24. Kürbistumor

1.4K 76 38
                                    

PoV Palle

Als ich aufwachte, rieb ich mir verschlafen die Augen. Es war mitten in der Nacht und kurz fragte ich mich, warum ich aufgewacht war, als ich die Ursache aus dem Nebenzimmer hörte. Manu. Er schien zu schlafen, doch er hatte einen Albtraum, denn er redete und schrie im Schlaf. Seufzend strich ich mir die Haare aus dem Gesicht und schlich in sein Zimmer.

Hier lag er auf seinem Bett, die Decke war verknäult auf dem Boden gelandet und er lag verkrampft auf der Seite. Vorsichtig setzte ich mich an seine Bettkante und strich ihm die verwuschelten Haare aus dem Gesicht. Dann hob ich seine Decke auf, schüttelte sie leise aus und legte sie wieder über ihn. Schließlich streichelte ich ihm so lange beruhigend über den Arm, bis er sich wieder auf den Rücken rollte und ruhig weiter schlief.

Kurz warf ich noch einen verträumten Blick auf sein Gesicht, bevor ich mich auf den Weg in mein eigenes Zimmer machte. Manu würde hiervon nichts erfahren. Und auch nichts von all meinen anderen nächtlichen Besuchen bei ihm. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie oft ich schon nachts aufgestanden war, um Manu aus einem Albtraum zu holen, wie jetzt, um das Licht in seinem Zimmer aus zu machen, wenn er es mal wieder vergessen hatte, um sein Fenster zu schließen, wenn es nachts plötzlich gewitterte, um die Musik aus zu machen, die er oft vergaß.

Immer hatte ich mich aus meinem eigenen Bett gequält oder war abends nach Hause gekommen und wäre am liebsten völlig übermüdet eingeschlafen, doch jedes Mal war ich zu Manu gegangen und hatte ihm geholfen, hatte alles getan, was nötig war, damit er durchschlafen konnte und nicht an permanentem Schlafmangel litt, so wie ich. Er hatte mir schon oft gesagt, dass er viel besser schlief, seit er vor einem halben Jahr zu mir gezogen war. Dass ich dafür verantwortlich war, dass ihn keine Albträume oder Unwetter mehr weckten, wusste er nicht.

Genau so wenig, wie ihm klar war, dass ich seine Wäsche nicht versehentlich, sondern mit vollster Absicht immer wieder mit meiner mischte, nur um einen Grund zu haben, seine mit waschen zu können, um ihm Arbeit zu sparen. Er bekam nicht mit, dass ich, sobald er mal für längere Zeit nicht zu Hause war, in sein Zimmer ging und dort Staub saugte und wischte, wenn es nötig war, hin und wieder auch seine Klamotten und benutztes Geschirr weg räumte und sein Zimmer so immer sauberer und ordentlicher hielt als mein eigenes.

Er schien es nicht einmal wirklich wahr zu nehmen, dass ich die Spülmaschine immer alleine ausräumte, die Wohnung putzte, mich darum kümmerte, dass wir immer genügend zu essen und zu trinken zu Hause hatten, dass ich hin und wieder Ordnung in unsere Regale brachte, dass ich das Geschirr, das er so achtlos wegstellte, sortierte, oder das Benutzte wusch, dass ich dafür sorgte, dass beispielsweise unsere Kaffeemaschine immer einsatzbereit war und dass ich mich um unsere Topfpflanzen kümmerte.

Es war für ihn selbstverständlich, dass ich immer da war, wenn er jemanden zum Reden brauchte, dass ich ihm zuhörte, Ratschläge gab, ihn ermutigte und alles unterstützte, was er tat.

Ich machte alles für ihn und ich würde noch viel mehr tun, nur um ihn glücklich zu wissen. Ich liebte ihn schon seit über einem Jahr und als wir zusammen gezogen waren, hatte ich gehofft, es würde endlich alles gut werden, mein Leben wäre perfekt und ich könnte viel mehr Zeit mit ihm verbringen.

Aber im Gegenteil: Ich himmelte ihn innerlich den ganzen Tag an und konnte meine Augen nicht von ihm abwenden. Ich fing an, in Tagträumen zu versinken, wenn ich die Möglichkeit hatte, ihn längere Zeit ungestört anzusehen und es machte mich zunehmend fertig, dass er mir nicht ansatzweise so viel Aufmerksamkeit schenkte, wie ich ihm.

Ich merkte schon seit einiger Zeit, dass es nicht mehr lang so weiter gehen konnte. Ich zog mich immer mehr zurück, sprach kaum mehr mit meinem Mitmenschen, machte mein ganzes Leben von Manu abhängig. Ein einziges Wort aus seinem Mund konnte meinen ganzen Tag verderben, ohne dass er überhaupt etwas mit bekam.

Er wirkte so zufrieden, unternahm immer öfter etwas mit unseren YouTube – Kollegen, die er hauptsächlich durch mich persönlich kennen gelernt hatte. Inzwischen verstand sich sogar Smurf besser mit Manu als mit mir, was ich ihm aber auch nicht verübeln wollte. Ich verließ kaum mehr das Haus; Entweder, weil ich aufnehmen und schneiden musste, oder weil Manu nicht da war und ich die Zeit nutzen wollte, um mich um all die Aufgaben kümmern zu können, von denen Manu nicht erfahren sollte, dass sie überhaupt anfielen.

Er schien nicht einmal zu merken, dass die Wohnung völlig zugemüllt wäre, würde ich mich nicht tagtäglich um sein Chaos kümmern, wenn er nichts davon mit bekam. Und er realisierte auch nicht, wie schlecht es mir ging. Kaum eine Nacht konnte ich durchschlafen, entweder wachte Manu auf und nahm keine Rücksicht auf mich, sondern stampfte schon fast durch die Wohnung, oder ich musste mich um ihn kümmern wenn er schlief.

Und manchmal blieb er auch länger auf als ich, um zu schneiden oder aufzunehmen. Und natürlich nahm er auch hier keine Rücksicht auf mich, sondern schrie in seinen Aufnahmen wie gewohnt herum.

Doch ich nahm es in Kauf. Ich verdrängte meine ständige Müdigkeit. Ignorierte die Augenringe, meine ständigen Begleiter. Versuchte, mir Manus Beleidigungen, die wohl nicht ernst gemeint waren, nicht so zu Herzen zu nehmen. Lächelte und versteckte mich hinter dem Lächeln. Versuchte, mein Herz vor dem Zerbrechen zu bewahren und ruhig zu bleiben, wenn er wieder keine Zeit für mich hatte und nicht merkte, dass es mir schlecht ging.

Denn ich hatte Angst. Riesige Angst davor, er könnte gehen, wenn ich die Wahrheit sagte. Er könnte wieder ausziehen, wenn ich ihm offenbarte, was seit einem halben Jahr hinter seinem Rücken abging. Er könnte mich hassen, wenn ich ihn um Hilfe bat.

Es musste bleiben, wie es war, wenn ich verhindern wollte, dass er mein Herz brach.

-------------------------------------------

Die Fortsetzung findet ihr in Kapitel 129 ^^

Aber Leute: Brainfuck des Todes!

Die Story hat grad genau 999 Reads, 99 Votes und ich lad ein Kapitel hoch, das 999 Wörter hat.

Zufall? Ich denke nicht.

OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt