112. Wunschpairing

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!Triggerwarnung!

Der Ich - Erzähler kann jedes Geschlecht haben, die andere Person ist weiblich.

———

"Wetten ich bin schneller unten?"
"Niemals!"

"Die Wette gilt!", rief ich noch, während ich  in Richtung Treppenhaus los sprintete. Ich war mir sicher, ich würde vor meiner Freundin im Erdgeschoss ankommen, immerhin waren es nur zwei Etagen und sie musste erst mal noch auf den Aufzug warten.

Unten angekommen lief ich außer Atem zu den Aufzugtüren, um sie schadenfroh erwarten zu können, doch sie kam nicht. Nach einer Minute wurde ich misstrauisch und wollte die Treppe gerade wieder hinauf steigen, da erklang ein schriller Ton, der mein Trommelfell zu durchschneiden schien.

Erschrocken taumelte ich zwei Schritte rückwärts und sah mich panisch um. Überall wuselten Leute durcheinander, vor den Notausgängen bildeten sich Menschentrauben, jeder wollte raus aus dem Gebäude.

Nur ich brauchte keine zwei Sekunden, um zu beschließen, dass ich definitiv wieder nach oben musste. Ich würde das Kaufhaus nicht ohne meine Freundin verlassen, ich könnte hier nicht einfach alleine abhauen.

Doch im Treppenhaus prallte ich mit einem Sicherheitsbeamte zusammen. "Was machen Sie hier, schauen Sie, dass Sie nach draußen kommen!" Er wirkte verärgert, doch ich versuchte, mich an ihm vorbei zu zwängen. "Kommen Sie sofort mit!"

Er packte mich am Arm und zog mich hinter sich her. "Nein! Meine Freundin ist noch oben, ich muss sie retten, bitte!" Sein Griff wurde fester, er zog mich nur noch energischer mit. "Ihrer Freundin geht es gut, keine Sorge."

Doch ich machte mir Sorgen. Wehrte mich so gut es ging, obwohl ich wusste, dass ich gegen den riesigen Typen keine Chance hatte. Obwohl mir klar war, dass ich da oben eh nichts ausrichten konnte. Aber ich konnte einfach nicht mit nach draußen gehen, ohne es wenigstens versucht zu haben, sie zu retten.

Ohne es wirklich zu merken hatte ich angefangen, immer wieder ihren Namen zu schreien, doch ich bekam keine Antwort, während ich dem Beamten hinterher stolperte.

Als wir durch einen Notausgang nach draußen gestolpert waren, fiel mir erst auf, wie verbrannt die Luft drinnen gestunken hatte und ich wurde noch panischer. Giftige Dämpfe waren die Haupttodesursache bei Bränden.

In weiser Voraussicht hatte mich der Sicherheitsbeamte nicht vor der Türe los gelassen, sondern zog mich weiter hinter sich her, bis zu einem der Polizeiwagen, die vor dem Gebäude standen. Er wechselte ein paar Worte mit einem der Polizisten, von denen ich kaum etwas mit bekam.

Endlich lies er mich los und ich wollte schon weg rennen, wieder in Richtung Gebäude, um irgendwie wieder da hinein zu kommen, da wurde ich schon wieder gepackt, zwei starke Arme hatten mich an den Schultern ergriffen und drehten mich jetzt herum.

„Bleiben Sie hier!", redete der Polizist, der mich immer noch fest hielt auf mich ein, „sonst müssen wir Sie in den Wagen sperren. Die Feuerwehrleute sind schon auf dem Weg nach drinnen und werden Ihre Freundin finden und retten, okay? Aber Sie bringen sich nur selbst in Gefahr, das bringt Ihnen beiden nichts!"

Ich nickte und er lockerte seinen Griff. Ein kleiner Teil von mir wollte entgegen jeglichen Verstandes einfach wieder los in Richtung Kaufhaus rennen und sich Zutritt verschaffen, doch ich wusste, dass mich der Polizist hinter mir sowieso früher oder später einholen würde und das dann ungemütlich werden könnte.

Also blieb ich stehen wo ich war, senkte den Kopf und wischte mir vorsichtig die Tränen der Verzweiflung aus dem Gesicht. „Keine Sorge", versuchte mich der Polizist zu beruhigen, „das wird schon."

Ich wollte ihm glauben. Wirklich. Wollte einfach nur von ganzem Herzen darauf vertrauen können, dass die Feuerwehr meine Kleine retten würde, doch das konnte ich nicht. Also stand ich einfach nur da wie ein begossener Pudel, während die schrecklichsten Gedanken und Ängste auf mich einprasselten. Noch nie in meinem Leben hatte ich so große Angst gehabt wie in diesem Augenblick und noch nie hatte ich mich so unendlich hilflos gefühlt.

Irgendwann kramte ich mein Handy aus der Tasche und versuchte immer wieder, meine Freundin anzurufen, doch es erklang nur das penetrante tuten, dieser immer gleiche deprimierende Ton und ich bildete mir ein, dass es derselbe gewesen war, der als Feueralarm ertönt war.

Ich wusste nicht mehr, wie lang ich einfach nur da gestanden und auf den Boden gestarrt hatte, während sich in meinem Kopf die Gedanken überschlugen, doch irgendwann versuchten Leute, mich dazu zu überreden, mit ihnen zu gehen.

Wahrscheinlich waren es Polizisten oder Feuerwehrleute, vielleicht auch Sanitäter, die befürchteten, ich könnte einen Schock haben, also ließ ich mich mit ziehen, nahm die Flasche Wasser, die mir in die Hand gedrückt wurde, an und versuchte, den stechenden Schmerz in meiner ausgetrockneten Kehle beim Trinken zu ignorieren.

Irgendwann brachte man mich nach Hause, ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, ob sie mich selbst nach der Adresse gefragt hatten oder ob jemand meinen Ausweis gesucht und nachgeschaut hatte, wer ich war.

Meine in Tränen aufgelöste Mutter fiel mir sofort um den Hals und ihr zuliebe rang ich mir ein kleines Lächeln ab, doch ich wusste, dass ich es für lange Zeit nicht schaffen würde, ehrlich zu lachen.

Denn egal, wie viele Leute versuchten, mich abzulenken, jedes Mal wenn ich meine Augen schloss, sah ich mein Mädchen vor mir wie sie sich an einer Wand abstützte oder sich auf dem Boden krabbelnd langsam vorwärts kämpfte, auf Hilfe hoffend, die ich ihr nicht hatte geben können.

Ich hatte ihr einmal versprochen, sie immer zu beschützen, wenn sie sich nachts nach einem Albtraum an mich gekuschelt hatte, wenn sie erschrocken war, wenn sie sich vor einem Horrorfilm gefürchtet hatte, wenn sie traurig gewesen war. Und doch hatte ich bitterlich versagt, war daran gescheitert, zu bewahren, was mir am wichtigsten gewesen war.

OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt