Moments

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Der letzte Moment in James Potters Leben war ganz und gar nicht schön. Er wusste, dass dies sein Ende sein würde. Er hatte es gewusst, als er die Geräusche gehört hatte. Er hatte es gewusst, als er nach unten gerannt war, um Voldemort aufzuhalten. Er hatte es gewusst, als jener, der nicht genannt werden darf, seinen Zauberstab auf ihn gerichtet und mit einem überlegenen Gesichtsausdruck die Worte 'Avada Kedavra' gesprochen hatte. Und er hatte es gewusst, als das unendliche Licht ihn verschluckte. Doch wenn er ehrlich war, dann hatte er es schon vor Wochen gewusst. Denn in Zeiten wie diesen war niemand sicher - und seine Familie von allen in Großbritannien am wenigsten.

Der erste Moment in James Potters Leben war perfekt. Die Welt war sicher, seine Eltern überglücklich und er selbst einfach ein Baby, das nicht mehr konnte, als zu essen, zu schlafen und zu schreien.

Der schönste Moment in James Potters Leben war nicht seine Hochzeit mit der Liebe seines Lebens. Es war ein einfacher Samstag im Gryffindor-Gemeinschaftsraum, mit all seinen Freunden, die lachten, redeten und - vor allem - lebten. An diesem Tag in seinem siebten Schuljahr schien es so, als ob nichts, aber auch gar nichts, sein perfektes Leben zerstören könnte.

Der schrecklichste Moment in James Potters Leben war nicht das Ende jenes Lebens. Es war auch nicht dieses eine Mal im fünften Jahr, als Lily ihn beschimpft hatte. Es war die Sekunde, in der Sirius klatschnass und blutend vor seiner Tür gestanden hatte, mit verquollenen Augen und ein komplettes Wrack. In diesem Moment fühlte James sich schuldig. Er hatte eine so wohlbehütete Kindheit gehabt, und Sirius? Er war gewissermaßen in der Hölle aufgewachsen.

James Potter mochte ab und an ein Idiot gewesen sein. Doch er war auch immer für seine Freunde da gewesen. Er hatte daran geglaubt, dass Freundschaft das Wichtigste auf dieser Welt war. Er hätte für seine Freunde getötet und er wäre für seine Freunde gestorben, für jeden Einzelnen von ihnen.

Doch er hatte nicht gewusst, dass nicht jeder so war wie er.

Der letzte Moment in Sirius Blacks Leben erfüllte sein Herz gleichermaßen mit Hoffnung und Angst. Er würde seinen besten Freund wiedersehen, vielleicht, hoffentlich, bestimmt. Doch Remus und Harry würde er zurücklassen müssen.

Der erste Moment in Sirius Blacks Leben war der Anfang einer grauenvollen Kindheit. Am 3. November 1959 wurde er in eine Familie hineingeboren, die ihm sein Leben zur Hölle machen würde. Doch trotz alledem war dies einer der wenigen Tage, an denen seine Eltern ihn wertschätzten.

Der schönste Moment in Sirius Blacks Leben war seine erste Animagusverwandlung gewesen. Nicht, weil er nun ein Tier werden konnte, wann immer er wollte. Aber weil er nun Remus helfen konnte und er zum ersten Mal überhaupt das Gefühl hatte, eine Familie zu haben. Geliebt zu werden. Ein Gefühl, das für ihn wertvoller war als alles Geld der Welt.

Der schrecklichste Moment in Sirius Blacks Leben war der Tod der Potters. Der Moment, in dem sein Leben zerbrach. Der Moment, in dem er nicht nur seine Familie, sondern auch die Hoffnung verlor. Der Moment, in dem er starb - innerlich.

Sirius Black hatte viele Fehler gemacht. Doch obwohl seine Eltern es ihm Tag für Tag erzählten, war er nie selbst einer gewesen. Er hatte an wahre Freundschaft geglaubt und an die Magie des Moments. Er hatte allem standgehalten, seiner Familie und Voldemort, hatte immer Stärke gezeigt, hatte nie auch nur in Erwägung gezogen, ein Todesser zu werden, ganz gleich, ob er dafür sterben musste.

Doch er hatte nicht gewusst, dass nicht jeder so war wie er.

Der letzte Moment in Remus Lupins Leben erfüllte ihn bis in die Fingerspitzen mit Stolz, aber auch mit Bedauern. Er hatte sich immer gewünscht, sein Dasein wie ein Held zu beenden, denn er hatte sich jeden einzelnen Tag wie unnötiger Ballast gefühlt, der nur nahm und nie gab. Wenigstens einmal wollte er nützlich sein und sein Leben für Andere opfern. Und das hatte er getan. Andererseits empfand er wieder Schuldgefühle - denn sein Sohn würde ohne seinen Vater aufwachsen müssen.

Der erste Moment in Remus Lupins Leben war vielleicht der unbeschwerteste. Zu diesem Zeitpunkt gab es kein 'kleines, pelziges Problem' für ihn, keine Scham, keine ständige Angst, entdeckt zu werden. In diesem Moment war er einfach nur ein Kind, das seine Eltern zu den glücklichsten Menschen der Welt machte.

Der schönste Moment in Remus Lupins Leben war überraschenderweise der, in dem seine Freunde sein Geheimnis enttarnten. Die Freiheit, die ihn erfüllte, endlich keine Geheimnisse mehr vor ihnen zu haben. Die Freude, nach all den Jahren des Versteckens endlich er selbst sein zu können, Menschen gefunden zu haben, denen er sich anvertrauen konnte. Einfach das Gefühl, angekommen zu sein.

Der schrecklichste Moment in Remus Lupins Leben war nicht jene Nacht, in der seine Zukunft von Fenrir Greyback zerstört wurde. Auch nicht der Tod der Potters. Es war die Sekunde, in der Sirius durch den Vorhang fiel und Remus wusste: Nun hatte er auch den letzten seiner früheren Freunde verloren. Zwölf Jahre lang hatte er immer das kleine Fünkchen Hoffnung bewahrt, dass Sirius vielleicht doch unschuldig und alles ein großes Missverständnis war. Und er war so glücklich gewesen, als sich seine Vermutung als richtig herausgestellt hatte. Doch mit Sirius ging die Person, die er seinen besten Freund nannte, die ihm beigestanden war, in guten wie in schlechten Zeiten. Von diesem Moment an kam die Einsamkeit, die nach zwölf Jahren endlich wieder verschwunden war, zurück - sie ließ ihn den Rest seines Lebens lang nicht mehr gehen.

Remus Lupin hatte sich selbst als Monster und unerträglich gesehen. Doch jeder der ihn gekannt hatte, hatte gewusst, dass er das genaue Gegenteil war - mutig, loyal, ein guter Freund. Obwohl Sirius ihm misstraut hatte, hätte Remus nie die Menschen verraten, denen er so viel verschuldete. Er war sein Leben lang treu gewesen und hatte seine Freunde immer wertgeschätzt. Nie hätte er sich als undankbar ihnen gegenüber erwiesen, nie hätte er ihr Vertrauen missbraucht.

Doch er hatte nicht gewusst, dass nicht jeder so war wie er.

Der letzte Moment in Peter Pettigrews Leben war seine Strafe. Dafür, dass er dem dunklen Lord untreu gewesen war, aber für Peter fühlte es sich anders an. Als ob er nun sterben musste, weil er seine Freunde verraten hatte, nicht Voldemort. Auf eine gewisse Weise war er sogar froh darüber, dass dies das Ende war.

Der erste Moment in Peter Pettigrews Leben war grell und laut. Den Eintritt in die Welt empfand er als schmerzhaft, kaum zu ertragen. Doch es gab so viele schlimmere Momente in seinem Leben.

Der schönste Moment in Peter Pettigrews Leben war auch der letzte gewesen. Er hatte das Gefühl, gerade eben einen klitzekleinen Teil seiner Schuld wiedergutgemacht zu haben, nicht alles, aber einen winzigen Teil davon. Er hatte gezögert, nur gezögert, nichts weiter. Das war nicht viel - aber es zeigte, dass Peter eigentlich kein schlechter Mensch war. Nur feige, so verdammt feige. Trotzdem wurde in seinen letzten Atemzügen ein wenig der Schuld von seinen Schultern genommen und nach all den Jahren fühlte es sich so an, als ob er mal wieder etwas richtig gemacht hatte - nach unendlich vielen Fehlern.

Der schrecklichste Moment in Peter Pettigrews Leben war der, als er das Geheimnis ausplauderte und seine Freunde dem Tode weihte. Er war nicht glücklich über sein Handeln - ganz im Gegenteil. Er hasste sich selbst dafür. Dieser Hass wollte bis zu seinem Tod nicht verschwinden.

Peter Pettigrew war ein fröhlicher Junge gewesen, als er noch zur Schule gegangen war. Er hatte sein Glück kaum fassen können, dass er, ausgerechnet er, ein Teil der Rumtreiber war. Dafür war er dankbar gewesen. Doch später tat er das Falsche. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst. Peter war in seinem Leben oft stark gewesen, oder loyal, oder aufopferungsvoll. Nur einmal hatte er es nicht geschafft, wie die anderen Rumtreiber zu sein. Und ausgerechnet dieses eine Mal wäre es wichtig gewesen. Dieses eine Mal, als er Schwäche und Illoyalität und Eigennutz gezeigt hatte, machte alles kaputt.

Peter wäre gern gewesen wie seine Freunde.

Doch er hatte nicht gewusst, wie.

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