9 -Ein anderer Mensch-

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Dexter's P.O.V.

"Ich... Also, er hat in mich immer noch genauso behandelt, nachdem rausgekommen ist, dass ich... dass ich schwul bin."

Andrew sah mich aus seinen großen Augen an, zeigte mir so deutlich und offen seine Verletzlichkeit, wie ich es nie gekonnt hätte. Auch wenn ich nicht wollte, ich musste einfach anfangen zu Grinsen. Doch das Grinsen rutschte mir schlagartig vom Gesicht, als ich bemerkte, wie seine Augen sich mit Tränen füllten. Er schien mein Verhalten missgedeutet zu haben, dachte, ich wolle ihn auslachen.

"Andrew, beruhig dich. Das ist doch nichts schlimmes!", hoffentlich fing er jetzt nicht an zu Weinen, denn wenn ich eins nicht konnte, dann war das eindeutig mit weinenden Menschen umzugehen!

"Was? Ich... aber, du... du-", er stammelte unartikuliert vor sich hin und starrte mich ungläubig an.

"Was ist mit mir?", fragte ich unbeeindruckt.

"Dein Blick... als du gesagt hast, dass du keine Schwuchtel bist", seine Angst war so präsent, dass ich meinte, sie anfassen zu können, wenn ich nur die Hand nach ihr ausstreckte.

Doch ich begann zu verstehen, er dachte zurück an die dunkle Gasse, nicht begreifend, dass meine Abscheu nichts mit Homosexualität zu tun gehabt hatte. Wahrscheinlich hatte er einfach auch schon vorher schlechte Erfahrungen gemacht, kein Wunder in der Welt, in der wir nun einmal lebten. Doch ich begann in ihm mehr als nur einen gutgläubigen Teenager zu sehen, viel mehr war er für mich jetzt ein Mensch, der bereit war, für seine Überzeugung zu kämpfen. Ein Mensch, der sich gegen die Arschlöcher wehrte, indem er nicht akzeptierte, dass die Welt nicht so schön und heil war, wie er sie wollte.

Ich seufzte: "Ich hab nichts gegen Schwule! Ich... Also wenn man... Ach vergiss es! Es ist jedenfalls nicht schlimm für mich, dass du schwul bist." 

Beinahe hätte ich es ihm gesagt, hätte ihm einfach gesagt, dass ich ebenfalls schwul war, doch ich hatte es nicht getan. Ich war sowieso schon viel zu vertraut mit ihm, wenn ich ihm jetzt auch noch eines meiner größten Geheimnisse erzählte, nachdem ich ihn nicht einmal vierundzwanzig Stunden kannte, könnte ich mir für Red auch genauso gut eine Schleife um meinen Kopf binden.

"Wirklich nicht?", Andrew schien noch immer ziemlich verunsichert.

Ich schüttelte nur den Kopf. Ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des blonden Jungens aus. Bei Tageslicht fiel mir zum ersten Mal die leicht unreine, für Teenager so typische Haut auf, die irgendwie gegensätzlich zu seinen blaugrauen Augen stand, die mich so aufgeschlossen musterten, ihn so erwachsen wirken ließen. 

"Kannst du mir... also, würdest du mir vielleicht irgendwas von deiner Zeit vor dem Gefängnis erzählen?"

Seufzend strich ich mir die Haare aus der Stirn: "Da gibt es nicht besonders viel zu erzählen..."

Andrew stieß nur einen belustigten Laut aus: "Das glaubst du dir doch selbst nicht!"

"Du bist verdammt hartnäckig!"

"Gut erkannt", entgegnete er unbeeindruckt.

"Ich hatte nicht so die schönste oder behütetste Kindheit, die Geschichten von früher sind nichts für dich...", brummte ich ausweichend, war selbst davon überrascht, dass ich ihn tatsächlich in erster Linie vor meiner Vergangenheit schützen wollte und nicht aus Scham handelte. Ich kannte den Siebzehnjährigen nicht wirklich, aber bis jetzt war er der wohl unschuldigste und naivste Mensch, den ich je kennengelernt hatte und mich beschlich das ungute Gefühl, ich könnte etwas in ihm zerbrechen lassen, wenn er nur gut genug über mich bescheid wusste.

"Woher willst du das wissen?! Nur weil ich nicht so groß bin und auch noch blonde Haare hab, heißt das noch lange nicht, dass ich erst fünf bin!", sein offensichtlicher Ärger ließ mich vermuten, dass ich nicht gerade der Einzige war, der ihn nicht belasten wollte. "'Tschuldigung, aber es pisst mich einfach an, dass immer alle denken, man könnte mir gar nichts erzählen...", murmelte er versöhnlicher.

"Ist schon gut... Ich geh nur einfach nicht gerne mit Geschichten von früher hausieren", erklärte ich unwillig, "Als Kind war ich eigentlich immer draußen unterwegs. Meine Mutter wollte mich auch nicht so gerne in der Wohnung haben, also wenn sie es überhaupt mitbekommen hat, dass ich da war. War halt eher auf mich gestellt, weil das Heroin ihr wohl wichtiger war als ich. Vater oder Geschwister hatte ich nie... Naja, war meistens ganz in Ordnung so, aber ich war halt lange einsam und das hab ich als Teenager nicht so gut vertragen und hab ein paar ziemlich beschissene Entscheidungen getroffen. Das Ende vom Lied war dann halt Knast, hat auch niemanden groß gewundert, das war eigentlich nur eine Frage der Zeit."    

Andrew kniff die Augen leicht zusammen: "Du bist kein schlechter Schauspieler, aber du bist einer..."

Verwirrt sah ich ihn an: "Wie meinst du das?"

"Du tust so, als ob dir das alles im Prinzip egal ist, es ist dir aber nicht egal", dieser einfache Satz ließ meinen Atem stocken. Es erschreckte mich, dass ich plötzlich das Gefühl bekam, dass er ins Schwarze getroffen hatte.

Hi:)

Viel weiß man zwar immer noch nicht über Dexter, aber so langsam bekommt ihr hoffentlich ein Bild von ihm. Lasst gerne mal einen Kommentar da, was ihr so von ihm haltet! ;)
Ich kann es noch nicht fest versprechen, aber ich gehe davon aus, dass im Laufe der Woche noch ein Kapitel kommt. :)

Euch ein schönes Wochenende, eure c_in_medias_res <3

Dexter JonesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt