Andrew's P.O.V.
Kein Wort kam über meine Lippen, nicht ein einziges. Zu sehr hatten Dexters Worte mich berührt, geschockt, schlicht sprachlos gemacht. Ich sollte immer daran denken, dass es Bessere als ihn gab?! Der Anblick der Tränen, denen er nicht zu fließen erlaut hatte, hatte sich mir unwiderruflich ins Hirn gebrannt. Der große, starke, gefährliche Dexter Jones war nicht einmal annähernd so ein harter Typ, wie seine Erscheinung vermuten ließ. Viel mehr war er ein gebrochener Mann, der sich das eigene Glück nicht zugestand.
"Du bist verrückt... verrückt...", die Worte hatte meinen Mund ohne meinen bewusstes Zutun verlassen. Er sah mich an, fragend und berechnend, beinahe so, wie er es an dem verhängnisvollen Donnerstag getan hatte. Die kupferbraunen Augen fixierten mich, glänzten verdächtig, als ich ihn vorsichtig auf den Mund küsste.
"Sag mir noch einmal, du bist nicht gut genug für mich und ich küss dich eine Woche lang nicht, verstanden? Und Dexter...", beschwörend hielt ich mit meinen Händen seine Oberarme fest, "Ich hab mich auch in dich verliebt. Und das ist verdammt noch mal gut so!"
Wir hatten an diesem Tag nicht mehr viel geredet, aber es hatte keiner weiteren Worte bedurft. Dexter hatte auf meinem Bett gesessen und gelesen und mich allen Ernstes dazu gezwungen, meine Hausaufgaben zu machen. Dafür hatte er mir allerdings versprechen müssen, mich morgen wieder zu Schule zu bringen. Wir waren beide früh müde geworden, der Tag hatte uns wohl beide auf emotionaler Ebene zu sehr gefordert. Dexter saß noch immer mit dem Rücken an die Wand gelehnt da, meinen Kopf hatte ich auf seinen Beinen gebettet. Grinsend strich er mir durch die blonden Haare, die mir vermutlich mal wieder verblüffende Ähnlichkeit mit einer Comicfigur verliehen, die gerade in die Steckdose gefasst hatte. Aber das war nicht schlimm, an diesem Abend fühlte sich überhaupt nichts schlimm an. Alle Sorgen, die ich hatte, verdrängte ich. Es gab nur noch Dexter, den Mann, der sich so schnell einen so großen Platz in meinem Herzen erschlichen hatte, und mich, den kleinen unbedeutenden Teenager.
"Nein, es geht auch ums Prinzip, aber nicht nur! Es ist doch wohl nicht zu viel verlangt, dass du dir wenigstens die Zähne putzt, wenn du schon so unbedingt Rauchen musst, bevor du mich küsst und ich den Scheiß secondhand schmecken muss!", beschwerte ich mich, doch ich redete bereits minutenlang gegen eine Wand. Wir waren auf dem Weg zur Schule und mein Freund hatte es sich unterwegs nicht nehmen lassen, seine allmorgendliche Zigarette zu rauchen und egal wie verlockend der Ausdruck "mein Freund" in Verbindung mit Dexter auch war, ich wollte ihn nicht direkt nach dem Rauchen küssen.
"Ich mein ja nur, selbst wenn ich mir vorher die Zähne putze, ändert das nichts an der Tatsache, dass ich rauche und mal im Ernst, dass ist doch dein eigentliches Problem oder etwa nicht?!"
Stur schüttelte ich den Kopf: "Ich küss dich nicht mehr, wenn du nach Zigaretten schmeckst. Schlimm genug, dass du dich umbringst, dann will ich nicht noch durch meine Geschmacksknospen dadran erinnert werden, Ende der Diskussion!"
"Vielleicht solltest du mal in so 'nem Präventionsprogramm für Teenager arbeiten, bei deinen knallharten Strafen, würde da bestimmt keiner mehr auf die schiefe Bahn geraten..."
Ich wusste, dass er sich ein wenig über mich lustig machte, aber das war mir egal, wir würden schon noch sehen, wer am Ende zuletzt lachte!
Wir waren an der gleichen Stelle angekommen, an der wir uns auch am Vortag voneinander verabschiedet hatten. Dexter gab mir meinen Rucksack wieder und versuchte mich zu küssen, entschlossen drehte ich mich zur Seite, sodass er nur meine Wange traf.
"Wirklich?", fragte er grinsend.
"Ja!", trotzig erwiderte ich seinen Blick.
"Und wenn du nur heute eine Ausnahme machst, weil ich mir jetzt wohl kaum noch erst die Zähne putzen gehen kann?"
"Dexter, nein! Das erzählst du mir sonst jeden Tag!", ein verräterisches Schmunzeln schlich sich in mein Gesicht.
"Komm schon... Nur ein ganz kurzer Kuss, ich seh dich doch den halben Tag nicht mehr!"
"Alter, hast du's nicht verstanden?! Er will dich nicht küssen! Fass ihn nicht an!", riss uns eine mir wohlbekannte Stimme aus den Neckereien.
"Sonst was?", Dexters ganze Körpersprache veränderte sich innerhalb eines Sekundenbruchteils. Seine Miene wurde starr, ausdruckslos, der Rücken war gestreckt, die Brust minimal vorgeschoben. Er hatte die selbstbewusste Abwehrstellung so schnell eingenommen, dass ich mich im Nachhinein oft gefragt hatte, wie oft er sich in seinem Leben schon auf solche Einschüchterungsversuche hatte verlassen müssen.
"Blaze?!", ich verstand die Welt nicht mehr.
"Du kennst den Clown?!", Dexter legte besitzergreifend seinen Arm um meine Schultern. Er hatte die Augen leicht zu gekniffen, wäre er ein Hund, hätte er wohl auch noch die Zähne gefletscht.
"Du lässt ihn jetzt sofort los! Ich schwöre dir, ich mach dich fertig!", Blaze war nicht minder aggressiv. Er wollte sich scheinbar wirklich ausgerechnet mit Dexter anlegen, der ihn vermutlich mit einem Arm im Schach halten konnte.
"Ach ja? Das will ich echt gerne sehen...", provokant grinste mein Freund das wohl schrecklichste Lächeln, das ich bis zu diesem Zeitpunkt in seinem Gesicht gesehen hatte.
Blaze machte tatsächlich Anstalten auf den Dunkelhaarigen loszugehen, was war nur los mit ihm?!
"Halt! Was soll der Scheiß hier überhaupt?", meine Stimme hatte einen unnatürlich schrillen Ton angenommen, "Und was zur Hölle machst du hier überhaupt, Blaze?"
"Na was wohl? Dein Ex will offenbar gerne ein paar Schläge einstecken...", Dexter klang höhnisch, ein Schauer lief mir über den Rücken, doch es war kein angenehmer. So hatte ich ihn noch nie gesehen und so wollte ich ihn auch nie wieder sehen.
"Es reicht mir jetzt! Blaze ist nicht mein Ex, er hat schließlich was gegen Homos, richtig? Und ich weiß nicht, was ihr hier meint zu machen, aber hört auf!"
"Kein Problem, wenn er seine Dreckspfoten von dir lässt!", Blaze wirkte verbissen, beinahe trotzig.
"Ich wüsste nicht, was es ausgerechnet dich angeht, wer mich wie anfasst! Außerdem ist er mein Freund, er kann mich jederzeit küssen!"
"Aber... aber er ist doch viel zu alt für dich!", die Stimme meines Mitschülers wurde flehender, "Wieso bist du mit so einem zusammen, wenn du auch mit m-... mit jemandem in deinem Alter zusammen sein könntest?!"
"Wolltest du gerade sagen, wenn ich auch mit dir zusammen sein könnte?! Sag mir, dass das ein Witz ist und Kay das Ganze hier filmt!", mittlerweile schrie ich fast, "Selbst wenn ich jemals was von dir gewollt hätte, ist dir überhaupt klar, dass du mich fast ein halbes Jahr immer und immer wieder gedemütigt hast?"
"Was hat er gemacht?", Dexter hatte so leise gesprochen, dass ich ihn fast nicht gehört hätte und wenn ich seinen Gesichtsausdruck anfangs als aggressiv beschrieben hatte, war er jetzt mörderisch. Doch ich ignorierte ihn, fixierte nur Blaze.
"Das hab ich doch nur gemacht, weil... Verdammte Scheiße, ich war ganz normal!", mit diesem Worten drehte er sich um und verschwand auf schnellstem Wege. Aber die Tränen, die über seine Wange liefen, hatte ich trotzdem gesehen.
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Dexter Jones
Teen FictionDexters Leben war noch nie einfach, doch als der Einundzwanzigjährige nach vier Jahren aus dem Gefängnis kommt, scheint er am Tiefpunkt angekommen zu sein. Perspektivlos wie er ist, versucht er sich über Wasser zu halten. Doch seine Lage verändert s...