Dritter November 1981

2K 91 14
                                    

Der düsterste Ort der Welt. Voller Trauer und Angst und Wahnsinn. Schreie hallen durch die dunklen Gänge, Gefangene rütteln an den Gitterstäben ihrer Zellen und irgendwo lacht jemand ein übergeschnapptes Lachen. Ich schnaube bei dem Gedanken daran, dass es sich dabei vermutlich um meine gestörte Cousine handelt. Sie mag lachen, doch ich finde all das hier gar nicht witzig. Eigentlich fand ich in meinem Leben noch nie etwas weniger lustig, und das will bei meiner Familie schon etwas heißen. Doch damals hatte ich noch Ziele. Dinge, für die es sich zu leben lohnte. Und jetzt, jetzt habe ich gar nichts mehr, außer der Angst und der Wut, die mich am Leben erhalten. Ich wünschte, sie täten es nicht. Dann wäre ich vom Schmerz erlöst. Diesem unerträglichen Schmerz, der einfach nicht verschwinden will.

Ich bin noch nicht besonders lange hier, dennoch kommt es mir vor wie eine Ewigkeit. Langsam aber sicher verabschiedet sich mein Zeitgefühl, aber ich weiß, dass heute der dritte November sein muss. Mein Geburtstag. James und ich hatten eine Party geplant, aus Sicherheitsgründen zwar nur im kleinen Kreis, aber ich habe mich trotzdem darauf gefreut. Ich bin jetzt 22. Älter, als James es je geworden ist. Es wirkt so unreal, dass er tot ist. Und Lily, die mit ihrem roten Haar und den grünen Augen immer aufgefallen ist, ist es auch. Aber ich kann es nicht begreifen, nicht verstehen. Es ist einfach unwirklich, wie ein böser Traum. Aber kein Alptraum dauert so lang an. Das hier ist real. Lily und James sind tot, genauso wie es Marlene und Dorcas sind. Und ich sitze in Askaban und werde beschuldigt, schuld am Tod zweier meiner besten Freund zu sein. Ich, Sirius Black, habe laut des Ministeriums meinen besten Freund, nein, meinen Bruder, verraten und einen anderen Freund umgebracht.

Beim Gedanken an Peter balle ich meine Hand zur Faust. Er hat sie verraten. Er trägt die Schuld an alledem hier, am Tod von Lily und James, an meiner Inhaftierung und daran, dass Harry nun bei Petunia Dursley und ihrem Ehemann aufwachsen muss.

Wobei, das stimmt nicht ganz. Ich habe auch meinen Teil dazu beigetragen. Denn ich war es, der die Potters überzeugt hat, Peter zum Geheimniswahrer zu machen und nicht mich. Ich hätte das Geheimnis nie verraten. Doch ich habe Peter vertraut und er hat mein Vertrauen, und auch das der Potters, missbraucht. Nun macht auch seine Animagusgestalt Sinn, denke ich bitter. Die Animagusgestalt, die er erlangt hat, um Remus zu helfen. Remus, dem ich misstraut habe. Und jetzt denkt er, dass ich Lily und James verraten habe.

Das ist zu viel. Ich breche auf dem kalten, feuchten Steinboden zusammen, Tränen rollen über meine Wangen und platschen kaum hörbar auf die Erde. Ich kann nicht mehr an mich halten und schreie so laut ich kann, brülle meine Verzweiflung in die Welt hinaus, wie all die anderen Gefangenen. An diesem Ort gehört das zur Tagesordnung. Dazu gehören auch Trauer und Hoffnungslosigkeit und Tote. Wenn hier jemand lacht, dann nicht aus Freude, sondern aus Wahnsinn. Purem, blankem Wahnsinn.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort auf dem harten Boden liege, vielleicht ein paar Minuten, vielleicht eine Stunde oder zwei oder sechs. Aber als ich mich aufrapple, kommt die Trauer zurück und wirft mich fast um, wie ein tollwütiger Hippogreif. Alle die ich je geliebt habe sind weg. Reg, dessen genaue Todesumstände ich nie erfahren habe, vielleicht will ich das ja auch gar nicht, sonst zerstört die Wahrheit womöglich noch meinen Glauben an das Gute in ihm. Dorcas, die Anfang des Jahres von Todessern ermordet wurde. Marlene, deren Tod noch nicht lange her ist und die mitsamt ihrer Familie, ebenfalls von Anhängern Voldemorts, umgebracht wurde. Lily, meine beste Freundin, verraten von Peter Pettigrew. Und James. Mein James, der bei jeder Gelegenheit seine Frisur verwuschelt, der Schnatze klaut und vor Evans damit angibt, der immer grinst und manchmal überfürsorglich in Sachen Harry ist. Ich vermisse ihn mehr, als ich dachte, dass es möglich wäre, einen Menschen zu vermissen. Wie gern wäre ich jetzt nicht mit meiner Trauer allein. Wie gern würde ich jetzt Remus um den Hals fallen, mit ihm gemeinsam um James und Lily trauern und einfach wissen, dass ich nicht allein bin.

Doch ich sitze hier auf dem kalten Steinboden in Askaban und kann an nichts anderes denken, als dass ich niemanden mehr habe. Am dritten November 1981. Meinem Geburtstag.

Harry Potter OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt