33 -Fliegen-

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Dexter's P.O.V.

Seit der Auseinandersetzung mit Andrews Vater waren bereits ein paar Tage vergangen. Ich hatte in der gesamten Zeit Drew nicht gesehen. Übers Wochenende hatte ich ihn nicht auf dem Schulweg besuchen können und jetzt, da ich arbeiten musste, konnte ich ihn sowieso nicht besuchen. Außerdem hatte ich mich um einige Dinge kümmern müssen. Doch heute würde ich meinen Freund sehen. Es war Dienstagabend, die ersten zwei Arbeitstage lagen hinter mir. Trotz meiner Müdigkeit war ich angespannt. Mir blieb nichts anderes übrig, als Andrew in seinem Elternhaus zu besuchen, er würde sowieso schon wütend genug sein, dass er so lange nichts von mir gehört hatte. Ich vermisste ihn ungemein, fragte mich in manchen Momenten ernsthaft, wie ich je ohne ihn hatte Lächeln können. Ich wollte mir nicht ausmalen, was ich machen würde, sollte Liam mir die Tür vor der Nase wieder zuschlagen. 

Nervös drückte ich die Klingel. Erst jetzt kam mir in den Sinn, dass es durchaus möglich war, dass Andrew gar nicht Zuhause war. Die Tür wurde geöffnet, Samantha sah einen Moment verdutzt auf die kleine Papiertüte, die ich umklammert hielt, sagte dann aber: "Hallo, Dexter. Komm rein, Andy ist in seinem Zimmer."

Ich lächelte leicht: "Hi, danke."

Sie trat zur Seite, sodass ich in den Flur gehen konnte. Nachdem ich mich meiner Schule entledigt hatte, lief ich durch das Haus, das ich bereits wie meine eigene Westentasche zu kennen meinte, und klopfte beherzt an Drews Zimmertür.

Ich hörte Drews Stimme erst gedämpft und dann leicht erhoben durch das Holz dringen: "Warte kurz, meine Mum... Ja, komm rein!"

Der Blonde saß mit angewinkelten Beinen auf seinem Bett und hatte das Handy am Ohr. Als er mich sah, spiegelte sein Gesicht eine beeindruckende Bandbreite an Gefühlen in kürzester Zeit wieder, erst Überraschung, dann Wut, schließlich meinte ich auch Liebe, aber vor allem auch Erleichterung gesehen zu haben. "Darren, ich ruf dich zurück... Ja, ist er... Gut, bis morgen", murmelte er mit Pausen in sein Handy.

"Hi", murmelte ich, nachdem er aufgelegt hatte. 

"Wo warst du? Mein Gott, ich dachte..."

"Ich weiß... Ich wollte dich früher sehen, aber es ging nicht. Ich wollte nicht schon wieder hier aufkreuzen und gestern und heute morgen war ich arbeiten", vorsichtig setzte ich mich neben ihn und streckte die Hand nach ihm aus. Er ließ es zu, dass ich ihn damit über den Rücken strich, was ich als gutes Zeichen wertete.

"Gott, stimmt! Du hattest deinen ersten Arbeitstag! Es tut mir so leid, ich hab gar nicht dran gedacht, wie war's?", kerzengerade saß Drew im Bett, die blaugrauen Augen weit aufgerissen.

"Alles gut", brummte ich, "du hattest anderes im Kopf. Aber es war gut. Ein bisschen anstrengend, aber es macht mir Spaß..."

"Und was musstest du-"

"Können wir da später drüber reden? Ich wollte dir noch was geben...", unterbrach ich ihn.

"Ähm, klar! Was willst du mir geben?"

Ich griff in die Hosentasche und zog die kleine Papiertüte heraus. Sie war bereits knitterig und um ehrlich zu sein, konnte man mit wenig Fantasie erkennen, was sich darin befand, aber Drew packte es mit einer Vorsicht und Ehrfurcht aus, dass man meinen konnte, ich hätte Diamanten darin eingetütet. 

"Ein... ein Schlüssel?", mit gerunzelter Stirn blickte mein Freund auf.

"Mein Schlüssel...", korrigierte ich, "Na ja, eigentlich deiner. Ich hab ein WG-Zimmer und dachte, du willst vielleicht meinen Zweitschlüssel..."

"Du... Was? Wann?"

"Ich hab doch gesagt, ich musste mich um ein paar Dinge kümmern. Ich wohne jetzt mit zwei hochmotivierten, engagierten, sozialen Uni-Girls zusammen, mach dich also drauf gefasst, dass ich da nicht allzu viel Zeit verbringen werde..."

"Das ist... das ist einfach toll, ich freu mich so für dich!", strahlend nahm er mich in den Arm, nur um sich Sekunden später wieder von mir zu lösen: "Aber wie machst du das mit Möbeln? Und wollten die keine Kaution oder so?"

Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht, dieses Gespräch sah Drew so ähnlich, dass es schon fast surreal wirkte: "Vorerst werd ich wohl im Schlafsack auf dem Boden pennen, immer noch besser, als draußen. Und das mit der Miete und Kaution haben wir geregelt. Mr. Harris hat mir die Hälfte meines ersten Lohns vorgestreckt, er kennt meine Situation ja und die Mädchen haben gesagt, dass das schon klar geht, wenn die Miete pümktlich kommt. Ein bisschen Geld hatte ich ja eh noch..."

"Das ist verdammt nett... Also sowohl von den Mädels, als auch von Mr. Harris..."

"Ja, das stimmt wohl... Ich hab momentan wohl mehr Glück als ich verdiene...", murmelte ich und strich ihm die Haare aus der Stirn. "Ich hab dich vermisst..."

Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus: "Ich dich auch!"

Drew ließ sich auf den Rücken fallen und zog mich mit ihm, sodass ich halb neben, halb auf ihm lag. Ich lachte leise und musterte seine roten Lippen, die mich magisch anzuziehen schienen. Glück pulsierte durch meinen ganzen Körper als ich endlich meine Lippen auf seine legte. Sanft begann ich ihn zu küssen, er erwiderte hitzig. 

"Verdammt...", murmelte ich atemlos als wir uns voneinander lösten.

"Was ist?", er lächelte immer noch.

"Du küsst einfach nur verdammt gut", flüsterte ich und gab ihm einen Kuss auf die Nase, woraufhin er ausgelassen lachte. Ich liebte, was er mit mir machte. Ich fühlte mich unbeschwert, wie eine Feder. Es war, als würde ein Stein mich immerzu vom fortwehen abhalten, doch wenn Drew da war, dann nahm er den Stein von mir und ich konnte fliegen.


Dexter JonesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt