1 -Der Geruch von Freiheit-

1K 64 9
                                    

Dexter's P.O.V.

Ich schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Der berühmte Geruch von Freiheit roch für meinen Geschmack zwar zu sehr nach Abgasen und Urin, dennoch war ich froh, ihn wieder wahrnehmen zu können. Ich hatte erst vor etwa einer Dreiviertelstunde nach vier langen Jahren den Knast verlassen. Statt warmen Sonnenstrahlen spürte ich die Nässe eines ekelhaften Nieselregens auf der Haut. Ich steckte meine Hände in die Taschen meiner schwarzen Lederjacke und ging mit großen Schritten die verlassene Straße in Richtung Stadtzentrum entlang. Zwar hatte sich in den letzten Jahren einiges verändert, aber ich kannte diese Straßen wie meine Westentasche. Bereits in meiner Kindheit hatte ich an der Kreuzung mit den anderen Jungen rostige Metallbüchsen hin- und hergekickt. Je weiter ich lief, desto mehr Leute traf ich an, bis ich irgendwann im Gewühl der Großstadt unterzugehen drohte. Es wirkte surreal auf mich zwischen den ganzen Fremden durchzugehen, die mich überhaupt nicht wahrnahmen. Trotz des schlechten Wetters herrschte zu meinem Verdruss ein reger Betrieb. Besonders nervte mich ein Mädchen, das eher einer Barbie glich. Sie schrie beinahe in ihr Handy und lachte so schrill auf, dass ich mir Sorgen um mein Trommelfell machte. Genervt schob ich mich an ihr vorbei und kam endlich am Ziel meiner Begierde an. Der alte Laden für Camping in der Wildnis und Notfallvorräte existierte zu meiner unsäglichen Erleichterung noch immer. Das Gebäude wirkte heruntergekommen und die Ausrüstung, die dort angeboten wurde, entsprach auch ganz sicher nicht dem modernsten Standard, doch für meine Zwecke reichte es völlig aus, zumal mein Budget nicht gerade unbegrenzt war. De facto besaß ich abgesehen von dem, was ich ab Körper trug, nur noch knapp über zweihundert Dollar.  

Ich stieß die marode Tür auf, ein leises Klingeln ertönte. Prüfend sah ich mich um, scheinbar hatte sich selbst an der Sortierung der Waren nicht viel verändert. Zielsicher lief ich zu den Regalen, um den Laden etwas später mit einem scharfen Klappmesser, Instant-Nudeln und einem Feuerzeug zu verlassen. Zusätzlich besorgte ich mir in ein paar anderen Geschäften noch Zigaretten, ein Taschenbuch und nicht zu vergessen einen Apfel. Ich liebte die runden Früchte.  

Um meine neu gewonnene Freiheit zu feiern, ließ ich mich in einer etwas ruhigeren Seitenstraße auf eine Bank nieder und zündete beinahe andächtig eine Fluppe an. Der Rauch füllte meine Lunge, etwas von der Anspannung fiel von mir ab.

"Vier verdammte Jahre", murmelte ich vor mich hin. Seufzend strich ich mir die dunkelbraunen Haare aus der Stirn, sie waren eindeutig zu lang, aber ein Friseur war angesichts meiner finanziellen Lage definitiv nicht drin. Aber was beschwerte ich mich, immerhin war ich wieder frei und jetzt hatte selbst der Regen nachgelassen.
Die Zigarette im meiner Hand wurde mit jedem Zug, den ich nahm, kürzer und ich musste unweigerlich daran denken, dass diese Zigarette eine erschreckende Metapher für ihre Auswirkungen auf die Dauer meines Lebens darstellte. Mit jedem Zug etwas kürzer...

"Jones? Du bist wieder draußen?", riss mich eine ungläubige Stimme aus meiner Melancholie in die Realität zurück.

"Rixby", stellte ich kalt fest. Ich war jetzt vielleicht zweieinhalb Stunden draußen und wen traf ich? Ausgerechnet Jason Rixby, wohl einen der letzten Menschen, die ich heute sehen wollte.

Der mittlerweile Sechundzwanzigjährige musterte mich abschätzend: "Hast dich verändert..."

"Du dich nicht", erwiderte ich kühl.

Der hochgewachsene blonde Mann starrte mich noch immer mit seinen blauen Augen an, als könne er nicht fassen, was er da vor sich sah. Ich hasste diesen Kerl einfach. "Red wird sich freuen, von dir zu hören... Soll ich ihm was ausrichten?"

Red war einer der übelsten Menschen, die ich kannte. Eigentlich hieß er William Spencer, ein absolut unspektakulärer Name, doch auf der Straße kannte man ihn nur als Red, wegen seines roten Sportwagens. Er war einer der Drahtzieher in der hiesigen Drogenszene und ich hatte längst mit ihm abgeschlossen.

"Sag ihm, dass er sich keine Mühe geben braucht, ich arbeite nicht für ihn", sagte ich ohne jede Regung in der Stimme. Schon vor sehr langer Zeit hatte ich gelernt, niemanden mehr in meine Gefühlswelt einzulassen. Es gab Menschen, die so weit gingen, mir vorzuhalten, ich hätte überhaupt keine Gefühle. Ich fand das lachhaft. Niemand, absolut niemand, konnte mir weismachen, dass ein Mensch seine Emotionen abschalten konnte. Nichts zu fühlen, dass passierte mal, wenn man beispielsweise einen Schock erlitt, doch auf Dauer musste man seinen Emotionen wieder Raum geben, ob man nun wollte oder nicht.

Rixby verzog das Gesicht: "Das wird ihm nicht gefallen, aber ich sag's ihm. Also dann, man sieht sich, Jones..."

"Wird sich wohl kaum vermeiden lassen", erwiderte ich.

Mein Gegenüber starrte mich einen Moment nur an, dann lachte er freudlose auf, als hätte ich einen nicht sonderlich lustigen Scherz erzählt und er sei gezwungen zu Lachen, um nicht unhöflich zu erscheinen. Dann drehte er mir den Rücken zu und ging die Straße entlang. Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Hand die ganze Zeit in meiner Jackentasche das Messer umklammert hatte.

Es gab wohl einfach Angewohnheiten, die man nie wieder ablegte.



Hi:)

Lasst gerne schon mal ein erstes Feedback da! Ich bin wirklich immer froh, eure Meinung zu hören. Falls ihr Rechtschreib-, Tipp- oder sonst was für Fehler findet, schreibt gerne einen Kommentar, damit ich die verbessern kann. 

Bis Freitag, eure c_in_medias_res <3 

Dexter JonesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt