74. Kürbistumor

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Fortsetzung zu 72. Pallinside
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PoV Palle

Schon seit fast einem Monat hatte ich keine Videos mehr hochgeladen.

Gameplays machten keinen Spaß mehr, ich konnte nicht verstecken, wie sehr mir Gesellschaft fehlte. Manchmal versuchte ich eine Aufnahme mit Sturmi oder spielte in Videos für andere Youtuber mit, doch es war nicht dasselbe.

Und was mich am meisten wunderte: Es waren nicht Rewis Anwesenheit, seine Stimme und seine kleinen Ausraster, die ich so sehr vermisste, sondern Lache, Witze, Stimme und quietschiger Gesang einer ganz anderen Person: Manu.

Der Kontaktabbruch mit ihm machte mir viel mehr zu schaffen als dass Schluss mit Rewi war. Darüber war ich inzwischen schon hinweg doch ich musste immer wieder an Manu denken. Die Freundschaft mit ihm war etwas Besonderes gewesen, mehr als nur eine Bekanntschaft. Wir waren gewesen wie Seelenverwandte. Ich hatte oft das Gefühl gehabt, dass wir dieselben Gedanken hatten und es nur darauf ankam, wer sie zuerst aussprach.

Das mit Rewi hatte schon wieder aufgehört, bevor es richtig begonnen hatte, doch die Freundschaft mit Manu war schon ein fester Bestandteil meines Lebens gewesen, er war in meinem Herzen verankert gewesen, die Gespräche und Aufnahmen mit ihm waren Alltag gewesen.

Der Verlust von Rewi hatte vielleicht einen Kratzer in meinem Herzen hinterlassen, doch Manus Verschwinden hatte eine tiefe Furche in meine Gefühle gegraben. Und diese Wunde blutete noch immer, tat noch immer unglaublich weh.

Ich liebte Manu.

Auf welche Art auch immer, ich liebte ihn. Und ich wusste, dass jede Sekunde, in der ich hier saß, die Chance immer kleiner wurde, dass er mir verzieh.

Und mir war auch klar, dass ich es mir nie verzeihen würde, wenn ich diese Chance jetzt nicht ergriff und es zumindest versuchte.

Ich überlegte sehr lange hin und her, ob ich ihn anrufen sollte, kam jedoch auf das Ergebnis, dass ein Telefonat viel zu unpersönlich war. Ich wollte ihn sehen.

Für so ziemlich jeden anderen ein nahezu unmögliches Unterfangen, aber nicht für mich. Ich wusste wo Manu wohnte, wusste wie er aussah.

Ich war so unglaublich stolz auf ihn gewesen, als er sich mir gezeigt hatte. Hatte ihn ermutigt, sich nicht für seine Vergangenheit zu schämen. War nicht nur ein Teil seines virtuellen Lebens sondern auch seiner echten Realität geworden.

Und wollte es jetzt wieder sin und bleiben.

Mit pochenden Schläfen und halb geschlossenen Augen quälte ich mich aus meinem Bett, in dem ich die letzten Nächte Schlaf gesucht aber nur selten gefunden hatte, und machte mich auf den Weg ins Bad.

Ohne mit der Wimper zu zucken stieg ich unter die eiskalte Dusche, was mich zumindest ein Bisschen wacher machte.

Dann föhnte und stylte ich meine Haare notdürftig und schlurfte wieder zurück, um mir eine Jeans und ein Shirt anzuziehen.

Auf dem Weg in den Flur griff ich nach Handy, Geldbeutel und Autoschlüsseln, schlüpfte in meine Schuhe und stapfte die Treppe hinunter bis in die Tiefgarage.

Mit schnellen Schritten lief ich auf mein kleines Auto zu und setzte mich hinein. Dann öffnete ich mit meinem Handy Google Maps, gab Manus Adresse ein und startete den Motor.

Die Fahrt verlief ruhig, ich geriet nur einmal in einen kleinen Stau, der sich aber schon nach 20 Minuten wieder auflöste.

Um kurz nach zehn kam ich in Essen an. Da ich nichts gefrühstückt hatte, machte ich kurz bei einem Bäcker halt, um mir ein Brötchen zu kaufen, von dem ich dann aber nur zwei Bissen aß, denn ich war einfach zu aufgeregt.

Und weitere zehn Minuten später stand ich dann endlich vor dem dreistöckigen Mehrfamilienhaus, in dem Manu wohnte.

Lange blieb ich im Auto sitzen und starrte aus einigen Metern Entfernung auf die vielen Klingelschilder die neben der Haustüre aufgereiht waren. Auf dem dritten von unten stand Büttinger.

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis ich mich dazu durchgerungen hatte, hin zu gehen und nach weiterem Zögern auf den Klingelknopf zu drücken.

Ein paar quälende Sekunden lang passierte nichts. Dann gab die Tür ein leises Summen von sich und ich öffnete.

Mit langsamen Schritten, die bei jeder Stufe schwerer zu werden schienen, erklomm ich die drei Stockwerke, dich mich von Manu trennten.

Dann endlich war ich angekommen.

Manus Wohnungstüre stand offen und er lehnte im Türrahmen doch er hatte offensichtlich jemand anderen erwartet, denn als er mich sah, schreckte er ein Stück zurück, stolperte über ein paar Schuhe, die hinter ihm gestanden hatten und starrte mich dann ungläubig an.

Langsam ging ich auf ihn zu, wollte etwas sagen, doch mein Kopf war leer gefegt und ich fand einfach keine Worte, um auszudrücken, was gesagt werden musste.

So stand ich einige Sekunden nur da, mit verzweifeltem Blick und leicht geöffneten Mund, aus dem kein einziges Wort purzelte, bis ich es mir anders überlegte und den Größeren einfach umarmte.

Und zu meiner Erleichterung schlang er seine Arme sofort um mich, legte seinen Kopf auf meine Schulter und machte nicht den Anschein, als wolle er mich wieder los lassen.

Irgendwann fand ich meine Sprache weder und murmelte leise: "Manu, es tut mir so Leid... Du hattest von Anfang an Recht und ich war so dumm, unsere Freundschaft einfach weg zu werfen, wo du mir doch so viel bedeutest!"

Ich wollte noch etwas sagen, doch Manu hielt mich davon ab indem er mich eine Armlänge von sich weg drückte, mir in die Augen sah und sagte: "Es war nicht alles deine Schuld. Ich hätte Rewi nicht so schlecht machen dürfen, immerhin hast du ihn ja geliebt. Aber... Ich...
Ach verdammt, Palle ich war einfach eifersüchtig auf ihn! An dem Tag als du dich geoutet hast, war ich so glücklich wie noch nie. Ich hab mir vorgenommen, dir endlich zu gestehen, dass ich dich liebe. Und dann rufst du mich an und erzählst mir dass du mit Rewi zusammen bist.
Und jetzt weißt du es und ich hab die Freundschaft vermutlich endgültig zerstört aber ich..."

Weiter kam er nicht, denn diesmal war ich es, der ihn unterbrach, indem ich ihn einfach küsste. Und es fühlte sich, nicht wie bei Rewi, schön an, sondern überwältigend, richtig und einfach perfekt.

OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt