Chlea

163 17 1
                                    

26.Kapitel

Ein großer, schlanker Mann und eine kleinere Frau mir wilden Locken. Der Mann hatte meinen Mund, die Frau meine Haare und meine Nase. Auch sie klammerten sich aneinander, hielten sich die Hände.

Meine Eltern.

Unmöglich! Sie waren doch angeblich… tot…

Oder doch nicht? Ich hatte das doch nie geglaubt! Ich hatte immer daran gezweifelt!

Aber nein! Unmöglich! Das waren doch nur Glasfiguren, keine echten Menschen. Leblose Skulpturen, die irgendjemand herrstellte.

 Doch obwohl ich meine Eltern seit 14 Jahren nicht gesehen hatte, fühlte es sich so an, also ob sie es wären. Ich erinnerte mich nicht an sie, doch in dem Moment, in dem ich die Figuren sah, kam ein vertrautes Gefühl in mir auf. Liebe zu meinen Eltern. Jedes Kind kennt dieses Gefühl, ich auch. Immer noch, nach all den Jahren. Nach all den Jahren in denen ich sie nicht gesehen hatte. Nach all den Jahren mit der Gewissheit - oder sollte ich sagen mit der Ungewissheit, dass sie tot waren.

Der Gedanke daran, dass das nicht meine Eltern waren, fühlte sich an, als ob mein Herz zerrissen würde. Unweigerlich kullerte eine Träne meine Wange hinunter. Nein. Sie konnten es nicht sein. Unmöglich! Wie kindisch von mir, das zu glauben. Genauso wie ich früher glaubte, Statuen seien weiße Menschen. Genauso wie ich früher glaubte, meine Kuscheltiere schliefen nur, und wurden in der Nacht wach. Genau so wie damals hatte ich kurz, ganz kurz, nur einen winzig kleinen Augenblick daran geglaubt, dass das meine Eltern waren, die eingefroren waren. Unmöglich. Das ist das einzige Wort, das das beschrieben konnte.  

Und da geschah es: in den Augenwinkeln der zwei Figuren bildeten sich ebenfalls Tränen, und glitten am glatten Glas zu Boden. Als sie ihn vereint berührten, wurden Unmengen an positiver Energie freigesetzt und bündelten sich in der Luft zu einer blauen Blase. Ich betrachtete sie genauer. In ihr das Bild einer glücklichen Familie: Vater, Mutter, Kind.

Das Bild meiner Familie. Ich war etwa ein Jahr alt, kurz vor dem Tod…dem Verschwinden meiner Eltern. Hinter ihnen standen meine 14 Jahre jüngere Großmutter und…mein Großvater. Ich hatte ihn noch nie in echt gesehen, nur auf Fotos. Ein mittelgroßer etwas 50 jähriger Mann mit dunkelblonden, grau melierten Haaren, einem Schnurrbart und unzähligen Lachfältchen um die Augen.

Meine Oma hatte immer behauptet, er sei an einem Schlaganfall gestorben, lange bevor ich geboren wurde.

Aber wenn zu diesem Zeitpunkt, an dem meine Eltern noch lebten und ich ein Jahr alt war, mein Großvater doch lebte… Wo war er dann jetzt?

Das alles verwirrte mich so unglaublich. Ich wollte das alles vergessen. Ich wollte mein altes Leben zurück. Ich wollte mir das hier nicht mehr antun.

Was war das hier? Ein Raum voller Glasfiguren?  WER MACHT UNZÄHLIGE GLASFIGUREN VON UNZÄHLIGEN MENSCHEN? UNZÄHLIGE EBENBILDER, PERFEKTE KOPIEN

Ich drehte mich um, und ging zu Chris. Er  hockte mittlerweile auf dem Boden und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Hey“ flüsterte ich, und hockte mich neben ihn. Er schaute mich wortlos an, und drehte seinen Kopf wieder nach vorne. So saßen wir da, wortlos. Unser Schweigen sagte mehr als tausend Worte. Ich fühlte mich geborgen bei ihm.

Ich weiß nicht, wie lange wir so da saßen, aber irgendwann musste ich eingeschlafen sein, ich wachte an seine Schulter gelehnt auf.

Ich schaute mich verschlafen um. Cole stand immer noch vor der gleichen Glasfigur wie vorher. „Wer ist das?“ fragte ich Chris.

„Chlea“ – „Wer ist das?“ wiederholte ich meine Frage von vorhin.

„Sie“ Er deutete mit dem Kinn auf die Figur. „Oder ihr Abbild“

Mann wieso musste ich ihm schon wieder ALLES aus der Nase ziehen!

„Wer ist Chlea?“ – „Frag Cole“

Mann war der schlecht drauf! „Okay okay, dann frag ich ihn halt selber!“

Wieso wollte er mir das jetzt nicht verraten? Wieso nicht? Jetzt war ich doch extra neugierig.

„Bei wem warst du die ganze Zeit?“ fragte Chris jetzt mit einer sanften Stimme. „Bei…Figuren die ausgesehen haben, wie…meine Eltern“ Chris nickte. „Du?“ ich kannte die Antwort bereits, aber ich wusste nicht, worüber ich mit ihm jetzt sonst reden könnte. „Auch“

Cole kam zu uns geschlendert. Er achtete genau auf seinen Gang und sein Pokerface.

Er setzte sich zu uns, und schaute auch schweigend nach vorne. „Cole…wer war das?“ Ich wusste, ich war die Sache ziemlich unsensibel und direkt angegangen. Trotzdem antwortete er mir. „Chlea. Meine…Freundin. Diese Figur sah zumindest danach aus.“

Wow, das hatte mich jetzt … überrumpelt. Nein, das war nicht das richtige Wort. Geschockt würde eher hinkommen. In dem Moment stockte mein Herz kurz. Mein Herz war an Chris vergeben…und an Cole. Obwohl er in der letzten Zeit so komisch zu mir war… Dieser Teil meines Herzens, der an Cole vergeben war fühlte sich irgendwie…verletzt.

„Sie war in der Kabine gegenüber von mir, es war ihr „Zimmer“. Sie wurde ungefähr zeitgleich mit mir hierher gebracht, und auch sie wurde gezwungen, eine Tanti zu werden. Wir sind uns näher gekommen. Und wir haben uns verleibt. Und dann hat man herausgefunden, dass sie Kontakt zu Nicht-Tantis hatte.“ Er atmete tief durch „sie wurde des Hochverrats angeklagt. Von da an habe ich sie nie wieder gesehen. Bis heute.“   

 

 

 

never-never land -die Welt der Träume-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt