8 -Neugier-

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Andrew's P.O.V.

"Erzählst du mir jetzt, wieso du ins Gefängnis musstest?"

Dexter stöhnte auf und raufte sich das dunkle Haar: "Nein."

Verärgert verzog ich das Gesicht: "Das ist nicht fair, ich hab dir jede Frage beantwortet, aber du mir nicht!"

Entgeistert ließ er die Hände wieder sinken: "Wow, was für eine Leistung! Willst du ein Fleißkärtchen, weil du mir deinen Namen und dein Alter verraten hast?!"

"Ich hab dir auch gesagt, wo ich wohne und wo das Bad ist", verteidigte ich mich kleinlaut, mir war klar, dass ich mich eigentlich nicht beschweren konnte. Er kannte mich schließlich überhaupt nicht.

"Ach stimmt! Ich vergaß, du hast tatsächlich schon eine Fülle an Fragen beantwortet!", spöttisch verdrehte er die Augen.

"Sagst du mir wenigstens, wie lange du drin warst?", ich gab mich für den Moment geschlagen, doch ich war ein verdammt neugieriger Mensch und so schnell würde ich sicher nicht locker lassen.

"Vier Jahre", gab er ohne Widerworte zurück.

Ich schluckte, keine Ahnung, was ich erwartet hatte, doch vier Jahre klang so verflucht lange. Doch statt mein inneres Gefühlschaos zu zeigen, nickte ich nur, glücklich darüber, dass er sich mir immerhin ein bisschen zu öffnen schien.

"Jetzt bist du dran, erzähl mir irgendwas von dir", befahl er und sah mich so ernsthaft an, dass ich rot wurde und wegsehen musste.

"Was willst du denn wissen?", ich war der wohl uninteressanteste Mensch auf dem ganzen Planeten.

"Einfach irgendwas", brummte er und musterte mich intensiv.

Nervös rutschte ich auf meinem Stuhl herum: "Ähm... Mein bester Freund heißt Darren?" Der Satz hörte sich eher wie eine Frage an.

"Okay und wie habt ihr euch kennengelernt? Wie ist er so?"

Nachdenklich runzelte ich die Stirn: "Ich weiß gar nicht mehr so genau, wie wir uns kennengelernt haben, wir waren beide erst drei Jahre alt... Vermutlich haben wir irgendwann einfach zusammen gespielt oder so. Und Darren ist... naja, er ist mutig, viel mutiger als ich und irgendwie witzig, auch wenn er manchmal etwas grummelig wirkt. Er ist wahnsinnig loyal und er ist der Einzige, der mich kein bisschen anders behandelt seit-", ich brach ab. Seit meinem unfreiwilligen Outing. Aber das wollte ich Dexter nicht sagen, ich konnte es ihm nicht sagen. Augenblicklich dachte ich an dem Dialog zwischen den Männern, die mich in der Gasse bedroht hatten, und Dexter. "Ihr wisst ganz genau, dass ich keine Schwuchtel bin!", waren seine Worte gewesen und der angewiderte Ausdruck auf seinem Gesicht hatte sich mir ins Hirn gebrannt.

"Seit was?", er sah mich irgendwie berechnend an, beinahe schon wissend.

"Ist nicht wichtig!", murmelte ich schnell.

Offenbar enttäuscht seufzte er auf: "Du kannst ruhig mit mir reden..."

"Du könntest mir auch einfach sagen, warum du im Gefängnis warst, tust du aber auch nicht!", erwiderte ich trotzig. Ich war unendlich erleichtert, dass mir diese Ausrede eingefallen war.

"Das lässt dir wirklich keine Ruhe oder?", er dachte einen Moment lang nach, seufzend setzte er wieder zum Sprechen an und mir fiel auf, dass er ziemlich oft seufzte, "Erwarte keine Details... Aber ich sag dir die Kurzfassung, wenn du mir deine erzählst!"

Das war eigentlich ein fairer Deal und ich hatte Dexter wesentlich schneller geknackt, als ich mir hätte träumen lassen, doch noch immer widerstrebte es mir über alle Maßen, ihm zu sagen, dass ich schwul war. Doch meine verflixte Neugier war stärker als meine Angst. Ich verstand das nicht, Dexter hatte einen merkwürdigen Einfluss auf mich.

"Einverstanden, aber du fängst an!", murmelte ich schnell.

"Schwere Körperverletzung", er verzog keine Miene, doch ich war mir sicher, dass er jede kleinste Regung meinerseits aufs genaueste studierte um herauszufinden, wie ich diese Information verarbeitete.

"Okay", murmelte ich leise. Ich kam mit der Tatsache scheinbar besser klar, als Dexter erwartet hatte, er legte den Kopf leicht schief und runzelte die Stirn, er ließ mir Zeit zum Nachdenken. Trotzdem ging er nicht weiter darauf ein, vermutlich war er einfach froh, nicht länger mit mir darüber sprechen zu müssen.

Dexter war also wegen eines Gewaltverbrechens im Gefängnis gewesen. Rein von seiner äußeren Erscheinung und Ausstrahlung wirkte das vielleicht plausibel, trotzdem verstand ich es nicht. Die Art und Weise, wie er mit mir umging, war alles andere als grob oder auch nur ansatzweise brutal. Der einzige Moment, in dem er wirklich gefährlich gewirkt hatte, war gewesen, als er mich vor den beiden Männern beschützt hatte und diese Einschüchterungsmethoden hatte er nicht auf mich, sondern meine Angreifer angewandt. Der große, muskulöse Mann war ein einziges schönes Mysterium.

"Na gut", brummte er, "jetzt du!"

Vergeblich versuchte ich den sich in meinem Hals bildenden Kloß herunterzuschlucken. Was, wenn er mir sein anderes Gesicht zeigen würde, wenn er die Wahrheit erführe? Was, wenn er ausrasten würde?

"Hey...", vorsichtig legte er mir eine Hand auf die linke Schulter und sah mich eindringlich an, "wenn's nicht geht, geht's nicht! Ist schon okay, du kannst es mir ja irgendwann mal erzählen..."

Aus seinem Verhalten zog ich zwei Schlüsse, erstens, wenn er aggressiv war, war ich hetero und zweitens hatte er mir unbewusst eine Frage beantwortet, die ich mich nicht getraut hatte, auszusprechen.

Wir würde uns wiedersehen.

"Ich... Also, er hat in mich immer noch genauso behandelt, nachdem rausgekommen ist, dass ich... dass ich schwul bin."

Dexter JonesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt