18 -Verunstaltet-

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Andrew's P.O.V.

Entspannt saß ich mit Chips auf dem Sofa, die Füße relaxt auf dem Tisch vor mir liegend. Wenn meine Mum mich so sehen würde, hätte ich mich wohl auf eine ordentliche Moralpredigt gefasst machen müssen, wie mir grinsend auffiel. Ich hatte den Fernseher angestellt, aber es lief nur irgendeine alberne Zeichentrickserie, der Rest ließ sich ziemlich genau in zwei Kategorien einordnen, Romanzen und Krimis. Da mich aber beides viel zu sehr an Dexter erinnerte, guckte ich diese blöde Serie, die vermutlich für Vier- bis Sechsjährige gemacht war. Ich sah aus dem Fenster, die Sonne war wohl gerade erst untergegangen, am Himmel war noch ein orangefarbender Schimmer erkennbar. Nach der Schule und dem Gespräch mit Dexter war ich noch im Altersheim gewesen, es war wie immer insgesamt ganz amüsant gewesen, aber heute war ich ziemlich früh gegangen, ich hatte Zeit für mich allein gebraucht. Ich hasste den Umstand, dass sich meine Gedanken mittlerweile dauerhaft nur noch um den Dunkelhaarigen drehten, ich konnte gar nicht mehr klar denken. Hinzukam die andauernde Sorge, ob ihm vielleicht etwas zustoßen könnte und ich befürchtete, dass er wieder irgendwelche krummen Dinge planen könnte, die ihn schneller wieder ins Gefängnis bringen würden, als er "Zigarette" sagen konnte. 

Als es an der Tür klingelte, war ich zunächst ziemlich verwirrt. Es war bereits spät, Darren hätte sich nach dem Fiasko vom Wochenende bestimmt gemeldet, wenn er vorgehabt hätte, noch vorbeizukommen, sämtliche Arten von Post- und Paketboten hatten bereits Feierabend und mit meinen Nachbarn wechselte ich maximal ein "Hallo" wenn ich sie traf. Meine Verwirrtheit wandelte sich allerdings innerhalb kürzester Zeit zu Panik, denn hinter der Tür stand niemand anderes als Dexter. Ein blutender Dexter. Er atmete schwer, hatte sich mit der Wand an der Hauswand abgestützt, seine Haltung war gebückt, den freien Arm hatte er sich um den Bauch gelegt. Sein Gesicht konnte ich in der Dunkelheit nicht richtig erkennen, er hatte dem Blick auf den Boden gerichtet, doch nun sah er auf und ich erkannte die aufgeplatzte Lippe und das Blut, dass ihm aus der Nase und einer Wunde an der Stirn lief. 

"Oh mein Gott", hauchte ich fassungslos.

"Tut mir leid, dass ich hier auftauche... ich... ich wusste nicht, wohin...", er sprach leise, blickte mir nicht ins Gesicht. Ich kannte ihn so nicht, der Dexter, den ich kannte, hätte nie so leise, beinahe unterwürfig gesprochen. Ich wusste nicht, was genau mit ihm passiert war, aber vor mir stand ein Fremder.

"Komm schon rein!", entgegnete ich entschlossen, nachdem ich mich wieder gesammelt hatte und trat einen Schritt zu Seite, um ihm Platz zu verschaffen. Ohne Umwege lotste ich ihn ins Badezimmer, sah mich immer wieder nach ihm um, weil ich nicht sicher war, ob er alleine laufen konnte. Ich half ihm, sich auf dem geschlossenen Klodeckel niederzulassen und fast noch mehr als seine verunstaltete Gestalt beunruhigte mich, dass er mich ihm tatsächlich helfen ließ. Es musste ihm wirklich dreckig gehen. Wortlos suchte ich Desinfektionsmittel, Pflaster, Verbände und eine antibakterielle Salbe, die angeblich die Heilung beschleunigen sollte. 

"Du musst deine Sachen jetzt ausziehen, auf jeden Fall die Jacke und das Shirt, am besten auch die Hose! Okay, warte, ich helf' dir!", vorsichtig ließ er seine heißgeliebte Lederjacke von den breiten Schultern rutschen, dann wies ich ihn an, die Arme hochzustrecken und zog ich so sanft ich es vermochte das T-Shirt über den Kopf. Als ich seinen Bauch sah, der sich bereits in allen Farben des Regenbogen zu verfärben begann, musste ich schwer schlucken, doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und half ihm stattdessen hoch und zog ihm Schuhe und Hose aus, sodass er nur noch in Unterhose vor mir saß. Er sah übel aus, wenn auch nicht ganz so schlimm, wie ich nach dem ersten Anblick seines Oberkörpers gedacht hatte. Unter anderen Umständen hätte ich mit an Sicherheit angrenzender Wahrscheinlichkeit beim Anblick seines nackten Oberkörpers mit dem definierten Sixpack ein paar Gedanken bekommen, die nun wirklich alles andere als jugendfrei waren, aber jetzt war ich nur auf seine Verletzungen konzentriert.

"Willst du nicht vielleicht ins Krankenhaus? Was, wenn irgendwas gebrochen ist?", fragte ich vorsichtig, doch Dexter schüttelte nur den Kopf.

Seufzend begann ich, die kleine Wunde an der Stirn, die für ihre Größe wirklich beachtlich stark geblutet hatte, zu säubern und desinfizieren und schließlich das erste Pflaster aufzukleben. Obwohl die ganze Prozedur gewiss sehr schmerzhaft sein musste, hörte ich von Dexter nur ein einziges Mal ein leises Zischen, ansonsten hatte er die Zähne fest aufeinander gebissen und den Kiefer stark angespannt. Es dauerte ziemlich lange, bis ich mich allen blauen Flecken und kleinen Wunden beschäftigt hatte, vor allem weil in den Schürfwunden öfter noch winzige Steinchen klebten, die ich als Straßenbelag identifizierten konnte. Ganz am Schluss schmierte ich noch eine kühlende Salbe auf Dexters geschwollene Oberlippe. Ohne es wirklich zu wollen oder überhaupt bewusst wahrzunehmen, ließ ich die Hand, die ich dabei auf seine Wange gelegt hatte, länger dort als nötig. Trotz der Schwellung fühlte sich seine Lippe auf eigenartige Weise weich an, angenehm. Wie sie sich wohl auf meinen anfühlen würde? 

"Danke", murmelte er und riss mich so wieder in die Wirklichkeit zurück.   

Ich räusperte mich, während das Blut mir in die Wangen schoss: "K-kein Problem... Was ist eigentlich passiert?"

"Nichts, womit du dich befassen solltest", wie ich es hasste, wenn er so ausweichend antwortete.

"Was soll die Scheiße?! Ich hab dich gerade verarztet und keinen Rettungswagen gerufen, auch wenn jeder vernünftige Mensch das gemacht hätte! Und ich hab das nur für dich und dein Ego gemacht! Jetzt sag mir verdammt noch mal, was passiert ist oder du kannst zurück dahin, wo du hergekommen bist!", meine Wut und Enttäuschung ging langsam mit mir durch. Was war so schwer daran, sich mir wenigstens ein bisschen zu öffnen? Ich hatte ihm so viel über mich anvertraut, da konnte er sich doch nun wirklich mal revangieren!

"Ist ja gut!", auch Dexter wirkte jetzt sauer, aber ich war mir nicht einmal sicher, ob sein Zorn sich auf mich bezog, "Können wir uns wenigstens irgendwo anders hinsetzen? Oder willst du das unbedingt auf dem Klo besprechen?!"

"Mir scheißegal, wo wir reden, aber ich will die Wahrheit hören!"

"Ist ja gut...", murmelte er erneut, während er langsam hinter mir in die Küche lief und sich an den Tisch setzte. Und dann erzählte er. 



Hi:)

Kurze Eigenwerbung: Für die Werwolffans unter euch gibt es seit vorgestern auf meinem Account eine neue Geschichte namens "Bis ans Ende der Welt". Schaut gerne mal rein, wenn ihr sowas gerne lest! ;)

So, ich lass euch damit dann auch schon wieder in Ruhe, hoffe es hat euch gefallen!

Bis spätestens nächsten Freitag, eure c_in_medias_res <3

Dexter JonesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt