28 -Verfolgt-

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Andrew's P.O.V.

Dexters Augenringe waren nicht zu übersehen. Seine Haare hingen ihm wirr in die Stirn, ein leichter Bartschatten hatte sich über seine Wangen gelegt. Wie immer trug er die unvermeidbare Lederjacke, seine schwarze Jeans und ein dunkelgrünes T-Shirt, das ich im besorgt hatte. Er sah aus, als hätte er die letzte Nacht durchgefeiert.

"Morgen", grummelte er und küsste mich sanft. 

Die Bartstoppeln kitzelten mich leicht, die weichen Lippen fühlten sich so vertraut und doch so elektrisierend auf meinen an. 

"Morgen, Dex", erwiderte ich lächelnd. Ein wenig besorgter fuhr ich fort: "Hast du überhaupt geschlafen? Ich hab mir Sorgen gemacht, es hat doch ziemlich heftig gestürmt..."

"Alles gut, bin kaum nass geworden. Und ich hab geschlafen... Nur nicht lange und nicht gut", er nahm mir wie immer meinen Rucksack weg und schwang ihn sich wie selbstverständlich über die breiten Schultern. Der Dunkelhaarige griff zu meiner Freude nach meiner Hand, verschränkte seine Finger mit meinen und lief mit mir den gewohnten Weg. Mein Herz klopfte freudig in meiner Brust. Ich hatte mehr als eine gute Nachricht für meinen Freund.

"Wenn du willst, kannst du nach der Schule mit zu mir kommen! Meine Eltern sind dann noch arbeiten...", grinsend beobachtete ich seine Reaktion. Dexters Augen blitzten auf, seine Mundwinkel zogen sich automatisch nach oben und die Sorgenfalte auf seiner Stirn verschwand auch mal für einen Moment.

"Das klingt wirklich gut..."

Mein Schultag verlief alles in allem normal. Blaze und Kay sah ich den gesamten Tag über nur von weitem, was grundsätzlich immer ein gutes Zeichen war, vor allem weil ich ersteren seit neustem überhaupt nicht mehr einschätzen konnte. Vielleicht tat ihm wirklich leid, was er und die anderen mir angetan hatten, vielleicht war er wirklich in mich verliebt. Aber vielleicht war er auch nur... nur Blaze, dem langweilig war. Mir war es fast schon egal, meine Gedanken waren viel zu sehr an Dexter gefesselt und an den Nachmittag, den wir zusammen verbringen würden. Und an die Neuigkeit, die ich nicht abwarten konnte, ihm zu erzählen. Doch ich hatte es ihm in Ruhe und nicht vor der Schule sagen wollen. 

Als der Unterricht endlich vorbei war, war ich einer der ersten, der den Schulhof im Eiltempo verließ. Ich wollte keine Minute von meiner Dexter-Zeit verschwenden. Zu meiner Überraschung war er noch nicht an unserem Treffpunkt. Es verwirrte mich, doch wirklich beunruhigt war ich erst, als Dexter auf mich zu lief und sich im Gehen immer wieder zu allen Seiten umsah. Ich wollte ihn küssen, doch er schüttelte den Kopf, schob mich schweigend neben ihm her. Noch immer blickte er andauernd zurück.

"Dexter? Was ist los?", ich versuchte, mir meine Panik nicht anhören zu lassen und versagte auf ganzer Linie.

"Nicht hier", murmelte er und beschleunigte seiner Schritte noch mehr. 

"Du machst mir Angst!", hysterisch begann ich ebenfalls damit, mich nach irgendwelchen verdächtig aussehenden Personen umzusehen.

"Tut mir leid, ich erklär's dir gleich, okay? Du musst keine Angst haben, ich bin hier, ich pass auf dich auf", Dexter sagte es nicht besonders liebevoll oder romantisch, eher nüchtern. Für ihn war es eine Tatsache, dass er mich beschützen würde. Und so sehr es mich rührte, ließ es meine Angst alles andere als schrumpfen.

Ich riss mich mühsam zusammen und konzentrierte mich darauf, mit Dexter Schritt mitzuhalten. Mehr als erleichtert atmete ich auf, als mein Zuhause in Sicht kam. Nachdem wir endlich die Tür von innen geschlossen hatten, verriegelte ich sie hastig. Ich wusste zwar nicht, ob das irgendwen aufhalten würde, wenn jemand wirklich reinkommen wollte, gab es mit Sicherheit mehr Wege als nur die Tür, doch ich fühlte mich trotzdem sicherer.

"Was ist hier los? Hat uns jemand verfolgt?", meine Stimme zitterte nur leicht, doch ich war sicher, es entging Dexter nicht.

"Ich glaube nicht, ich hätte ihn sehen müssen", mein Freund klang noch immer völlig ruhig und nüchtern während ich am Durchdrehen war.

"Warum warst du dann so? Was ist passiert?"

"Red hat einen Mann auf mich angesetzt. Mindestens einen. Der war zwar ein Anfänger, aber es gefällt mir nicht, dass er von dir wissen könnte. Aber Red lässt mich nur beschatten, das kann auch heißen, dass er momentan überlegt, ob es überhaupt sinnvoll für ihn ist, sich mit mir anzulegen. Trotzdem... ich will nicht, dass du da mit reingezogen wirst."

"Was ist mit dem, der dich beobachtet hat?"

"Ich hab ihn k. o. geschlagen", Dexters Augen fixierten mich.

Ich biss mir auf die Unterlippe und wandte den Blick ab. "Ist... ist das nicht... Also wenn Red wissen will, ob du Ärger machst, wäre es dann nicht besser, seine Leute nicht zu schlagen?"

"Ich hatte keine Zeit, das anders zu regeln. Aber ich hab 'ne Botschaft hinterlassen. Eine aus Papier, bevor du fragst. Und es hätte Red wahrscheinlich mehr beunruhigt, wenn ich so getan hätte, als hätte ich den Typ nicht bemerkt. Ich lass mich nicht ausspionieren, das weiß er", vorsichtig streckte er die Hand nach mir aus, als sei er sich nicht sicher, ob ich die Berührung zulassen würde. Als ich nicht zurückzuckte, schien er etwas ruhiger und strich mir sanft mit den Fingern über meine zur Faust geballten Hand, die sich erst nach und nach wieder entspannte. "Es tut mir leid, dass ich dir so einen Schrecken eingejagt hab", reumütig hob er meine Hand zu seinem Gesicht und küsste jeden einzelnen Fingerknöchel.

"Es macht mir viel mehr Angst, was ist, wenn du heute Abend weggehst", gab ich leise zu.

"Warum?", wachsam sah er auf. 

"Was, wenn die draußen auf dich warten? Oder warten, bis du weg bist und dann zu mir reinkommen?"

"Es wird niemand zu dir reinkommen", seine Miene verhärtete sich.

"Kannst du...", unsicher stich ich mir durch die Haare und spürte das Blut in meine Wangen schießen, "könntest du mich vielleicht mal kurz in den Arm nehmen? Ich muss mich erst mal beruhigen..."

"Immer!", offenbar erleichtert stand Dexter auf, schlang einen Arm um meinen Rücken, schon den anderen unter meinen Kniekehlen her und hob mich so behände hoch, als wöge ich nicht mehr als eine Feder. Ein nicht unbedingt männliches Quietschen verließ meinen Mund -ich hatte nicht einmal gewusst, dass ich zu solchen Geräuschen fähig war- und ich klammerte mich an Dexters Hals. Er lachte und wirkte so unbeschwert, als sei nichts gewesen.  

Mein Freund trug mich in mein Zimmer und legte mich sachte auf meinem Bett ab. Dann schritt er auf meinen Kleiderschrank zu und beförderte eine Jogginghose und eins meiner Schlafshirts zu Tage. Beides gab er mir, dann verließ er das Zimmer, nur um einige Minuten später mit einer dampfenden Tasse Kakao wiederzukommen. In der Zwischenzeit hatte ich mich umgezogen und aufs Bett gesetzt. Dexter drückte mir den Kakao in die Hand, setzte sich dicht neben mich und deckte uns beide mit meiner Bettdecke zu.

"Danke", murmelte ich verlegen, als der Dunkelhaarige auch noch seinen muskulösen Arm um meine schmalen Schultern legte.

"Nicht dafür", murmelte er und drückte mich an sich. 

Plötzlich erinnerte ich mich, weshalb ich zuerst mit ihm hatte reden wollen. Ich hatte es tatsächlich kurz vergessen, doch jetzt begann mein Herz wie auf Kommando sofort wieder schneller zu schlagen: "Dexter! Ich muss dir noch was erzählen!"

Die kupferbraunen Augen lagen auf mir, zeigten mir unmissverständlich, dass seine ganze Aufmerksamkeit mir galt.

"Mr. Harris hat mich gestern Abend angerufen."

"Was hat er gesagt?", Dexter gab sich offensichtlich größte Mühe, möglichst unbeteiligt zu wirken, doch das Funkeln in seinen Augen verriet ihn. 

"Er will, dass du ab Montag anfängst. Erstmal vierzehn Tage als Probe, ob das alles funktioniert und dann richtig!"

Das Strahlen auf dem Gesicht des Mannes, den ich liebte, machte mich glücklich. Es entschädigte mich für alle Schwierigkeiten, die wir bereits erlebt hatten und für alle, die noch folgen würden. Und mir wurde klar, dass mein Herz unwiderruflich dem Brünetten gehörte. Dass ich ihn liebte.

      

Dexter JonesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt