Prolog

1.1K 45 2
                                    

Das Blut war überall. Es bedeckte meine Hände, meine Arme und meine Kleidung. Meine nackten Füße hinterließen eine rote Spur auf dem Holzfußboden. Blutig rot.
Zitternd hob ich das Messer hoch, welches auf dem Fußboden gelegen hatte. Die Klinge war genauso blutverschmiert wie alles andere auch. Ich klammerte mich an dem Metall fest. Den eingravierten Phönix spürte ich an meiner Handfläche, genauso wie die Worte, welche rings um den Vogel standen. Zwar konnte ich nicht lesen, was dort stand, doch ich konnte es mir schon denken. „Aus der Asche erhoben die Provisionals".
Ich sah noch einmal zu den zwei Menschen, von welchen das gesamte Blut stammte. Mein Hals fühlte sie zugeschnürt an. Da lagen sie. Meine Eltern. Eine der wenigen Erwachsenen, die zu mir gehalten haben, obwohl ich so viele Schwierigkeiten machte.
Mein Papa, der nur zu gerne die Wochenenden mit mir im Rugbystadion verbrachte. Er war bei jeden meiner Judoturniere gewesen, um mich anzufeuern. Meine Mama, die immer liebevoll meine Wunden verband, wenn ich etwas abbekommen hatte und die mich nach einem Wettkampf immer mit leckeren Keksen empfing. Zwei wirklich wunderbare Menschen, doch trotz allem hatte ich ihnen nicht helfen können.
Ich war eines der mächtigsten und stärksten Wesen auf dieser Erde, doch um zwei der wichtigsten Menschen in meinem Leben zu schützen war ich zu schwach gewesen. Ich hatte mich in einer Ecke verkrochen, weil ich zu feige gewesen war. Ich hatte mich versteckt und getan, als wäre ich eine normale Erstklässlerin. Doch das war ich nicht. Ich würde es niemals sein.
Meine freie Hand glitt zu der goldenen Kette um meinen Hals. Ares, er hätte ihnen geholfen. Wäre er noch hier auf der Erde, hätte er meinen Eltern geholfen. Ich hatte ihn mit Sicherheit enttäuscht.
Ein lauter Schrei ließ mich zusammenzucken. Das war eindeutig Natasha. Mein Griff um meine Waffe wurde noch ein wenig fester, auch wenn ich nicht wirklich wusste, was ich damit tun sollte.
Meine Magie war noch nicht ausgebrochen. Ich war vielleicht gegenüber gleichaltrigen im Vorteil, lernte Judo schneller als andere, doch noch war ich nicht so weit, dass mir der Umgang mit Waffen in den Schoß fiel. Dafür mussten erst meine Kräfte zum Vorschein kommen.
Trotz allem schlich ich vorsichtig die Treppe herunter. Natasha musste noch irgendwo sein. Meine süße, kleine Schwester durfte auf gar keinen Fall in die Hände der Killer fallen. Sie war doch alles, was ich hatte.
Ich kam am unteren Absatz der Treppe auf. Auch im Erdgeschoss war ein Bild der Zerstörung gesehen. Die Vase mit den Blumen, die Papa erst gestern Mama mitgebracht hatte, lag zerbrochen auf dem Boden. Die Scherben waren überall verteilt. Teilweise waren sie von Schuhen weiter zertreten worden. Ein paar Einschusslöcher waren zu sehen. Das Schloss der Haustür war zerstört und diese stand sperrangelweit auf.
Von meinem Platz aus konnte ich durch sie nach draußen sehen. Ich hatte einen perfekten Blick auf die Straße und das Auto, welches dort geparkt war. Ein schwarzer Kastenwagen, auf den einige maskierte Männer zuliefen. Auf ihrer Kleidung prangte der Phönix, welcher auch auf dem Messer war, welches sich noch immer an meine Hand schmiegte. Die Worte standen auch dort um den Vogel herum. „Aus der Asche erhoben die Provisionals".
Ich musste gar nicht lesen können, um zu wissen, dass dieser Schriftzug dort stand. Papa hatte es mir einmal erzählt, das hatte gereicht, um es mir zu merken.
Einer der Männer trug ein kleines Mädchen, die nur mit einem pinken Schlafanzug bekleidet war. Sie zappelte herum, soweit es der Griff des Mannes zuließ. Natasha, meine kleine Schwester. Alles an Familie was ich hatte.
Der alte Goldenretriever Pacco kam aus seine Hundehütte angesprungen, um den kleinen Mädchen aus den Klauen der Männer zu befreien. Erst war ein lauter Knall zu hören, dann ein wesentlich leiseres Winseln.
Einer der Entführer hatte unseren Familienhund erschossen, welcher winselnd auf dem gepflasterten Weg von der Veranda zur Einfahrt zusammengebrochen war. Unter ihm bildete sich langsam eine rote Pfütze. Obwohl ich eigentlich zu weit weg war, um das Blut zu riechen, stieg mir wieder der metallische Geruch in die Nase.
Schweißgebadet schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Mein Herz pochte mir bis zum Hals. Ich versuchte, ruhig zu atmen, um mich wieder zu beruhigen, doch nur mit mäßigem Erfolg.
Meine Hand hatte sich um das Messer unter meinen Kopfkissen verkrampft. Ich konnte nicht locker lassen, auch wenn meine Gelenke von dem festen Griff schon wehtaten. Die Gravur am Griff war deutlich an meiner Hand zu spüren. „Aus der Asche erhoben die Provisionals". Eine ewige Mahnung an mich.
Meine freie Hand tastete nach meinem Medaillon, welches irgendwo in meinem Bett lag. Es dauerte nicht lange, um das goldene Schmuckstück zu fassen zu kriegen. Sobald ich es hatte, beruhigte sich mein Herzschlag wieder. Es war alles in Ordnung. Ares war bei mir. Uns würde niemals jemand trennen.

Hexagramm - SchlangenbrutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt