Gefängnis [4/5]

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„Wieso hast du anfangs gesagt, der Plan wäre, in einem Monat auszubrechen, während Carles gerade meinte, es wäre schon in fünf Tagen soweit?", wollte Sergio vorsichtig wissen. Gerard und er waren wieder in ihrer Zelle.

„Es haben sich die Rahmenbedingungen verändert", antwortete der Katalane bloß. Es war ihm immer noch anzusehen, dass ihn die Sache mit dem Zeitungsartikel mächtig wurmte.

„Welche Rahmenbedingungen?", erkundigte sich der Braunäugige verwirrt.

„Das geht dich nichts an", erwiderte der Jüngere kurzangebunden.

„Doch, das tut es sehr wohl. Schließlich betreffen diese auch mein Leben!", entgegnete der Sevillaner sofort. Da er von Gerard keine Antwort erhielt, kletterte er von seinem Bett runter. Nun konnte er dem Katalanen direkt in die Augen sehen.

„Also?", harkte er nun weiter nach.

„Immer noch nichts, das du wissen musst. Also spiel dich nicht so auf"

Erzürnt ging Sergio auf seinen Zellenkumpane zu, bis ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren.

„Also?", forderte er erneut zu erfahren. Seine Nasenflügel bebten vor Zorn, seine Fäuste waren geballt.

„Eine deiner Aufgabe bei dem Ganzen ist, kein Idiot zu sein. Sei jetzt also keiner und halt die Klappe"

Wütend wollte der Braunäugige auf den Jüngeren einprügeln, doch dieser hatte die Situation schnell erkannt. Innerhalb weniger Sekundenbruchteile fing er die Hand des Älteren ab und drückte ihn an die gegenüberliegende Wand.

„Versuch so etwas noch einmal und du bist ein toter Mann, das schwöre ich dir", zischte Gerard dem Kleineren furios ins Ohr.

„Fick dich!", presste der Sevillaner durch seine zusammengepressten Zähne heraus.

Einen Moment lang musterte der Katalane den Braunäugigen, der versuchte, sich aus dem eisernen Griff des Größeren zu befreien.

„Du sprichst im Schlaf"

Irritiert hielt Sergio inne und sah den Blauäugigen an: „Wie bitte?"

„Du hast mich schon richtig verstanden. Du sprichst im Schlaf, leise aber deutlich. Ich weiß, wovon, oder besser gesagt von wem du träumst"

„Und?", versuchte der Sevillaner so taff wie möglich zurück zu zicken. Seinen nervösen Unterton zu verstecken, schaffte er nicht.

Wieder musterte Gerard den anderen, entgegnete aber eine Weile nichts mehr. Gerade als Sergio wieder einen Versuch initiierte, um sich loszureißen, verstärkte sich der Griff des Katalanen. Er drückte sich an den Körper des Älteren und ehe dieser sich versah, lagen dessen Lippen auch schon auf seinen. Fast sofort erwiderte Sergio den fordernden Kuss. Hände begannen zu wandern, Zungen zu kämpfen und ehe sich der Sevillaner versah, war er Gerard zur Gänze unterlegen.

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Nach dem Abendessen wurden Gerard und Sergio von einem unauffälligen Wärter abgeholt. Etwas zögerlich folgte der Sevillaner den Unbekannten, der sie in den Duschraum führte.

„Danke, Ernesto", nickte Gerard den Wärter zu. Dieser nickte bloß leicht, bevor er sich wieder verzog. Erstaunt sah ihm Sergio nach.

„Starr ihm nicht so nach! Wir haben Arbeit zu erledigen"

Der Sevillaner erschrak wegen des rauen Tons seines Zellenkumpanen, der bereits die versteckten Werkzeuge, die Xavi und Andrés versteckt hatten, hervorgeholt hatte.

„Bist du eifersüchtig?", fragte der Ältere eigentlich im Scherz, doch das ernste Gesicht des Katalanen war eindeutig.

„Du gehörst jetzt mir. Ich habe nicht vor dich zu teilen. Mit Eifersucht hat das nichts zu tun"

„Und wenn ich dir nicht gehören will?"

„Das willst du und das weißt du auch"

Mit diesen Worten war für Gerard das Gespräch beendet, denn er begann, das Loch zu graben. Einen weiteren Moment sah Sergio verdutzt zu, bevor er sich fing und dem Katalanen half.

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Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Aufstehen, duschen, Zeit in der Zelle, Lagebesprechung am Pausenhof, Warten bis sie jemand zum Duschraum führte.

Obwohl es oft sehr knapp geworden war, hatten es Gerard und Sergio gerade so geschafft, rechtzeitig mit dem Loch fertig zu werden. Als sie gerade zum letzten Mal zurück in ihre Zelle schlichen, hörten sie auf einmal Schritte hinter sich. In schlechter Vorahnung begannen die beiden zu laufen, wobei Gerard den Älteren um einige Meter voraus war. Dieser versuchte mit dem enormen Tempo des Größeren mitzuhalten, wurde aber plötzlich nach hinten gezogen und festgehalten. Fast sofort spürte er den Lauf eines Revolvers gegen seine Schläfe drücken.

Während von Gerard schon gar keine Spur mehr zu sehen war, vernahm der Sevillaner eine fiese Stimme an seinem Ohr: „Na? Wo willst du denn so schnell hin?

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Diego Simeone war wahrlich kein angenehmer Zeitgenosse. Gerards Bemerkung, der Wärter wäre unberechenbar und würde alles und jeden hassen, stimmte der Sevillaner zu. Nach einigen Stunden des ununterbrochenen Verhörs, gab der Wärter auf. Er sah ein, dass der Häftlingsneuling ihm nicht verraten würde, wie er in der Lage gewesen war, seine Zelle zu verlassen und was er überhaupt gemacht hatte. Frustriert ließ er den Sevillaner in eine Isolationszelle sperren.

Dieser sank dort, als sich die Tür hinter ihm schloss, erschöpft an der Wand hinab. Er hatte alles riskiert, um Gerard, der ihn in den letzten Tagen immer wichtiger geworden war, zu helfen. Sergio waren die möglichen Konsequenzen von Anfang an bewusst gewesen. Doch damit, dass er sich nun allein dafür verantworten musste, während die Katalanen kurz vor dem Ausbruch standen, hatte er nicht gerechnet.

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Gerard machte sich große Sorgen, als Sergio im Laufe der Nacht in ihre Zelle zurück kam. Die wahrscheinliche Wahrheit, dass der Sevillaner gefasst worden war, konnte nicht mal mehr er glauben, weswegen seine Schuldgefühle immer größer wurden, denn er fühlte sich verantwortlich für Sergio. Nur seinetwegen war der Braunäugige in die ganze Angelegenheit verstrickt.

„Was ist los mit dir? Du bist schon die ganze Zeit so komisch?", wollte Cesc von seinem Boss wissen, den er schon einige Momente besorgt beobachtet hatte.

„Sergio wurde heute Nacht gefasst, als wir zu unserer Zelle zurück gehen wollten", erklärte der Ältere.

„Das heißt, wir müssen ihn nicht mitnehmen?", kam es überrascht von Xavi.

„Ja, das heißt es. Schließlich können wir uns nicht an unseren Plan halten und ihn ‚retten'. Wir haben ihn gewarnt, trotzdem hat er zugestimmt. Der Plan bleibt also bestehen – wir brechen heute aus", antwortete Carles zum Überraschen aller ernst.

„Was? Nein! Wir können ihn doch nicht einfach so hier drin verrecken lassen!", protestierte Gerard.

„Doch, das können und müssen wir. Also wenn du nicht mit deinem Schatzi hier bleiben willst, hältst du jetzt deine verdammt Klappe und konzentrierst dich. Schließlich müssen wir an das große Ziel denken und das lässt uns keine Zeit"

Nach diesen ernsten Worten war Carles von Dannen gezogen. Ungläubig sah Gerard dem Älteren nach, doch der schien es todernst zu meinen. Auch die anderen Katalanen waren überrascht vom ungewohnt dominanten Auftritt, sagten aber nichts mehr dazu, denn insgeheim hatten sie alle gehofft, Sergio nicht mitnehmen zu müssen. Einzig Gerard wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren. Denn nur seinetwegen würde der Sevillaner höchstwahrscheinlich in Soto del Real eines grausamen Todes sterben.

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Sergio hatte sein Schicksal schnell akzeptiert. Er würde wahrscheinlich ohne je wieder Sonnenlicht zu Gesicht bekommen zu haben, sterben. Im Nachhinein ärgerte sich der Sevillaner wegen seiner Dummheit. Sein Plan war es gewesen, niemanden zu vertrauen. Das hieß eigentlich, keine Abmachungen mit Drogenbossen zu schließen. Hätte er sie von Anfang an wie die Feinde behandelt, die sie waren, hätte Simeone ihn nicht erwischt und er würde nicht schon auf den Tod warten.

In seiner Melancholie bekam er nicht wirklich mit, dass das Sichtfenster seiner Tür geöffnet wurde und ihn ein Paar blauer Augen eine Weile traurig musterten.

„Sergio..."

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Alternate Universes (Serard)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt