiner Erwartungen war das Café sehr einladen und fast gleich neben der Uni. Dies erklärte wohl auch die vielen Studenten, die im ganzen Lokal verteilt waren. Auch seine neuen Kollegen und sein Chef schienen allesamt ganz in Ordnung zu sein. Insgeheim dankte Gerard seinen Eltern, dass sie ihm die Stelle besorgt hatten. Es hätte ihn schließlich auch viel schlimmer treffen können, was er aber nie zugeben würde.

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Sergio war kein typischer Morgenmuffel, brauchte aber nach seiner Joggingrunde immer einen Becher Kaffee, um für seine Mitmenschen erträglich zu sein. Diesen holte sich der gebürtige Sevillaner schon seit Jahren von demselben Coffeeshop. Es gehörte einfach zu seiner Morgenroutine, an der sich bis zu jenem Tag nie etwas geändert hatte.

Total verschwitzt betrat der Spanier das Café. Sofort drang der unwiderstehliche Duft von gerösteten Kaffeebohnen in seine Nase. Während er an der Schlange wartete, sah er sich im Lokal um. Wie immer um diese Uhrzeit waren erst wenig Leute da, was Sergio auch ganz recht war. Denn, obwohl er als Kapitän der Fußballmannschaft seiner Uni nicht nur bekannt, sondern auch relativ beliebt war, mochte er es nicht so wirklich, dauernd von Menschen umgeben zu sein. Sergio war gern allein. Der klassische einsame Wolf eben, der zwar mit seinen Tätowierungen und seiner mysteriösen Art schon die Hälfte der Studentinnen ins Bett bekommen hatte, sich aber nie binden lassen hatte.

„Morgen! Das übliche", murmelte Sergio bloß als er an der Reihe war. Seinen Blick ließ er immer noch durch das Lokal schweifen.

„Und das wäre?", erkundigte sich eine verwirrte, ihm unbekannte Stimme.

Irritiert sah der Sevillaner hoch, da schließlich alle Angestellten wussten, was seine Standardbestellung war. Sein Blick traf auf wunderschöne eisblaue Augen, die ihm sofort eine Gänsehaut bescherten. Vor ihm stand ein hochgewachsener, schlanker Mann, in etwa in seinem Alter, der ihn auch neugierig musterte. Seine braunen Haare hatte der Unbekannte etwas nach oben gestylt. Unter dem weißen Shirt erkannte der Ältere die wohl sehr gut trainierten Bauchmuskeln seines Gegenübers.

„Einen großen Cappuccino zum Mitnehmen", erklärte der Braunäugige, als ihm auffiel, dass er die Frage des anderen noch immer nicht beantwortet hatte.

Dieser schien sich auch langsam wieder zu fangen, denn er nahm einen Becher und kritzelte etwas darauf, bevor er die Hand nach Sergios Geld ausstreckte.

„Willst du denn gar nicht fragen, ob ich was dazu möchte?", wollte Sergio leicht grinsend wissen, während er ihm das Geld gab.

„Nein", war die einfache Antwort seines Gegenübers, während dieser das Geld einsortierte.

Dies ließ den Kleineren nur breiter grinsen. Er mochte den Unbekannten irgendwie. Nicht nur sein Äußeres, sondern auch seine etwas widerspenstige Art zog zu dem Mann hin.

„Du bist offensichtlich neu hier", war der einfache Kommentar des Älteren.

„Gut erkannt, Sherlock", murmelte der Größere sarkastisch, bevor er ihm das Wechselgeld geben wollte.

„Behalt es", entgegnete Sergio amüsiert, bevor er zum anderen Tresen ging, um sich seinen Kaffee abzuholen.

„Ein großer Cappuccino zum Mitnehmen für...das übliche"

Sergio schaute einen Moment verdutzt, bevor er sich zurück zu dem Blauäugigen drehte, der leicht grinsend die nächsten Kunden bediente. Obwohl der Sevillaner die Augen verdrehte, bevor er mit seinem Becher das Café verließ, konnte er sich ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. Sein morgentlicher Kaffee war gerade um einiges interessanter geworden.

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Alternate Universes (Serard)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt