97. Ich liebe dich doch!

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Wunschpairing Boyxgirl

Für dich <3

Triggerwarnung: Selbstverletzung

———

Es hatte so kommen müssen.

Ich hätte es wissen und verhindern müssen, doch ich hatte versagt.

Ich wusste, dass ich eine Belastung gewesen war. Ein Klotz am Bein. Körperlich völlig auf der Höhe aber geistig am Ende.

Ich hatte wirklich versucht, ihn nicht zu enttäuschen und weiter zu machen aber es wurde immer schwerer.

Ich hatte gewusst, dass er sich Sorgen um mich machte und deswegen hatte ich ihm oft schon nicht mehr alles erzählt, nur einen Teil der Wahrheit oder einfach nichts. Ich hatte Angst davor gehabt, ihn zu verärgern und trotzdem hatte ich es geschafft, ihn immer wieder wütend zu machen.

Meine Tollpatschigkeit war wirklich schlimm und ich versuchte, es besser zu machen, doch ständig blieb ich irgendwo hängen, mir fielen Sachen herunter oder ich stieß mich irgendwo an.

Und dann hatte ich es geschafft, seinen Lieblingspulli kaputt zu machen.

Ich hatte das Bedürfnis verspürt, mich für meine Dummheit selbst zu bestrafen. Am liebsten hätte ich mir in den Arm geschnitten, doch ich wusste gut genug, dass die Narben lange, vielleicht für immer bleiben würden und das wollte ich nicht, also hatte ich mir zuerst eine Kerze geholt und angezündet. Dann hatte ich das geschmolzene Wachs komplett auf meinen Unterarm gekippt. Das hatte angenehm gebrannt...

Doch das Wachs war erstarrt und hatte seine schmerzhafte Wirkung schnell verloren und so hatte ich mir einen Haushaltsgummi aus der Küche geholt und ihn immer wieder gegen mein Handgelenk schnalzen lassen. Erst leicht, dann immer fester.

Ich hatte es mir angewöhnt, den ganzen Tag über hatte ich an diesem Gummi herum gezupft und auch am nächsten Morgen hatte ich mir in der Früh, während der Busfahrt auf diese Weise Schmerzen zugefügt. Ich war nicht davon ausgegangen, dass irgendjemandem die kleinen blauen Flecken auffallen würden, doch natürlich hatte er sie bemerkt.

Es hatte ihn schockiert und verärgert. Ich verstand ihn gut, er hatte sich Sorgen um mich gemacht, mir würde es nicht anders gehen, doch ich konnte nicht damit aufhören, es war wie eine Sucht. Ich machte es, wenn er nicht da war und nicht stark genug, um Schwellungen und Blutergüsse zu bekommen und so konnte ich es ganz gut vor ihm geheim halten.

Doch dann war etwas passiert, worauf ich nicht vorbereitet gewesen war, und was deswegen nur noch mehr weh getan hatte. Sie hatten wieder damit angefangen. Ich hatte den ganzen Tag lang Angst gehabt, es könnte genau so weiter gehen wie im letzten Jahr. Sie hatten versprochen, aufzuhören. Hatten fast ein halbes Jahr nichts mehr gemacht. Und dann hatte mir doch wieder irgendjemand durch die Aula hinterher geschrien.

Mir war zum Heulen zu mute gewesen und als ich zu Hause angekommen war, hatte ich die Tränen auch nicht mehr zurück gehalten.

Natürlich hatte er, als ich mit ihm geschrieben hatte, gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Hatte gefragt was los war und so lange nicht aufgegeben, bis ich die Wahrheit gesagt hatte. Dass ich Angst hatte. Angst davor, wieder gemobbt zu werden. Angst davor, meine Freunde zu verlieren. Angst davor, ihn zu verlieren!

Und dass ich mich schlecht fühlte. Ich wusste, dass ich extrem tollpatschig war, noch dazu nicht wirklich schön oder in irgendetwas besonders talentiert und teilweise wirklich nervig.

Seit der fünften Klasse hatten mir mehrere Leute völlig unabhängig voneinander immer wieder gesagt, wie nutzlos ich war.

Die Leute, mit denen ich im Bus fuhr.

Die Leute in meiner Klasse.

Menschen, die ich einmal für Freunde gehalten hatte...

Sie alle hatten mich dazu gebracht, an mir selbst zu zweifeln und ich wusste nicht, ob ich es jemals schaffen würde, über diese Zweifel hinweg zu kommen.

Und all das hatte ich ihm erzählt.

Beim ersten Mal hatte er mir noch versichert, dass ich keine Angst haben musste und ihn nicht verlieren würde, doch es blieb nicht bei einem Mal. Ich wurde immer selbstkritischer und irgendwann war ich völlig davon überzeugt, dass es für die Welt besser gewesen wäre, es hätte mich nie gegeben.

Er war wirklich wütend gewesen. Zwar hatte er anfangs auch versucht, mich zu trösten, doch ich hatte selbst gemerkt, dass ich immer nerviger wurde und irgendwann hatte es ihn einfach nur noch aggressiv gemacht.

Und dann war es gekommen, wie es hatte kommen müssen.

Wir waren gerade ein Jahr lang zusammen gewesen. Ich hatte mich unglaublich auf diesen Tag gefreut und mir unglaublich viele Gedanken über das Geschenk gemacht. Von ihm hatte ich nichts bekommen, er hatte gesagt, er sei nicht fertig geworden und ich hatte mir nichts dabei gedacht.

Und dann, eine Woche später, als wir uns nach unserem Jubiläum das erste Mal in der Schule wieder gesehen hatten, war er in der Früh einfach auf mich zu gekommen und hatte gesagt: „Ich mach das nicht mehr mit. Du bist so nervig geworden mit deinen Selbstzweifeln, das geb ich mir nicht länger. Ich mach Schluss."

Ich war da gestanden wie zur Salzsäume erstarrt und hatte nicht antworten können. Meine größte Angst, das Ereignis vor dem ich mich immer gefürchtet hatte, war eingetreten und ich fühlte mich, als hätte jemand einen eiskalten Eimer Wasser über meinem Kopf ausgeleert.

Einen Moment lang hatte er mich noch erwartungsvoll angesehen, dann hatte er sich umgedreht und war gegangen, ohne zu hören wie ich leise gemurmelt hatte: „Aber... ich liebe dich doch!"

OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt